Chronik/Österreich

Terror in Wien: Was wir wissen - und was nicht

Was ist passiert?

Am Montagabend kam es gegen 20 Uhr in Wien zu einer blutigen Terrorattacke. Schwer bewaffnete Täter - das Innenministerium geht von mehreren Attentätern aus - feuerten unmittelbar in der Nähe einer Synagoge in der Seitenstettengasse erste Schüsse ab. In weiterer Folge wurden an sechs weiteren Tatorten in der Innenstadt Schüsse abgegeben. Zahlreiche Passanten wurden verletzt.

Innenminister Karl Nehammer sprach Dienstagfrüh davon, dass der Anschlag ein Angriff auf die österreichischen, demokratischen Werte gewesen sei. "Das lassen wir uns auf keinen Fall gefallen."

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Wie viele Opfer gibt es?

Wie Innenminister Karl Nehammer bestätigt, gibt es 22 Verletzte. Die meisten weisen vorwiegend Schuss-, aber auch  Schnittverletzungen auf. "Die Patienten stehen unter Schock", so eine Sprecherin des Gesundheitsverbunds

Unter den Verletzten ist auch ein Polizist - sein Gesundheitszustand ist kritisch, aber stabil. Laut Nehammer wurde er operiert und ist außer Lebensgefahr. Der angeschossene Beamte ist laut Behörden 28 Jahre alt und in einer Polizeiinspektion in der Wiener Innenstadt stationiert. Er ist einem Terroristen im Bereich der Seitenstettengasse Richtung Schwedenplatz begegnet. Der Beamte wird auf der Intensivstation eines Wiener Krankenhauses behandelt.

Der Anschlag forderte bislang vier Tote: zwei Männer und zwei Frauen. Eine der Frauen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren ist in der Klinik Ottakring - dem ehemaligen Wilhelminenspital - gestorben, bestätigte Innenminister Nehammer. Bei einer getöteten Frau handelt es sich laut ORF um eine Kellnerin. 

Wer sind die Täter?

Nachdem zunächst von maximal vier Tätern ausgegangen war, erklärt Innenminister Nehammer, dass man derzeit nicht davon ausgehe, dass es mehr als einen Täter gibt.

Jener Täter wurde am Montag um 20:09 Uhr von einem Beamten der WEGA erschossen. In Folge wurde die Wohnung des Attentäters aufgesprengt und eine Hausdurchsuchung durchgeführt.

Der Mann war 20 Jahre alt, hatte nordmazedonische Wurzeln und war einschlägig wegen terroristischer Vereinigung vorbestraft. Der Attentäter besaß neben der österreichischen auch die nordmazedonische Staatsbürgerschaft. 

Der mit einem automatischen Sturmgewehr, einer Pistole und einer Machete bewaffnete Terrorist trug zufolge auch eine Attrappe eines Sprengstoffgürtels. Der Angreifer war zweifelsfrei ein Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz Islamischer Staat (IS), so Nehammer. Er wurde am 25. April 2019 zu 22 Monaten Haft verurteilt, weil er versucht hatte, nach Syrien auszureisen, um sich dort dem IS anzuschließen.

 Am 5. Dezember wurde er vorzeitig bedingt entlassen - er galt als junger Erwachsener und fiel damit unter die Privilegien des Jugendgerichtsgesetzes (JGG). Von Polizeikräften erschossen wurde der 20-Jährige in der Nähe der Ruprechtskirche, teilte der Innenminister mit.

Im Umfeld des Täters wurden bereits 15 weitere Hausdurchsuchungen durchgeführt, mehrere Personen sollen festgenommen worden sein - auch in St. Pölten.

Zumindest einer der Täter hat ein vollautomatisches Sturmgewehr verwendet. Laut Videos dürfte es sich dabei um eine Kalaschnikow handeln. Diese gelten in der Full Auto-Version als Kriegsmaterial und fallen laut österreichischem Waffengesetz in die Kategorie A (verbotene Waffen), der Terrorist muss sie sich also illegal beschafft haben.

Wo sind die Tatorte?

Die ersten Schüsse fielen gegen 20:00 Uhr in unmittelbarer Nähe der Synagoge in der Seitenstettengasse. Zu weiteren Vorfällen kam es an weiteren fünf Orten in der Innenstadt, alle in räumlicher Nähe zum Ausgangspunkt. Die weiteren Orte waren nach Angaben von Harald Sörös, Sprecher des Innenministeriums, der Morzinplatz, das Salzgries, der Fleischmarkt, der Bauernmarkt und der Graben.

