Ansonsten läuft bei dieser Neuproduktion einer der schönsten und genialsten Opern aber so viel schief, dass die Enttäuschung bei weitem überwiegt. Man kann „Hoffmann“ nicht umbringen. Aber man kann das Werk schwer verletzen. Was hier ablief, waren „Hoffmanns Verzählungen“, in musikalischer wie in szenischer Hinsicht.
Das allergrößte Problem ist das Dirigat von Marc Minkowski. Der Autor dieser Zeilen musste sich in der ersten Pause im Programmheft vergewissern, ob es sich wirklich um die Wiener Philharmoniker handelte, die da im Graben des Großen Festspielhauses saßen. Es wackelte gehörig in der Koordination zwischen Orchester und Chor. Es gab viel zu wenig musikalische Dramatik, zu wenig Witz, zu wenig Differenzierung. Die Tempi waren gewöhnungsbedürftig, teilweise sehr schleppend. Leichtigkeit? Fehlanzeige. Erzählerische Kraft? Kaum vorhanden. Natürlich spielen die Streicher schön, freilich erkennt man den Offenbach’sche Farbenreichtum zumindest im Ansatz – dieser „Hoffmann“ hebt jedoch in keiner Phase ab in jene Dimension, die Offenbach gebührt.
Warum Minkowski, der Originalklangmann, diese Premiere dirigierte, vermittelt sich nicht. Und auch sein Forschertum ist hinzunehmen, aber hinderlich, wenn er etwa das berühmte „Scintille diamant“ von Dapertutto streicht und durch eine weitaus banalere Arie ersetzt. Wichtiger wäre es gewesen, sich auf die musikalische Gestaltung zu konzentrieren.
Die Inszenierung von Mariame Clément ist qualitativ nicht so schlimm wie das Dirigat, aber auch ein Irrläufer. Sie stellt Hoffmann als erfolglosen Filmregisseur auf die Bühne, der seine Protagonistin Stella und all ihre Abwandlungen liebt. Den Olympia-, den Antonia- und den Giulietta-Akt zeigt sie als Dreharbeiten. Das ist optisch lustig, wenn sich die Kostüme von den 1970er-Jahren zu den 80er und 90ern wandeln, es ist andauernd etwas los durch die vielen Statisten. Es gibt viele Filmzitate von „Barbarella“ bis zu „Micky Maus“ und „Ben Hur“ mit Männern in Sandalen – und es geht so chaotisch zu wie auf einem Filmset. Alle, die dort arbeiten, sagen aber, dass es für die Schauspieler manchmal ziemlich langweilig sein kann. Das trifft auch hier zu.
Dadurch, dass Hoffmann der Regisseur ist und seine Frauenfiguren nur filmt, gibt es wenig Interaktion mit ihnen. Die wichtigsten, leidenschaftlichsten, traurigsten Szenen verpuffen, wenn so viel Raum zwischen den Protagonisten ist.
Der einzige Vorteil an diesem Zugang: Die Regisseurin kann dadurch Realität und Fiktion glaubhaft vermischen. Aber soll das beim Werk von E. T. A. Hoffmann überhaupt der Fall sein? Lebt dieses nicht von der Fantasie und dem Sprengen der Grenzen des Vorstellbaren?
Man hört, dass die Regisseurin ihr Konzept noch ändern wollte, als sie im vergangenen Jahr Christoph Marthaler scheitern sah, der Verdis Falstaff als gealterten Orson Welles im Filmsetting auf die Bühne gebracht hatte. Hätte sie das doch getan. Einen Bauchfleck wie Marthaler erleidet sie aber nicht.
Die Besetzung jenseits von Bernheim ist durchwachsen. Kathryn Lewek singt alle Frauenfiguren, ist aber primär eine Olympia. Ihr Koloratursopran ist zu wenig facettenreich, nicht ausdrucksstark genug für die Antonia und zu wenig verführerisch für die Giulietta. Man sollte die Schnapsidee, diese so unterschiedlichen Frauenfiguren mit einer einzigen Sängerin zu besetzen, langsam aufgeben, im Grund gibt es da immer Leerstellen. Auf der Habenseite steht bei Lewek, dass sie komödiantisch eine Wucht ist.
Kate Lindsey steigert sich als Muse/Nicklausse im Laufe des Abends und spielt auch gut. Sängerisch darf man an große Mezzosopranistinnen in dieser Rolle aber gar nicht denken. Christian Van Horn singt alle Bösewichte, das jedoch nicht ausreichend dämonisch. Man schaut ihm gerne zu, hören würde man aber lieber den einen oder anderen Wotan an seiner Stelle.
Marc Mauillon ist sehr lustig und stimmlich präsent in den Dienerrollen. Géraldine Chauvet als Stimme der Mutter übertrifft im Antonia-Akt stimmlich die Tochter. Michael Laurenz ist eine gute Besetzung für den Spalanzani, auch der Staatsopernchor wäre famos, wenn er vom Dirigat besser betreut wäre.
Im Werk von E. T. A. Hoffmann fetzt Kater Murr Seiten aus der Biografie des Kapellmeisters Johannes Kreisler, sodass nur Fragmente übrig bleiben. Was der kluge Kater mit der Partitur am Pult von Minkowski gemacht hätte, kann man sich nur ausmalen.
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