Schon beim Einlass ins Ernst-Happel-Stadion in Wien ist klar: Was da heute Abend abgeht, ist nicht einfach nur ein Konzert. Es ist ein Event, das mit hohen Erwartungen und großen Emotionen verbunden ist. Vor den Sicherheitsabsperrungen gibt es Tränen, weil einige um sehr viel Geld bei Viagogo Tickets gekauft haben, die sich als gefälscht entpuppen. Sie müssen jetzt draußen bleiben. Dahinter reißt man sich gierig um die Armbänder, die später eine große Rolle in der Show spielen werden. Und in einer Ecke singen eine Zehnjährige herausgeputzt mit einem glitzernden Rock mit Mama und Papa den Refrain von "Viva La Vida".
"Große Konzerte sind zurzeit eine der raren Gelegenheiten, wo viele unterschiedliche Leute friedlich zusammenkommen", hatte Coldplay-Sänger Chris Martin kurz vor den Wien-Konzerten in einem Interview gesagt. "Das ist dieser Tage ungewöhnlich. Aber uns ist es wichtig, so eine Gelegenheit zu bieten."
Wie perfekt sie das können, zeigen Coldplay mit ihrem ersten Song "Higher Power". Zugegeben, dahin zu kommen, war ein Geduldspiel.
Nach dem Dimmen des Stadionlichts gab es erst einmal eine halbe Stunde Videoeinspielungen, die die Arbeit von Umweltinitiativen vorstellten, die Coldplay mit den Ticketeinnahmen unterstützen. Interessant. Aber fünf Minuten davon hätten gereicht.
Ein optisch spektakulärer Beginn des Coldplay-Konzerts
Und dann noch einmal das lange Ambient-Intro vom jüngsten Album "Music Of The Spheres", nachdem die Tournee benannt ist.
Aber jetzt endlich sind sie auf der Bühne, legen mit "Higher Power" los, einem der Hits dieses Albums. Die mit LED-Lichtern bestückten Armbänder leuchten auf, tauchen das ganze Stadion bis zum obersten Rang in ein rotes Lichtermeer, machen das Publikum zum Teil der Show. Da stellt es sich gleich ein, dieses schöne Gefühl eines Gemeinschaftserlebnisses. Es wird heute Abend noch viele mehr solcher Momente geben.
Doch zuerst geht es nach dem optisch spektakulären Beginn schnell nur um die Musik. Für die älteren Hits "Paradise" und "The Scientist" zieht sich Martin, der vorher auf dem langen Steg zur Zweitbühne die Leute anfeuerte, ans Klavier auf die Hauptbühne zurück. Danach wechseln Coldplay zwischen den elektronischen Pop-Songs ihrer jüngeren Karriere und den rockigeren Songs ihrer Anfangstage hin und her.
So geschickt, dass man nie länger als zwei Songs auf einen der älteren Hits wie warten muss, wenn man die bevorzugt. Andererseits bewirken die Unterschiede im Sound etwa zwischen dem hart rockenden, mit bluesigen Tönen unterfütterten "God Put A Smile Upon Your Face" und seichteren Electro-Popnummern wie "My Universe" (und der ständige Wechsel dazwischen), dass sich das Konzert nicht konsistent anfühlt, keinen Aufbau hat, der die Spannung stetig steigert und zum Schluss zu einem Höhepunkt führt.
Wie Chris Martin die Fans in Wien einbezieht
Die Show macht da einiges wett. Zwischendurch liefern immer wieder die Armbänder Highlights, wenn sie bei "Human Heart" rote Herzen auf die Zuschauerränge zaubern oder bei "Yellow" gelb strahlen. Dass sich gerade bei Letzterem dann noch der gelbe Supermond über den Rand der Stadiondachs hebt, macht dem Moment nur noch zauberhafter.
Chris Martin, einer der charismatischsten Frontmänner, den die Szene hat, ist tatsächlich permanent bemüht, das Publikum einzubeziehen. Am Ende des ersten Drittels liest er auf der Mittelbühne die Transparente, die ihm die Fans vor die Nase halten - weil sie wissen, dass er an dieser Stelle immer jemanden mit einem speziellen Musikwunsch zu sich bittet.
Diesmal sind es Talisa und ihre Mum Maria. Alleine am Klavier spielt er für die beiden "Everglow", entschuldigt sich bei ihnen, dass es nur eine sehr kurze Version ist, aber er hat noch etwas anderes vor: "Wien war in den letzten Wochen für all die falschen Gründe rund um die Welt in den Schlagzeilen", sagt er. "Aber was bei uns angekommen ist, ist die Schönheit, die Gemeinschaft und die Freundlichkeit aller Taylor Swift Fans."
Eindrucksvolles Statement gegen Terror
Deshalb holt er sich zwei Swifties auf die Bühne, bittet noch Maggie Rogers, die neben Oska einer der Support-Acts war, auf die Bühne und spielt mit ihnen den Taylor-Swift-Song "Love Story". Nicht, ohne ihn vorher auch "all den jungen Menschen, die einer Gehirnwäsche unterzogen und zu dummen Taten getrieben werden", zu widmen. "Auch ihnen schicken wir unsere Liebe." Fast beiläufig sagt er das, so als wäre es die selbstverständlichste Reaktion - was dieses Statement gegen den Terror nur noch eindrucksvoller macht.
Es sind aber auch die kleinen Gesten von Martin, die das Konzert zu der schönen Feier der Gemeinschaft machen, die es ist. Immer wieder animiert er die 60.000 Besucher zum Mitsingen, so als ob die eingängigen Oh-oh-oh-Passagen bei Songs wie "Viva La Vida" oder "A Sky Full Of Stars" das nicht schon genug tun würden. Und dann freut er sich über "eine Stadt voll Opern-Sängern".
Ein anderes Mal improvisiert er Texte zu einer kurzen Melodie über küssende oder sich umarmende Menschen im Publikum, die von Kameras eingefangen werden. Und dieser permanente Dialog und Austausch mit seinen Fans, seine Art, das Konzert mit ihnen, anstatt für sie zu spielen, macht ihm sichtlich riesigen Spaß.
Großes Coldplay-Finale im Ernst-Happel-Stadion
Zum Schluss schweben Planeten in das Stadion, reihen sich vor den Rängen auf, erinnern daran, dass die Show in vier Akte zum "Space Thema" gegliedert war. Aber auch da gab es keine Kohärenz, keinen klar ersichtlichen Aufbau. Und der Auftritt mit Alien-Masken bei "Infinity Sign" mutete sogar kindisch an.
Am Ende zeigte das erste der vier Coldplay-Konzerte im Ernst-Happel-Stadion deutlich: Diese Musiker sind immer noch am besten, wenn sie mit ihren Instrumenten dicht neben einander stehen und drauflos spielen. Schon allein das würde ausreichen, um das angestrebte Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Gepaart mit Feuerwerk, Konfettiregen und der Armband-Lichtshow wird ein Auftritt von Martin und seinen Freunden aber zum unvergesslichen Erlebnis.
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