Mit Spraydose und Handy – fürs Social Media! – bewaffnet schleicht die letzte Generation auf die Bühne des Großen Festspielhauses. Dort sprayt sie die Reichen-Trutzburg des Jedermann mit Farbe an – wie kürzlich, in echt, ein paar Luxusgeschäfte. Schließlich führen die Reichen ein Leben der überdimensionalen Klimaverpestung.
Klar, Theater. Der neue "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen fängt mit inszeniertem Klimaprotest an.
Wenig später dann schallt es aus dem Publikum: „Wir sind die letzte Generation!“ – eine kurze Aufregung, ein paar Männer werden rausgetragen. Und später dann die Ernte auf Social Media: Man habe den Jedermann gestört, weil – Pointe! – Jedermann sich ums Klima kümmern müsse, schreibt die echte Letzte Generation.
Aber war das jetzt wirklich echter als der Protest auf der Bühne? Wurden die hier nicht eher theatral enteignet? Und hat das echt im Publikum niemanden gekümmert?
Was für ein fadenscheiniges Protesttheater, denkt man sich, und welch groteske, absurde Pointe, dass die Klimaprotestierer wirklich eine Aufführung stören, die ihnen weit mehr hälfe, wenn man sie ungestört abspulen ließe. Denn der neue Jedermann Michael Maertens ringt zu seinen vielen Aufarbeitungsherausforderungen hinzu in der einen Stunde vor seinem Ableben diesmal ohnehin mit dem Zentralanliegen der Protestierer – mit seiner Klimabilanz.
Unter die Haut
Es beginnt düster: Anja Plaschg, bekannt als Popsängerin Soap & Skin, die die allerdunkelsten Seiten der Existenz zu Liedern macht, beschwört als Glaube die Hinfälligkeit allen Seins.
Nein, das wird kein leicht verdaulicher Theaterhappen mit ein bisserl wohliger Endlichkeitsbewusstmachung, das war da schon klar. Es wurde ein abstrakter, harter, heutiger Jedermann.
Dessen Herrschaftshaus steht in einer verdorrten Mondlandschaft; draußen leben, vor dem Klimakollaps nicht durch Reichtum geschützt, die normalen Menschen, die zwar vielleicht Schnitzel essen dürften, aber es gibt halt keines mehr. In Plastiklumpen gepackt, stürzen sie sich auf den Reichen. Dass sich dieser einen Lustgarten kaufen will, klingt hier plötzlich ganz anders: Natur, das muss man sich mal leisten können.
Zu ebener Erd und erster Stock heißt hier: Unten stirbt man. Oben hat man Klimaanlage.
Aber auch des Jedermanns Tischgesellschaft, eine bunte Truppe postkapitalistischer Party-Menschen, hat wenig zu feiern: Beim Feste zu Ehren des Todgeweihten gibt es nur leere Teller.
Stummer Schrei nach Liebe
Regisseur Michael Sturminger hängte neuen Hauptdarstellern bereits mehrfach neue Inszenierungen um. Diesmal dekonstruiert er für Maertens die Mär von der Läuterung: Nein, auch das Publikum hört vorerst den markerschütternden „Jedermann“-Schrei nicht. Wir sind alle die, die die existenzielle Not, das Rufen des Jenseits nicht hören, gerade dann nicht, wenn sie im Publikum rumbrüllt.
Dieser Jedermann verweigert sich der Folklore oder trägt sie erst dann, gebrochen, nach, wenn es ihm in den Kram passt.
Und nein, es gibt auch keine prunkvolle Buhlschaft, auch hier verweigert man sich der Befriedigung von Erwartungshaltungen: Valerie Pachner trägt Hose und Blumen im Haar, und später dann das Kostüm des Todes: Sie holt Jedermann heim, ohne sich vorher theatral von ihm zu trennen.
Unterwegs zum Glaubensbekenntnis küsst der Jedermann den Mammon (Mirco Kreibich) auf den Mund, wird vom guten Gesell (Helmfried von Lüttichau) und seinen Vettern (Bruno Cathomas und Fridolin Sandmeyer) emotionslos links liegen gelassen, und am Schluss liefern sich der Glaube und eine Teufeline mit Penis (Sarah Viktoria Frick) ein Gesangsduell um die Seele des Sünders.
Das Ganze ist von einer Kühle, von Distanz getrieben: Maertens ist kein eitler, kein demütiger, kein selbstmitleidiger Jedermann (alles schon gesehen). Er ist eine Figur, die sich ihrer Rolle fügt, die den Sprung zum Glauben schafft, weil es dann eben sein muss, die sich von den übrigen Menschen im eigenen Leben eh nicht mehr erwartet hätte, ein von der großen Sterbemaschine Herumgerissener, der mitspielt.
Ihn umgeben, mehr als sonst, Figurenideen anstatt Menschen. Die diesmalige Ausformulierung des Jedermann fordert Lob für ihre Kunstfertigkeit, sie kassiert Indie- (Soap & Skin!) und Bonuspunkte für die Interpretationsherausforderung ein und wendet sich an den Verstand und weniger ans Gemüt.
Das ist, das kann man hier wohl postulieren, eher nicht das, was das Publikum im Allgemeinen sucht – keine liebgewonnene Kulturroutine, sondern eine Variation über die Herausforderung des Sterbens.
Das, das Sterben des reichen Mannes, wird berührend eingelöst: Ein riesiges schwarzes Tuch verhüllt nicht nur den toten Jedermann, sondern den Rest der Welt, den wir hinterlassen hatten. Die letzte Generation, das war hier der Jedermann.
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