24. Juli: Patriotische Märsche und überlastete Telegrafenleitungen

Zeitungs-Titel als Spiegel der Krise
Am Tag nach dem österreichischen Ultimatum an Serbien steht nicht nur Wien ganz im Zeichen der politischen Krise.

28. Juni bis 28. Juli 1914 – ein Monat, in dem die Weichen für die Urkatastrophe des Jahrhunderts gestellt wurden. Der KURIER erinnert in seiner 31-teiligen Serie daran, was auf den Tag genau vor 100 Jahren geschah. Heute: der 24. Juli 1914, der Tag an dem die Monarchie vor dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Serbien steht.

Das gestern ausgesprochene Ultimatum an Serbien steht im Mittelpunkt der Berichterstattung. „Ernst, aber nicht aggressiv“ sei es abgefasst, schreibt etwa das Neue Wiener Journal. Die Monarchie stehe in diesen „Schicksalstunden“ vor der „Entscheidung über Krieg und Frieden“. Die Oesterreichische Volks-Zeitung spielt den Ball für diesen „Tag der Entscheidung“ entschieden zurück.

24. Juli: Patriotische Märsche und überlastete Telegrafenleitungen
ÖNB anno
24. Juli: Patriotische Märsche und überlastete Telegrafenleitungen
ÖNB anno
Serbien hat das Wort. Es hat zu erklären, ob es auf seinem Weg innehalten will.“ Serbien steht „zwischen Krieg und Revolution“, schreibt Die Neue Zeitung. „Die Lage der Dynastie Karagjorgjevic (sic!) sowie der Ministeriums Passic ist eine verzweifelte.“ Denn ein Eingehen auf die österreichischen Forderungen könne auch eine Revolution auslösen und das Ende der Dynastie bedeuten. Zur Illustration zeigt das Blatt Zeichnungen von König Peter I. und Thronprinz Alexander.

International

Die internationalen Rollen sind hingegen klar verteilt. Russland werde sich auf der Seite Serbiens „nicht indifferent“ verhalten. Und Frankreich sympathisiere ebenso mit Serbien, betont das Neue Wiener Journal. Generell herrscht bei Großbritannien, Frankreich und Russland aber Empörung über das Ultimatum. Sie werten es als Eingriff in die Souveränität Serbiens.

In Wien ist die Bevölkerung zum Abwarten verdammt. „Lassen wir die nahe Stunde, die über Krieg und Frieden entscheidet, heranrücken mit dem Ernste von Männern, die das Walten eines noch unbekannten Schicksals fühlen und den Eindruck haben, als würde die Geschichte zu ihnen sprechen“, kommentiert die Neue Freie Presse. Das zeigt sich in „Diskussionen zu Hause und in öffentlichen Lokalen“, in denen „jedes andere Thema so gut wie vollständig ausgeschaltet“ gewesen sei. Die Volks-Zeitung spürt Zerrissenheit: „Jeder Stammtisch (ist) ein kleines Parlament mit Kriegs- und Friedenspartei.“

Es geht patriotisch zu. „In allen Restaurants, in denen Musikkapellen spielten, wurden vom Publikum Musikstücke geheischt und dann brausend akklamiert, die dem patriotischen Empfinden Rechnung trugen.“ Immer aufs Neue seien die Klänge von „Oh du mein Österreich“, des „Radetzkymarsch“ und des „Prinz Eugen“-Liedes (besingt die Belagerung und Einnahme Belgrads durch den kaiserlichen Feldherrn 1717 während des 6. Türkenkriegs, Anm.) zu hören gewesen, vermerkt die Neue Freue Presse am nächsten Tag. Sogar beim traditionellen Trabrennen in Baden bei Wien kommt es bei den Musikstücken „zu einer stürmischen Demonstration des Publikums.“

In Ischl

Hinter den Kulissen geht es indes hektisch zu. Bad Ischl, wo der Kaiser noch immer auf Sommerfrische weilt, ist heute das Zentrum der k.u.k-Politik. Die Minister für Inneres und Äußeres geben sich bei kaiserlichen Audienzen praktisch die Klinke in die Hand. Der Außenminister Leopold Graf Berchtold erwartet morgen die Antwort auf das Ultimatum gar direkt in Ischl und nicht in Wien, weiß die Volks-Zeitung. Er wolle dem Kaiser „keinen telegraphisch (sic!) übermittelten Bericht vorlegen lassen, sondern sofort nach dem Eintreffen der Antwort mündlich den Vortrag erstatten.“

Für die Neue Freie Presse entschärft genau dieses Verhalten eine mögliche Krise. „Schon diese Aeußerlichkeit (sic!) beweist, dass auf dem Ballplatze (Wiener Sitz des k. u. k. Außenministeriums, heute als Ballhausplatz, Sitz von Bundespräsidentschaftskanzlei und Bundeskanzleramt, Anm.) nichts erwartet wird.“ Laut Arbeiterzeitung sind dennoch „sämtliche Minister nach Wien zurückgekehrt“.

Und in Ischl glühen weiterhin die Drähte: „Telephon- und Telegraphenleitungen (sic!) von Ischl nach Wien und Budapest sind überlastet. Die Beamtenschaft des Ischler Postamtes ist trotz eifrigster Arbeit nicht imstande, selbst dringende Privatgespräche durchzulassen, da unaufhörlich Staats- und Hofgespräche die beiden Leitungen nach Wien in Beschlag nehmen.“

Was bisher geschah

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