Das gelingt jedoch nur, wenn das Geschehen auf der Bühne und im Graben zu einer Einheit verschmelzen. Motorengeräusche eröffnen, die Bühne zeigt das Innere einer Kirche, doch nicht lang. Ein Trupp von Arbeitern räumt alles weg, Altar, Bänke, Bilder, Heiligenstatuen. Punktgenau zur Abnahme des Kreuzes setzt die Ouvertüre ein, und das so düster, so bedrohlich, so unerbittlich gnadenlos, dass die Flammen, die in einer geraden Linie aus dem Bühnenboden züngeln, den Weg in die Hölle weisen. Ist eine Ziege, die über die jetzt leere Bühne trabt, gar ein Symbol des Teufels?
Castellucci, ein Meister enigmatischer Bilder, treibt seine Kunst auf die Spitze. Jede Figur agiert wie in einem eigenen Kosmos. Don Giovanni und sein Diener Leporello sind Doppelgänger. Die Titelfigur trägt beim Auftritt einen Hammer, der Bauer Masetto wird später mit einer Sichel auf die Bühne kommen.
Donna Anna erscheint wie eine Frau aus einer anderen Zeit, Donna Elvira hat zwei kleine Söhnen, die wie Don Giovanni und Leporello helle Anzüge tragen. Der Komtur ist ein betagter Herr im Nadelstreif.
Ein Clou sind die Kostümierungen des Don Ottavio, ein veritabler Tölpel, der als Diktator, als Weißclown mit Königspudel oder als eine Art Narrenkönig vergeblich um Donna Anna wirbt. Leporello trägt seine Register-Arie am Kopierer vor, während von der Decke ein zweites Gerät sein grünes Licht auf den anderen wirft. Ein Heer von Frauen zerlegt Masetto. Zur Champagner-Arie fährt das Orchester aus dem Graben, das Fest endet auf einer Müllhalde. Schnitt. Pause.
Was folgt, ist die totale Abstraktion. Einst von Don Giovanni beglückte, dann verlassene Frauen begehren in der bildgewaltigen Choreographie Cindy Van Ackers auf.
Am Ende kommt der Komtur den Verführer nicht selbst holen. Dieser „l’uom di sasso“, also der steinerne Mensch, ist eine Stimme aus dem Off. Die Hölle hat sich dieser Don Giovanni selbst geschaffen und wird am Ende zu Stein wie alle mit ihm. Gipsabdrücke der Opfer des Vesuvausbruchs im Jahr 79 n. Chr., haben Castellucci dazu inspiriert. Das ist so stark.
Davide Luciano ist ein eleganter Titelheld. Der in der ersten Phase seinen warm timbrierten Bariton entfalten kann. Sein Ständchen „La ci darem la mano“ singt er gediegen auf einer Alu-Leiter. Kyle Ketelsen ist ein stimmstarker Leporello. Nadezhda Pavlova setzt als Donna Anna auf eigenwillige Extreme. Federica Lombardi ist eine expressive betörende Elvira. Anna El-Khashem ist eine spielfreudige Zerlina Ruben Drole ein kerniger Masetto. Dmitry Ulyanov komplettiert achtbar als Komtur. Julian Prégardien lässt mit seinem hellen, ansprechenden Timbre als Don Ottavio seine Gabe für Mozart hören, auch wenn es ihm der Dirigent nicht immer leicht macht.
Currentzis verspricht am Pult des von ihm plus Chor gegründeten Utopia-Orchesters, mit seinem düsteren Beginn sehr viel, ganz löst er sein Versprechen aber nicht ein. Sein exzessives Spiel mit den Tempi muss man mögen, wie das ständige Verzerren von Continuo-Begleitungen. Wenn nicht, bleibt noch immer genug für einen aufwühlenden Mozart-Klang. Die wenigen, die ihre Ablehnung der Regie hören ließen, wurden von den Ovationen für alle übertönt.
KURIER-Wertung: 4 Sterne
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