Wie laufen die Ermittlungen?

Innenminister Nehammer versprach "rasche Aufklärung". In Wien stehen dafür derzeit etwa 1.000 Einsatzkräfte im Einsatz. Es werden die städtische Infrastruktur und öffentliche Räume gesichert. Das Bundesheer stellt 75 Soldaten für den Objektschutz und Teile des Jagdkommandos zur Terrorismusbekämpfung auch gepanzerte Fahrzeuge zur Verfügung. "Wir sind im ständigen Austausch mit dem Innenministerium und werden keinen Millimeter weichen."

Die Polizei hat die Bevölkerung schon Montagabend um Mitwirkung bei der Aufklärung gebeten. Über 20.000 Videos und Fotos wurden der Polizei übermittelt. Gut ein Viertel der Videos wurde schon gesichtet und ausgewertet so Nehammer. 

Die Polizei hat auch immer wieder dazu aufgerufen, Abstand davon zu halten ungesicherte Informationen und vor allem Bilder und Videos in den sozialen Netzwerken zu teilen. 

Auch in Niederösterreich laufen Ermittlungen. Beamte der Cobra sowie des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung durchsuchen in St. Pölten die Wohnung des mutmaßlichen Attentäters.

Eine Festnahme gab es unterdessen auch in Linz. Wie der Linzer Vizebürgermeister Markus Hein berichtet, wurde ein mutmaßlicher Islamist und möglicher Komplize des bereits gestern ausgeschalteten Terroristen in Linz festgenommen: „Diese Festnahme zeigt, dass auch Linz nicht vor der Gefahr des islamistischen Terrorismus geschützt ist. Aufgrund der hervorragenden Arbeit der Polizei, für die ich meinen aufrichtigen Dank aussprechen möchte, konnte ein Terrorverdächtiger gefasst werden. Ich erwarte mir, dass jegliche Unterstützer dieser Terror-Tat und alle potenziellen Terrorzellen kompromisslos ausgehoben und mit voller Härte bestraft werden. Amtsbekannte Islamisten müssen umgehend abgeschoben werden."

Bis Dienstagnachmittag gab es laut Innenminister Nehammer 14 Festnahmen.

War der Anschlag antisemitisch motiviert?

Da sich in der Seitenstettengasse, in der die ersten Schüsse fielen, die Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) sowie der Stadttempel - also die Hauptsynagoge - befinden, stand die Vermutung im Raum, die Tat sei antisemitisch motiviert. Das konnte bislang nicht bestätigt werden. Als gesichert gilt, dass der Täter auf zwei Menschen vor dem Gebäude geschossen habe. Zum Zeitpunkt des Anschlages haben sich keine Menschen mehr im Stadttempel bzw. in den Räumlichkeiten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien befunden. 

Die IKG hat alle Synagogen in Österreich geschlossen. Betroffen seien in Wien zudem sämtliche Einrichtungen, wie koschere Restaurants, Supermärkte und Schulen, sagte Erich Nuler, Sprecher des Krisenstabs.

Wie sicher ist die Innenstadt?

Die Wiener Innenstadt ist rote Zone und somit abgeriegelt. Die Warnungen der Polizei, die Innenstadt zu meiden, sind nach wie vor aufrecht. "Wenn es möglich ist, bleiben Sie zuhause", so Nehammer. Die Schulpflicht in der Bundeshauptstadt wurde am Dienstag ausgesetzt. Wenn Eltern die Kinder nicht betreuen können, können sie sie in die Bildungseinrichtung bringen. Wie Direktionen berichten, sind bislang nur sehr wenige Kinder in der Schule - zum Teil blieben ganze Klassen leer.

Die Wiener Innenstadt ist nach dem Terroranschlag Montagabend wieder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Die Wiener Linien sind seit Betriebsbeginn am Dienstag wieder uneingeschränkt unterwegs, gab das Unternehmen bekannt. Alle Stationen - auch jene in der Wiener City - werden wieder angefahren. Das wurde mit dem Einsatzstab im Innenministerium so vereinbart, so ein Sprecher.

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