17. Juli: Die politische Lage spitzt sich zu

Zum progressiven Lebensstil gehört nun auch das Automobil
Medienberichte prophezeien bereits, dass "die alte Monarchie in furchtbarem Brande zusammenbricht"

28. Juni bis 28. Juli 1914 – ein Monat, in dem die Weichen für die Urkatastrophe des Jahrhunderts gestellt wurden. Der KURIER erinnert in seiner 31-teiligen Serie daran, was auf den Tag genau vor 100 Jahren geschah. Heute: der 17. Juli 1914, der Tag , an dem sich die politische Lage zuspitzt.

„Oesterreich-Ungarn geht es schlecht! Serbien ist uns feind. Das albanische Experiment ist mißglückt, Rumänien hat sich von uns abgewendet. Rußland erstarkt. Italiens sind wir nie sicher.“ Besorgt fasst der Böhmerwald-Volksbote die politische Lage knapp drei Wochen nach dem Attentat in Sarajewo zzusammen. Und das Sozialdemokratische Organ für Südböhmen versucht sich in seiner Ausgabe vom 18. Juli zudem als Prophet: „Wer Phantasiebilder liebt, kann sich ausmalen, wie die Feinde allesamt zugleich über uns herfallen, ... und die alte Monarchie in furchtbarem Brande zusammenbricht.“

17. Juli: Die politische Lage spitzt sich zu
anno 18.7.14
Tatsächlich wird die Ermordung des Erzherzogs und seiner Frau durch Gavrilo Princip, Mitglied einer serbisch-nationalistischen Bewegung, zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führen und zum Ende des Habsburger Reiches, zuvor hat der gewaltsame Tod unmittelbare innerstaatliche Konsequenzen. Die Thronfolge ordnet sich neu, Franz Ferdinands Neffe rückt entsprechend der Hausgesetze der Dynastie nach. "Der Thronfolger Erzherzog Karl Franz Josef ist heute halb 7 Uhr früh hier eingetroffen", hältDer Tirolerdie Geschehnisse im oberösterreichischen Bad Ischl fest: "Am Bahnhofe wurde er im Auftrag des Kaisers vom kaiserlichen Flügeladjutanten empfangen und fuhr dann, vom Publikum lebhaft begrüßt, zum Hotel." Etwa eine Stunde später gewährte ihm Franz Josef I. Audienz.


200 km weiter östlich nimmt derweil Geschichte abseits der Politik ihren Lauf – nachzulesen im online-Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek unter http://anno.onb.ac.at/. Noch liegt die Aufbruchstimmung des jungen Jahrtausends in der Luft. Die Gesellschaft von 1914 mag es modern.

So meldet etwa das Neuigkeits-Welt-Blatt, dass Wiens ältester Platz, das einstige Zentrum der Römerfestung Vindobona, "nun bald eine hochmoderne Sehenswürdigkeit aufweisen" wird: Die Kunstuhr der Versicherungsanstalt "Der Anker". Ebenso feierlich - und zeitgemäß - eröffnet das Café Stadttheater von Architekt August Scheffel in der Albertgasse; mit „Parterre und Souterrain mit Gesellschaftsräumen und Klubzimmer, elegant und bequem ausgestattet, Zeitungen in allen Sprachen, vorzügl. Erfrischungen, allgemein gebräuchliche Preise“ – wie aus einer Anzeige hervorgeht. Die Lokalität wird bis ins 21. Jahrhundert genützt. Nicht weniger en vogue – wohl gemerkt für damalige Verhältnisse – geht es im Hotel Astoria in der Innenstadt zu: Ein Inserat verspricht dort „modernsten Komfort“ und versteht darunter heißes und kaltes Wasser sowie Telefon in jedem Zimmer. So sieht state of the art vor Kriegsbeginn aus.

17. Juli: Die politische Lage spitzt sich zu
fsfs
Zum progressiven Lebensstil gehört nun auch das Auto. Wie dieArbeiter-Zeitungschildert, sind damit nicht nur rechtmäßige Eigentümer unterwegs: „In der Nacht ... stand das Automobil A IV 602, das der Autobetriebsgesellschaft in Ottakring gehört, auf dem Getreidemarkt. Der Chauffeur hatte sich für eine Weile entfernt, und als er zurückkam, war das Auto verschwunden...“ Der Dieb, ein 23-jähriger Mechanikergehilfe, wird alsbald in Hütteldorf gestoppt. Und als Wiederholungstäter im Landesgericht eingeliefert.

Der Fortschritt hat längst nicht alle Lebensbereiche und Bevölkerungsschichten erreicht. Die kommenden Kriegsjahre werden jedoch in sämtlichen Bereichen massive Rückschläge bringen.

Was bisher geschah

"Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung", soll der deutsche Kaiser Wilhelm II. um die Jahrhundertwende erklärt haben. Das Eintreffen seiner Prophezeihung war ihm zu Lebzeiten nicht vergönnt. Im Gegenteil: In den USA ließ Henry Ford seine "Tin Lizzy", das legendäre Modell T, ab 1913 vom Fließband laufen. Der Zeitgeist huldigte den Pferdestärken, jedoch nicht im Wilhelm'schen Sinne.

Auch die Zeitungen waren voll von Automobilwerbungen. Mobilität bedeutete Fortschritt und Freiheit. Eine kleine Auswahl.

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