Markus Hinterhäuser hat eine harte Zeit hinter sich. Nicht nur aus familiären Gründen und Zwistigkeiten mit Kristina Hammer, der Präsidentin der Salzburger Festspiele: Er litt unter „wirklich intensiven Rückenschmerzen“. Monatelang konnte er nicht Klavier spielen. Wiewohl dieses sein „Ladekabel“ sei: „Das brauche ich zum Aufladen meiner Batterien.“ Ein Konzert im Sommer 2023 musste er absagen. Aber heuer will der Intendant wieder als Pianist auftreten – am 1. August mit Kompositionen von Arnold Schönberg zu dessen 150. Geburtstag.
Mitunter wird ihm vorgeworfen, den erfolgreich eingeschlagen Weg bloß weiterzugehen und auf bewährte Kräfte zu setzen. „Dieser Gier, ständig etwas vermeintlich Neues bieten zu müssen, der kann und möchte ich nicht folgen“, sagte er der APA. „Es gibt einen wunderbaren Satz des Künstlers Martin Kippenberger: ‚Ich kann mir nicht jeden Monat ein Ohr abschneiden!‘“ Auf den Einwurf, dass ein Intendant ungleich mehr Möglichkeiten als Ohren habe, führt er Entdeckungen ins Treffen, etwa die Dirigenten Maxime Pascal und Raphael Pichon sowie die Sängerinnen Asmik Grigorian und Ausrine Stundyte: „Joana Mallwitz hat hier zum ersten Mal die Wiener Philharmoniker dirigiert, heuer ist es Mirga Grazinyté-Tyla.“
Neueinstudierter "Don Giovanni"
Er sei zudem nicht bereit, eine Produktion nach einer Saison „einfach verschwinden“ zu lassen. Daher ist der „Don Giovanni“ von Romeo Castellucci ab 28. Juli zu sehen – aber nicht als Wiederaufnahme, sondern als Neueinstudierung: „Diesem Ennui, der mir zum Teil von der Kritik entgegengebracht wird, dem will ich nicht folgen.“
Er möchte auch nicht „einem Ludwig XIV. der Kultur gleich“ Kompositionsaufträge vergeben. „Wenn eine Uraufführung das Einzige sein sollte, das zählt, muss ich sagen: Nein, hab’ ich nicht gemacht. Werde ich aber vielleicht noch tun.“ Sein Vertrag wurde im April bis 2031 verlängert (samt Ausstiegsmöglichkeit 2029). Konkretes ankündigen will er aber nicht: „Ich bin vollkommen außerstande, Fünf-Jahres-Pläne zu machen, ich leite auch keine Kultur-Kolchose“, sagte er zu den Salzburger Nachrichten. „Es passieren so viele Dinge in der Welt, die Salzburger Festspiele brauchen auch die Möglichkeit einer unmittelbaren Reaktion darauf.“
Spiel mit der Existenz
Das sehe man auch am Programm 2024: „Eine Oper wie ‚Der Spieler‘ von Sergej Prokofjew ist emblematisch für unsere Zeit, in der man mit allem spielt: mit Bitcoin, mit Kryptowährungen, mit unserem Klima, mit unserer Welt, mit unserer Existenz.“ Hinterhäuser denkt dabei an Neureiche wie René Benko, er bringt „Jedermann“ und „Der Spieler“ in einen Zusammenhang: „Es geht um die Frage: Was bedeutet Reichtum? In welche Katastrophen führt er uns? Welche Art von Läuterung kann es geben?“
Die Basis für „Der Spieler“ ist ein Roman von Fjodor Dostojewski – wie auch bei „Der Idiot“ von Mieczysław Weinberg, einer äußerst selten gespielten Oper: Sie fungieren für Hinterhäuser als „Anker“ des Programms. Und auch „Der Mensch in der Revolte“ von Albert Camus sei entscheidend gewesen: „Ein Satz darin lautet: ‚Ich revoltiere, also sind wir.‘ Das ist ein Aufruf an eine Gemeinschaft.“ Die Revolte als innere Auflehnung gegen einen Zustand.“
Kein "Schmalspur-Che-Guevara"
Die Möglichkeiten des Festivals seien jedoch beschränkt: „Wir können nicht die Klimakatastrophe lösen, wir können nicht diesen scheußlichen Krieg in der Ukraine lösen, wir können nicht das Hamas-Israel-Problem lösen. Wir können keine Antworten geben, aber wir sind verpflichtet, Fragen zu stellen, die dann vielleicht doch zu einer Stärkung unseres Bewusstseins führen.“
Hinterhäuser nimmt die Politik in die Verantwortung: Sie habe die „Big Points“ zu machen. Auf die Frage, ob das nicht zu wenig ist, kontert er: „Soll ich mich jetzt als Schmalspur Che Guevara gerieren? Das tue ich nicht.“
Milo Rau, der Kollege von den Wiener Festwochen, hat dies heuer ohnedies überstrapaziert – mit Revolutionsattitüde und „Steht auf!“-Hymne. In News kritisiert Hinterhäuser dessen Entscheidung, das „War Requiem“ unter dem Dirigat von Teodor Currentzis abgesagt zu haben: Diese sei „kleinmütig“ gewesen, „um das Wort feige zu vermeiden“.
Er hingegen steht weiter zu Currentzis, der in Russland arbeitet: Die Festspiele begannen am Freitag mit der von ihm dirigierten Matthäus-Passion.
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