Am Anfang sind alle tot, am Schluss sind alle tot, und dazwischen zerstäubt aller Reichtum und alle Macht, und fast nichts bleibt übrig: Robert Carsens Neuinszenierung des „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen erzählt das Erfolgsstück als Spiel vom Sterben des neureichen Mannes von heute.
Philipp Hochmair steht im Zentrum einer Inszenierung, die alles Folkoristische beiseite räumt, stattdessen in reichhaltigen, großen Bildern von der bitter endenden Lebensparty eines heutigen Problemmilliardärs erzählt – aber bei dessen Läuterung letztlich in der Behauptung verharrt. Nach der Premiere am Domplatz gab es viel Zustimmung für alle und besonders für Hochmair, der, nach langem öffentlichen Streben nach dem „Jedermann“, endlich am Domplatz angekommen ist.
Dieser Jedermann schwelgt im absurdesten Prunk: Der Salzburger Dom selbst ist sein Zuhause – allerallerbeste Lage, und wenn Sie fragen müssen, wieviel es kostet, können Sie es sich nicht leisten. Es gibt beim neuen „Jedermann“ kaum Kulissen. Aber größer als durch den Dom selbst kann Carsen die Schere zwischen Arm und grotesk Reich ohnehin nicht illustrieren, die seit Hugo von Hofmannsthals Lebzeiten zuerst zu- und zuletzt wieder aufgegangen ist: Ein Haus, und sei es noch so groß, kann jeder kaufen. Aber der katholischen Kirche eine Immobilie streitig machen kann nur, wer lächerlich viel Geld hat.
Apropos lächerlich: Jedermann fährt in der Goldlimousine vor – und dreht mit dem Smartphone erstmal eine Selfierunde durch seine Besitztümer.
Denn Reichtum ist gut, andere neidig machen aber ist besser. Um derartige Typen – man kennt sie aus den Medien – schwirren verlässlich die sekundär Geld- und Machtgeilen herum, jene Schmarotzer-Follower, die sich am fremden Reichtum aufganseln und hoffen, dass etwas abfärbt (oder sie zumindest auf Kosten anderer feiern können). Gemeinsam machen sie sich die Welt, wie sie ihnen gefällt – das Geschirr ist golden, die Discokugel gewaltig, der Alkohol endlos.
Derartiger Hedonismus ist, man will ja im Theater schließlich eine bessere Gesellschaft herbeispielen, natürlich auf tönerne moralische Füße gebaut. Hochmairs Jedermann knickt dann auch gleich beim ersten Auftritt des Todes (stark: Dominik Dos-Reis) ansatzlos ein. Wie jemand, der schon lange das Pyramidenspiel seiner Existenz nur noch aufrecht erhalten konnte, indem er die inneren Kredite laufend umschuldete. Dieser Jedermann stand im Leben offenbar schon fatal im Minus, bevor der Tod ausgerechnet als Catering-Kellner – muss man in den Tod wie der Pöbel reisen? - ihn von jetzt auf gleich in den existentiellen Konkurs warf.
Da flieht dann auch seine Gefolge so schnell wie scheu gewordene Investoren angesichts eines faulen Kredits: So formlos sah man die Buhlschaft wohl noch nie ihren Jedermann aufgeben, zur Seite gezerrt von der rettenden Freundin, Stempel drunter und Schluss. Schade!
Von Deleila Piasko hätte man – so wie von Andrea Jonasson als Jedermanns Mutter - gern mehr gesehen als die Buhlschaften-Pflicht. Piasko entkam zwar in manchen Momenten dem Domplatz-Deklamationston genausowenig wie Hochmair, aber gab eine auf interessante Weise herausfordernde Buhlschaft: keine leichte Beute für einen neureichen Schwächling, sondern eine Frau, für die Reichtum die Basis ist, von der aus erst über die wirklich wichtigen Details einer Beziehung zu reden sein wird. Die Inszenierung schlägt sich hier zu sehr auf die Seite Jedermanns – und lässt so innere Spannung liegen.
Dass Piasko zuerst im Bademantel auftritt, wäre einst wohl Diskussionsstoff gewesen – die Buhlschaft hatte viele Jahrzehntelang vorderhand mit modischem Prunk zu betören.
In der Neuinszenierung aber ist das stimmig. Denn Carsen verweigert dem Salzburger Erfolgsstück, zum Glück, jeden Anflug von Bühnennostalgie nach vermeintlich besseren Theaterzeiten. Er macht stattdessen wirklich große Party mit viel Personal, Gruppenchoreografie wie in einem MTV-Video und Go-Go-Tänzern: Dieser Jedermann hat die Gegenwart im Visier, nicht die Vergangenheit.
Vielleicht am präzisesten getroffen ist dieses Anliegen bei der Schuldknecht-Szene. Arthur Klemt ist kein armer Schlucker, den der reiche Jedermann ruiniert. Sondern ein gefallener Gleichwertiger, der eben noch genauso reich war wie sein Schuldiger, sich aber – er hat Häuser mit fremden Geld gebaut, das kennen wir doch – verstolpert hat. Und der nun nur noch eines ist: eine gute Klatschgeschichte. Er und seine Frau (Nicole Beutler, die später auch die Buhlschaft rettet) werden nach der Pleite von Kamerateams bedrängt – und vom Geschäftspartner kaltblütig im Stich gelassen. Sorry, ist nichts Persönliches, nur Business.
Die Strafe infolge der Jedermann-Rufe ereilt ihn dann mitten in der Party, und so fängt sie an, die Enttäuschungstour durch das eigene Leben. Der Mammon (Kristof Van Boven) ist ein gleich gewandeter Klon Jedermanns, der nach einem sarkastischen Monolog die Insignien der Ultrareichen abtransportiert: die Großkunst wie den „Salvator Mundi“ oder die „Goldene Adele“ nämlich, die die Reichen dann zu sammeln beginnen, wenn sie gar nicht mehr wissen wohin mit dem Geld. Und er nimmt auch gleich das letzte Hemd Jedermanns mit.
Die Vetter (Lukas Vogelsang, Daniel Lommatzsch) ereilt akute Unlust, mit in den Tod zu gehen, und zur Sicherheit noch ein Zehenkrampf. Und der vermeintlich gute Geselle entpuppt sich überhaupt gleich als der Teufel: Christoph Luser hat, mit rot leuchtenden Augen und flammendem Schritt, einen überaus starken Auftritt am Schluss.
Da hatten die mageren Werke (Dörte Lyssewski) dem Jedermann schon den Glauben als letzten Ausweg anempfohlen. Dass Regine Zimmermann diesen als Putzfrau auf die Bühne bringt, der Jedermann sich dann geläutert ein Büßergewand überstülpt und den Armen, die inzwischen aus dem Publikum – das will uns etwas sagen! – auf die Bühne gekommen waren, die Füße wäscht, ist der Dreh zuviel dieser Inszenierung: Ganz bruchlos ist das nicht darzustellen, aber hier steigt man selbst aus dem Glauben aus. Hochmair nimmt man den Lebemann ungleich mehr ab als den Gläubigen.
Die letzte Szene holt einen dann aber doch noch einmal zurück: Jedermann steigt in ein Grab, das sich vor dem Dom auftat, das gesamte Personal des Abends kommt weiß gewandet auf die Bühne – und stirbt, zuletzt sogar der Tod selbst.
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