Salzburg stand immer konsequent zu ihm, überhaupt scheint die „cancel culture“ vielerorts bereits überholt, nicht nur in seinem, auch im Fall von Anna Netrebko, und man kann sich wieder auf die Musik konzentrieren, was beim Eröffnungskonzert der „Ouverture spirituelle“ bei den Salzburger Festspielen eine reine Freude war.
Die Aufführung von Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ mit Currentzis, dem von ihm gegründeten Utopia Orchestra, dem Utopia Choir und erstklassigen Solisten geriet zum intensiven, berührenden Ereignis. Die größten Festspiele der Welt beginnen mit Bachs größtem Werk in einer derart mustergültigen Lesart – dafür gab es Standing Ovations im Haus für Mozart.
Currentzis war jahrelang bekannt dafür, keine Scheu vor Showeffekten, auch vor Umstellungen innerhalb der Partitur zu haben. Diesmal wirkte er auch diesbezüglich gereift, fokussiert auf die Essenz, auf eine feinfühlige Lesart, eine dramaturgisch raffinierte Entwicklung des Leidens und Sterbens Jesu – und auf einen farbenprächtigen, nuancierten Klang mit den grandiosen Musikern seines auf alten Instrumenten spielenden Ensembles. Die neue Konzertmuschel im Haus für Mozart, die einen warmen, klaren, transparenten Klang ermöglicht, trug das Ihre dazu bei.
Die einzigen Effekte gab es bezüglich einer vorsichtig eingesetzten Lichtregie, wenn etwa der Chor das berühmte „Wenn ich einmal soll scheiden“ phänomenal im Pianissimo und im Dunkeln gestaltet. So bewegend hört man das selten.
Die Solisten
Grandios agierte der deutsche Tenor Julian Prégardien als Evangelist, der praktisch durch die ganzen dreieinhalb Stunden führt, mit schönem Timbre, nobler Phrasierung, aber auch viel Kraft, wenn er sie benötigt. Eine Meisterleistung.
Florian Boesch ist ein ausgezeichneter Jesus mit ausdrucksstarkem Bariton und schöner Phrasierung. Regula Mühlemann (Sopran), Wiebke Lehmkuhl (Alt), Andrey Nemzer (Countertenor), David Fischer (Tenor) und Matthias Winckhler (Bass) komplettierten das famose Solistenensemble.
Nach dem Schlussakkord zelebrierte Currentzis gut 20 Sekunden lang die absolute Ruhe, das Publikum folgte ihm mucksmäuschenstill, ehe Jubel ausbrach. Ein Festspielauftakt, wie er besser kaum sein hätte können. Und der Beweis, dass gerade heute, da alles laut und politisch aufgehetzt ist, ein spiritueller musikalischer Fokus ganz wichtig sein kann.
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