Immer müssten, so notierte Stefan Zweig, „Millionen müßige Weltstunden verrinnen, ehe eine wahrhaft historische, eine Sternstunde der Menschheit in Erscheinung tritt“. Für einen 1927 veröffentlichten, ungemein erfolgreichen Sammelband mit fünf „Miniaturen“ über schicksalhafte Begebenheiten, die von 1912 an in diversen Medien publiziert worden waren, wählte der Autor den Titel „Sternstunden der Menschheit“; mit der Zeit kamen weitere hinzu, posthum wurden es gar deren 14.
Einen roten Faden gibt es nicht. Denn mitunter handelt es sich nicht um „Sternstunden“, sondern um bittere Niederlagen. Und manche hatten auch keinen Einfluss auf das Rad der Geschichte. Aber Zweig dürfte ein Faible für scheiternde Helden gehabt haben. Und so widmete er eine seiner „Miniaturen“ nicht Roald Amundsen, sondern Robert Scott, der den Südpol erst einen Monat später erreichte – und auf dem Rückweg zum Lager starb.
Aber jede einzelne Geschichte (oder fast) liest sich spannend. Denn Zweig erzählt zumeist im Präsens wie faktenbasiert. Und so fiebert man mit, auch wenn man das Ende kennt. Byzanz wurde erobert, der Pazifik entdeckt, das Transatlantikkabel verlegt, Napoleon geschlagen.
Sicher, es gibt unter den Miniaturen neben einer Dialogpassage auch einen kleinen Dreiakter über Leo Tolstoi. Aber wie will man das – inklusive Goldrausch, Händel, Goethe, Lenin et cetera – in einer Dramatisierung unter einen Hut bringen?
Gar nicht – jedenfalls in der „Neuinszenierung“ der Festspiele in Koproduktion mit dem Residenztheater München, die am Samstag im Salzburger Landestheater Premiere hatte. Der Schweizer Regisseur Thom Luz ging wohl davon aus, dass die „Sternstunden“ bildungsbürgerliches Grundwissen sind, er daher die Geschichten nur beiläufig anteasern müsse, und man wisse ohnedies, wofür zum Beispiel die Kabeltrommel steht. Wie sich beim verhaltenen Applaus samt einigen Buhs für Luz herausstellte: Man weiß es nicht.
Wer sich aber brav vorbereitet, dürfte viel Freude mit dem recht raffinierten Mashup (in nur 90 Minuten!) haben. Denn Bühnenbildner Duri Bischoff hat eine Art Schaulager eingerichtet, vollgestopft mit ikonischen Objekten der Geschichte und der Heldenverehrung. Der Vier-Masken-Kopf von Jakob Adlhart (aus 1926) vor dem Festspielhaus darf da natürlich nicht fehlen. Denn von 1919 an lebte der Pazifist Zweig in Salzburg.
Am 18. Februar 1934, ein Jahr nach der Machtübergabe an Hitler in Deutschland und wenige Tage nach dem Bürgerkrieg in Österreich, wurde Zweigs Haus von Polizisten nach Waffen durchsucht. Zwei Tage später emigrierte der Schriftsteller nach London, 1940 ging er nach Brasilien. Am 23. Februar 1942 nahm er sich zusammen mit seiner zweiten Frau in Petrópolis das Leben.
„Sprechende“ Objekte
Luz hat zwar (im Gegensatz zu Zweig in den Untertiteln seiner Miniaturen) kein eindeutiges Datum fixiert. Doch das Scheitern des hellsichtigen Autors ist quasi die 15. Sternstunde – und die einzige, die nachvollziehbar erzählt wird. Sechs heterogene Museumsbesucher, bunt gekleidet, erobern sich das angestaubte Schaulager: Es gibt tatsächlich „sprechende“ Objekte (auch das komplexe, wirkungsvolle Sounddesign ist von Thom Luz) – und aus der Menschenkanone, die man vom Zirkus her kennt, kullern Papierbällchen: zerknüllte Briefe von Stefan Zweig ab 1933 („Die Luft riecht nach Pulver“). Die Sätze des Kassandrarufers klingen beklemmend aktuell.
Untermalt wird das turbulente Geschehen (es gibt Styroporobjekte ohne Ende) von einer vierköpfigen Band, die – als Kontrast – brasilianische Musik voll Lebensfreude spielt. Und zum Schluss wird Zweigs betrübliches Ende mit jenem von Cicero gegengeschnitten. Das wirkt eitel, liegt aber biografisch nahe und funktioniert. Der Zitatenschleuder-Abend ist dennoch eine Herausforderung.
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