In der Oper „Der Idiot“ von Mieczyslaw Weinberg, die nach einem Libretto von Alexander Medwedew auf dem Roman von Fjodor Dostojewski basiert, geht es auf der Metaebene um solche Fragen. Der Idiot ist hier ein Fürst namens Myschkin, der von einem Sanatoriumsaufenthalt in der Schweiz zurück nach Russland kommt, auf die Realität trifft und in die brutale Gesellschaft gestoßen wird. Das kann man durchaus heutig interpretieren, deshalb zeigt Regisseur Krzysztof Warlikowski die Zugreise nach Russland in der Felsenreitschule filmisch und so, als würde Myschkin an zerbombten ukrainischen Städten vorbeifahren.
Die Kraft der Schönheit
Das Außergewöhnliche an diesem Protagonisten: Er ist durch und durch ein guter Mensch, will andere verstehen und ihnen helfen, ist noch dazu ein Ästhet und glaubt an die Kraft des Schönen. Was hat so jemand in unserer Welt verloren? Ein naiver Träumer, der zugrunde gehen muss. Ist ja so was von out, dieses Gutmensch-Zeugs, klar, dass er für einen Idioten gehalten wird. Aber sagt diese Kategorisierung nicht viel darüber aus, was in unserem Wertesystem falsch läuft?
Warlikowski zeigt Myschkin einmal sogar halbnackt in einer Jesus-Pose, vor einem Jesus-Bild liegend. War Jesus so gesehen auch ein Idiot? Und wie würde es heute, 2000 Jahre später, einem guten Menschen wie diesem Fürsten in Russland ergehen? Man kann es sich vorstellen.
Vordergründig geht es in „Der Idiot“ auch um Beziehungen, eh klar bei einem Dostojewski-Stoff. Der Idiot liebt die Generalstochter Aglaja, verfällt aber auch der Mätresse Nastassja, die er aus Mitleid retten will, er kommt dadurch anderen Nastassja-Bewundern in die Quere. Und am Ende ist Nastassja – Achtung, Spoiler! – tot zwischen Myschkin und seinem Freund Rogoschin.
Die Musik
Knapp vier Stunden dauert dieses Musikdrama, vielleicht etwas lang, aber es ist spannend wie ein Thriller. Natürlich bleiben vom Roman von Dostojewski hier nur Schnipsel, aber die Partitur von Weinberg (geschrieben in den 1980ern, uraufgeführt 2013) ist mitreißend. Es geht hier, bei aller Tonalität, nicht um große Melodien, sondern um eine musikalische Sprache, die die Geschichte transportiert, um klangliche Poesie, atmosphärische Bebilderung, um einen Konversationsstil mit einem mächtigen Instrumentarium. Man merkt sich keine einzige Phrase, aber man weiß am Ende, dass man mitgelitten hat bei diesem differenzierten Werk.
Mirga Gražinytė-Tyla am Pult der Wiener Philharmoniker (was für ein klanglich ideales Werk für dieses Orchester!) lotet all die Feinheiten raffiniert aus, schafft eine ideale Balance zwischen Orchestergraben und Bühne und ist eine große Erzählerin dieses Stoffes. Eine musikalische Vorleserin am Pult.
Die Regie von Warlikowski (für Bühne und Kostüme ist wieder seine Frau Malgorzata Szczesniak verantwortlich) ist fabelhaft in ihrer psychologischen Deutung, in der Konfrontation zwischen realer Welt in Russland und Traumwelt des Rückkehrers, vor allem die Personenführung ist ein Geniestreich. Wie der Fürst seinen epileptischen Anfall spielt, ist darstellerisch einzigartig gut, auch die Verführungsszene der Nastassja bei ihrem Fest ist großes Musikschauspiel.
Die Sänger
Der ukrainische Tenor Bogdan Volkov singt die Partie des unschuldigen Fürsten auch phänomenal, lyrisch schön, stets präsent, ausreichend kraftvoll, das macht ihm in seiner Gesamtleistung niemand nach. Ausrine Stundyte, die Nastassja, kennt man in Salzburg als Elektra, ihre Stimme wird immer dramatischer und ist diesmal in der Höhe nicht durchwegs sauber, was an einer sehr guten Performance aber nichts ändert. Vladislav Sulimsky ist ein mächtiger, ausdrucksstarker Rogoschin, Xenia Puskarz Thomas eine fabelhafte Aglaja mit schönem Mezzo, Pavol Breslik ein erstklassiger Ganja. Auch alle Sänger der kleineren Partien sowie der Herrenchor der Staatsoper agieren auf Topniveau.
Es ist eine kühne Programmierung von Intendant Markus Hinterhäuser, dieses Werk als erste Opern-Neuproduktion in Salzburg auf die Bühne zu bringen. Und ein starkes Statement gegen das Canceln russischer Kultur. Beides hat sich gelohnt.
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