Nur mit Kreativität ist die Zukunft zu meistern

Kinder müssen lernen, die Datenflut richtig zu nützen, sagt Lehrer Kurt Söser.
Der Wandel ist fix. Jetzt gilt es, dessen Chancen zu nützen, sagt Mathematiker und Visionär Kurt Söser.

In seinem Klassenzimmer hat die Zukunft längst begonnen. Neue Technologien setzt er so klug ein, dass Microsoft ihn jetzt zum Expert Educator ernannt hat. So will der Mathematiklehrer Jugendliche auf die Welt von morgen vorbereiten.

KURIER: Die Welt wird komplexer. Wie machen Sie Jugendlichen klar, dass sie sich rasant verändert?

Kurt Söser:Meinen Schülern sage ich z. B., dass sie noch einen Führerschein machen werden, aber ihre Kinder wohl nicht mehr. Das ist der Punkt, wo sie selbstständig zu denken beginnen über das, was die Zukunft bringt. Fix ist: Der Wandel kommt, er ist unumkehrbar und geht immer schneller vonstatten. Jetzt gilt es, das Beste daraus zu machen, die Chancen zu nutzen und dem Wandel positiv gegenüberzustehen.

Ministerin Sonja Hammerschmid hat angekündigt, dass sie die digitale Kompetenz fördern will.

Die Schule wurde in den vergangenen Jahren mit so vielen Reformen konfrontiert, etwa Zentralmatura, Bildungsstandards oder neue modulare Oberstufe. Da verstehe ich, dass Lehrer nicht schon wieder Neuerungen wollen. Aber digitale Kompetenzen müssen definitiv in der Schule vermittelt werden.

Wie die Zukunft aussehen wird, können wir nur erahnen. Wie sollen wir Kinder darauf vorbereiten?

Die Kreativität ist die wichtigste Kompetenz überhaupt, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Ein Beispiel: Das Internet liefert uns eine wahre Datenflut, doch selbst große Konzerne wissen oft nicht, was sie damit anfangen sollen. Es sind Menschen, die diese kreativ nützen müssen. Nehmen sie die App Runtastic – mittlerweile ein millionenschweres österreichisches Unternehmen, das die riesige Datenmenge seiner User nutzt. Es waren Menschen, die daraus eine Geschäftsidee gemacht haben.

Was heißt das für Sie als Mathematiklehrer? Welche Inhalte bleiben wichtig?

Wie man Daten ausgewertet, Prognosen erstellt und wie Kennzahlen zu interpretieren sind, müsste ein größeres Gewicht bekommen. Im Gegenzug kann man auf vieles verzichten – es muss nicht jeder das Integrieren oder rein technische Prozesse beherrschen. Was bleibt: Menschen brauchen einen Hausverstand und müssen einschätzen können, ob Zahlen und Größenordnungen stimmen. Technologie ist und bleibt immer nur ein Werkzeug. Wenn ein PC z.B.berechnet , dass es auf ein Sparbuch 27 Prozent Zinsen gibt, muss einem der Hausverstand sagen, dass das nicht stimmen kann.

Apropos nicht stimmen: Viele Nachrichten sind computergeneriert. Zudem erhalten wir nur noch die Meldungen, die Algorithmen uns zuteilen.

Medienkritik muss Teil der Bildung werden. Wir müssen Jugendlichen klarmachen, wie wichtig es ist zu überprüfen, was fake ist und was nicht. Das wird immer schwieriger. Ein Beispiel: Adobe (das Unternehmen, das Photoshop anbietet) wird demnächst das Programm VoCo auf den Markt bringen, das in der eigenen Stimme komplett neuen, nicht aufgenommen Text generieren kann. Es reichen kurze Aufnahmen, um einen beliebigen Text in der eigenen Stimme vorzulesen. Dass Manipulationsmöglichkeiten dadurch vielfältig sind, versuche ich z. B. klarzumachen.

Wie sollte denn die Schule organisiert sein, damit Zeit für solche Fragen bleibt?

Das Vermitteln von Fakten und Wissen wird weiterhin evident bleiben. Denn nur wenn ich ein Basiswissen habe, kann ich neue Informationen richtig in mein "Wissensnetz" einordnen. Um aber vernetzt und kreativ denken zu lernen, wäre es sinnvoll, den Fächerkanon zu überdenken und die Frage zu stellen: Was bringt Schüler weiter? Neben der Kreativität ist es die Erfahrung, die wir nutzen, wenn wir uns aus vielen kleinen Dingen etwas Neues kreieren. Darum muss man Schülern ermöglichen, viele verschiedene Erfahrungen aus allen möglichen Bereichen sammeln zu können.

In Großbritannien wird Programmieren schon in der Volksschule unterrichtet. Ein Vorbild?

Programmieren ist sicher die vierte Kulturtechnik neben Lesen, Schreiben und Rechnen. Damit meine ich nicht das Schreiben von Codes. Dass man so früh lernt zu programmieren, ist nicht notwendig. Sinnvoller wäre es, Kindern die Grundprinzipien, die dahinter stehen, zu vermitteln: etwa mit Spielblöcken zu demonstrieren, wie Sortierungsalgorithmen funktionieren. Derzeit stelle ich oft fest, dass Jugendliche neue Medien zwar intensiv nutzen, aber sie wenig über die Hintergründe wissen. Wenn ich in einer Oberstufe frage, wie WhatsApp funktioniert, können mir nicht mal 20 Prozent sagen, dass das ein Server-basierter Messengerdienst ist, wo Nachrichten nicht von Handy zu Handy geschickt werden, sondern das Ganze über Server läuft. Die Hintergründe von täglich genutzten Apps und Tools werden leider oft gar nicht verstanden.

Sind standardisierte Test wie PISA noch zeitgemäß, um Kinder zukunftsfit zu machen?

Ich möchte weder den Druck auf Kinder noch die Schulsysteme von PISA-Siegern wie Singapur haben. Zudem ist "Teaching-to-the-Test" kein Bildungsziel. Ganz abgesehen davon, dass Bildung schwierig zu messen ist. Man vergisst bei all den Daten immer die Schüler, den einzelnen Menschen in seiner Gesamtheit.

Die bisherigen Serienteile:

Teil 1: Der Mensch von morgen: Perfekt, unsterblich - zu allem bereit?

Essay von Helmut Brandstätter: Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören

Teil 2: Der Genetiker Markus Hengstschläger über die Thesen von Yuval Harari

Teil 3: Wie der Mensch den Schwangerschaftscode knacken will

Teil 4: Über die Gefahren der Mensch-Optimierung

Teil 5: Zukunft der Menschheit: Droht das Ende der Demokratie?

Teil 6: Der Mensch ist de facto bereits unsterblich

Teil 7: Singularität - die Angst vor der klugen Maschine

Essay von Helmut Brandstätter: Lern´ was! Ja, aber was?

Teil 8: Leben in der Zukunft: Für immer Feierabend! Und dann?

Teil 9: Wie wahrscheinlich eine gezielte Manipulation des Gehirns ist

Teil 10: Eine Zukunft ohne fixe Arbeitszeiten?

Teil 11: "Das werden Computer nie können"

Teil 12: Die Zukunft von Beziehungen, Liebe - und dem ewigen Leben

Teil 13: Werden Computer den Arzt ersetzen?

Teil 14: "Auch für Google gibt es kein ewiges Leben"

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