Das ist vor allem zwei Werken und deren Umsetzung zu verdanken, beide auf Romanen von Fjodor Dostojewski basierend, die nicht nur das generelle Canceln russischer Kultur als verblödet auswiesen, sondern auch Raritäten in eine der Metropolen des Opernschaffens brachten und somit diese wichtige Festspielfunktion erfüllten.
Den Auftakte machte „Der Idiot“ von Mieczysław Weinberg, fabelhaft dirigiert von Mirga Gražinytė-Tyla (Wr. Philharmoniker) und psychologisch höchst intensiv inszeniert von Krzysztof Warlikowski.
Danach folgte „Der Spieler“ von Sergej Prokofjew, musikalisch dramatisch geleitet von Timur Zangiev (ebenso Wr. Philharmoniker), allzu plakativ und mit einem Klimarettungs-Statement in Szene gesetzt von Peter Sellars.
Die dritte Opernpremiere war die schwächste: „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach. Die Gründe dafür waren das Dirigat von Marc Minkowski (man glaubte kaum, dass es sich wieder um die Wr. Philharmoniker handelte) sowie die Regie von Mariame Clément, die den Protagonisten als Filmregisseur zeigte, was dem Werk viel an Zauber nahm.
Drei Tenöre
Diesen drei zentralen Produktionen gemein waren grandiose Leistungen der Tenöre in den Hauptpartien: von Bogdan Volkov in „Der Idiot“ – ein derart überragendes Singschauspiel sieht man sonst nie; von Sean Panikkar in „Der Spieler“ – er bewältigte die halsbrecherische Rolle des Alexej bravourös; und von Benjamin Bernheim als Hoffmann – er fügte sich mit seinem schönen Timbre und seiner Phrasierungskunst nahtlos in die Riege der legendären Gestalter dieser Rolle. Drei Tenöre in Salzburg, aber sehr zeitgemäß.
Viel Lob gab es für „Hamlet“ konzertant unter Bertrand de Billy. Und auch in der Konzertreihe gab es neben Bewährtem feine Raritäten zu erleben – diese Festspielen klingen musikalisch bestimmt noch lange nach.
Theater-Resümee: Ein Glücksfall und viele Missverständnisse
Mitunter stellt sich erst nach Monaten heraus, dass eine Entscheidung richtig war. Die Neuproduktion des „Jedermann“ 2024 – nach nur einem Sommer der letzten Neuinszenierung – war eine solche.
Sicher, Michael Maertens hatte für das Sterben des reichen Mannes einen Zweijahresvertrag. Und das Team rund um Regisseur Michael Sturminger (der quasi schon ein Abo auf Neuinszenierungen hatte) durfte davon ausgehen, auch heuer weitermachen zu dürfen. Aber dessen dritte Version hatte einen schalen Beigeschmack hinterlassen. Denn in dieser lebt der Jedermann als verzärtelter Feingeist hinter einer gewaltigen Mauer – und vom Dom sah man so gut wie nichts.
Robert Carsen hingegen nutzte die Fassade brillant. Und nicht nur das: Sein Jedermann war ein Mensch, dessen Schicksal nachvollziehbar erschien – wiewohl Philipp Hochmair im Undercut einen aufhauerischen, ziemlich geschmacklosen Neureichen, also eigentlich das Gegenteil einer Identitätsfigur, verkörperte. Dass sich der Gute Gesell als Teufel entpuppt, gab es schon (in der Person von Sven-Eric Bechtolf), aber Carsen bestach mit vielen neuen Einfällen (Dörte Lyssewski als bettelarme Nachbarin und Werke, Dominik Dos-Reis als verblüffend junger Tod im Mesner-Gewand) und nachdenklich machenden Szenen. Ja, dieser „Jedermann“, vom Setting her ganz in der Gegenwart, bestach.
Verantwortlich für den Coup war Markus Hinterhäuser, der Intendant. Und nicht die neue Schauspielchefin Marina Dawydowa, die 2016 unter seiner Leitung das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen verantwortet hatte. Der Unterschied zwischen den beiden: Hinterhäuser kennt das Publikum der Festspiele seit Jahrzehnten, er weiß, was er ihm zumuten darf; Dawydowa dürfte zudem intern wenig Unterstützung bekommen haben. Sie machte daher ein zeitgeistiges Festwochen-Programm mit Koproduktionen. Aber deswegen muss man nicht nach Salzburg fahren. Und nach diesem Sommer werden sich das viele denken, die sich noch an „Libussa“ in der Inszenierung von Peter Stein erinnern können – oder Ereignisse wie „Schlachten!“ von Luk Perceval erwarten.
Wiewohl, das Programm – allesamt Bearbeitungen – war nicht so schlecht. Nicolas Stemann unterhielt über weite Strecken mit seiner Demokratie-Show „Orestie I–IV“ (Kritik: "Orestie" in Salzburg: Antike Dramen mit Farbdrucker und Waschmaschine), und „Sternstunden der Menschheit“ brachte einem das tragische Leben von Stefan Zweig näher (Kritik: Salzburger Festspiele: Die 15. Sternstunde (oder fast)).
Die Dramatisierung von Thomas Manns „Der Zauberberg“ eineinhalb Jahre nach einer grandiosen Umsetzung im Burgtheater hingegen war eine fünfeinhalbstündige Qual (Kritik: "Der Zauberberg" nach Thomas Mann: Winterreise in den Holocaust). Und Stefan Kaegi blieb mit „Spiegelneuronen“ unter seinem Niveau (Kritik: Ein seichtes Lehrstück darüber, wie man die Masse infiltriert): Wie man die Massen bewegt, exerzierte Coldplay soeben viermal im Ernst-Happel-Stadion vor.
Kommentare