Ein seichtes Lehrstück darüber, wie man die Masse infiltriert

So einfach ist es, die Menschen für eine Bewegung zu begeistern: Die Animateure machen es vor, die Zweifler gehen unter
Eine derart vage Angabe gab es wohl noch nie in der langen Geschichte der Salzburger Festspiele: Im Programmheft zu „Spiegelneuronen“ wurde die Aufführungsdauer mit „ca. 70 – 100 Minuten“ angegeben. Denn es handelte sich ja um eine „Versuchsanordnung“ mit dem Publikum als Probanden. Würden es willig mitmachen? Oder sich destruktiv verhalten?
Doch der Veranstaltungsort, die Szene Salzburg, signalisierte schon, dass andere Maßstäbe gelten als in der Felsenreitschule. Und wie die Uraufführung am Mittwochabend bewies: Stefan Kaegi, Mitbegründer von Rimini Protokoll, überließ nichts dem Zufall. Die Demonstration dauerte exakt 80 Minuten – wie auf der Anzeigentafel beim Eingang angekündigt. Die Masse lässt sich eben manipulieren, die Skeptiker gehen förmlich unter.
Verbrämt wurde der Befund als heitere, ja fröhliche Mitmach-Show, die viele beglückte. Denn die Zuschauer saßen von Beginn an vor einem riesigen Spiegel (aus 50 quadratischen Elementen), und Kaegi wartete, was passieren würde. Man suchte sich, weil man nichts Besseres zu tun hatte, im Spiegelbild und winkte sich zu.
Explizite Aufforderung
Dazu vernahm man mehr oder weniger luzide Kommentare von Wissenschaftlern, bei Proben aufgezeichnet, aus dem Off. Manche Gesten seien eben ansteckend, und man mache auch ohne explizite Aufforderung mit. Doch das war schon die explizite Aufforderung. Und schließlich: „Warum nicht mitmachen? Join in!“
Der Trick war, dass auf der Tribüne sieben Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie Sasha Waltz & Guests saßen, die als Drahtzieher und Animateure fungierten. Man erkannte sie nicht gleich, aber immer mehr Menschen schlossen sich an, ahmten zur Synthesizer-Musik von Tobias Koch die fließenden Bewegungen der Arme nach. „Sie bilden ein Ensemble! Great!“ Die Lichtstimmungen wechselten immerzu, es entstanden im Spiegel durchaus faszinierende Bilder.
Und Stefan Kaegi spielte nacheinander alle Atouts aus, die man von Popkonzerten oder Clubbings kennt, er warf das pulsierende „Supersonic“ von Sylvermay in die Schlacht und Unmengen an gelben Luftballons, die man einfach nicht zu Boden fallen lassen konnte. Die Spiegel stellten sich schließlich als semitransparent heraus, Kaegi überlagerte das Livebild mit Projektionen in Zeitlupe. Und als finalen Höhepunkt stachelte er zu Karaoke auf – zu „Creep“ von Radiohead. Der Song passt zum Thema – und funktioniert jedes Mal!
Natürlich wurden nebenbei auch die Schattenseiten von Masse, Macht und Manipulation angesprochen. Doch Kaegi, der das Publikum quasi infiltriert hatte, thematisierte die Gefahr von politischen „Bewegungen“ viel zu oberflächlich. So hinterließ die umjubelte Show bei den Zweiflern einen ziemlich schalen Nachgeschmack.
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