22. Juli: „Der Klöppel hat zum Schlage ausgeholt“

Der Höhepunkt der Julikrise ist auch der Höhepunkt der Badesaison
Die Frage ist nicht mehr, ob es Krieg gibt, sondern nur noch, wann ein Ultimatum gestellt wird.

28. Juni bis 28. Juli 1914 – ein Monat, in dem die Weichen für die Urkatastrophe des Jahrhunderts gestellt wurden. Der KURIER erinnert in seiner 31-teiligen Serie daran, was auf den Tag genau vor 100 Jahren geschah. Heute: der 22. Juli 1914, der Tag an dem die heimischen Zeitungen über den Kriegsbeginn spekulieren.

Der Ton wird rauer. An vorderster Front kämpft das Armeeblatt: „Des Habsburgischen Reiches Schicksalsstunde“, so der Titel. Begründung: niemand könne verkennen, „dass der Klöppel bereits zum Schlage ausgeholt hat“. Einen möglichen Beginn der Kampfhandlungen offeriert die Militärwissenschaftliche Wochenzeitschrift: „spätestens im Frühjahr 1915“.
Geradezu herbeigesehnt wird ein Anlass zur Kriegserklärung, „schon heute oder morgen“ könne der erste Schuss einer serbischen Kanone fallen, eine Verwicklung, die „wir in der k.u.k. Armee freilich nicht nur nicht scheuen, sondern als die ersehnte Erlösung von den fast unerträglichen Zuständen mit Jubel und Kampfesfreude begrüßen würden“.
Ein Blick in die Czernowitzer Allgemeine Zeitung zeigt, die Öffentlichkeit erwartet das Ultimatum Österreich-Ungarns an Serbien „noch vor dem Ultimo“, jedenfalls „noch im Laufe dieser Woche“. Der k.u.k. Gesandte in Belgrad übergab die Forderungen einen Tag später. Die Redakteure drücken die Hoffnung aus, die europäischen Großmächte mögen nicht in den Konflikt eingreifen, „bliebe also Serbien im Falle der Nichtanerkennung und Nichterfüllung unserer Forderungen nichts anderes übrig als der Waffengang“.

22. Juli: „Der Klöppel hat zum Schlage ausgeholt“
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Die Humoristische Wochenzeitschrift Die Musketenimmt die „geplante Vereinigung Serbiens mit Montenegro“ aufs Korn. Auffällig an der Karikatur – Titel: „Russisches Laboratoriumsprodukt“ – ist die Prominenz der Wissenschaft, die dem Offizier und damit dem Militär gleichgestellt ist. Der Text bewegt sich innerhalb des erwartbaren, von der Propaganda vorgegebenen Rahmens: „Wird sich der neue Zwilling auch frei bewegen können? Nicht nötig, das besorgen wir von Petersburg aus.“
DasInteressante Blattbietet seiner Leserschaft einen Überblick, wer im Kriegsfall im österreichisch-ungarischen Heer das Sagen hat. Der Kriegstreiber gegen Serbien und spätere Feldmarschall, Franz Conrad Freiherr von Hötzendorf, ist rechts außen abgebildet.

Ein Bericht im Blattinneren widmet sich dem neuen Thronfolgerpaar, Erzherzog Karl Franz Joseph (der spätere Kaiser Karl) und Erzherzogin Zita (auf einem Kinderbild zu sehen), der Schreiber ersucht, man möge über das Paar, auf das sich „seit dem Attentate von Sarajevo die Augen der ganze Welt und die Neugier der Öffentlichkeit richten“, mehr erfahren, über seine Auffassungen und Lebensgewohnheiten – und wünscht, das Paar möge „im Glashaus sitzen“.

Aus dem Inseratenteil der Neuen Freien Presse: Hubert II. Underberg, immerhin „Kammerlieferant Seiner Majestät des Kaisers von Österreich und Apostolischen Königs von Ungarn“, schreibt: „Zur Aufklärung!“ Der Vollbitter-Hersteller warnt vor Nachahmungen seines Produkts, die unter dem Namen „Boonekamp“ veräußert werden. Ein Jahrhundert später werden diese Auseinandersetzungen um den Markenschutz der grünen Fläschchen immer noch aktuell sein, wie der KURIER bei einem Lokalaugenschein im Underberg-Werk bei Düsseldorf 2010 feststellen konnte.


Die Neue Zeitung bringt auf dem Cover eine Illustration „zum Höhepunkt der Badesaison“, der zugehörige Text im Blattinneren lautet: „Schwimm-, Sonnen- und Sandbäder stehen auf der Tagesordnung“. Eine Fehleinschätzung: Als die Leser die Zeitung aufschlagen ist es trüb, in der Nacht setzen noch dazu intensive, im Süden und Osten des Landes auch gewittrige Regenschauer ein. Was nicht fehlen darf ist „der reizende Blick in das Damenbad, wo die stolzen Schönen ihre weichen Glieder von den sanften Wellen umschmeicheln lassen“.

Was bisher geschah

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