Über die Gefahren der Mensch-Optimierung

Enhancement gilt derzeit als Zauberwort und erinnert
Teil 4: Enhancement. Warum es gefährlich werden kann, wenn die Menschheit beginnt, sich selbst zu optimieren
Über die Gefahren der Mensch-Optimierung
Glaubt man Visionären, stehen wir an einem Wendepunkt: Technologie treibt die Evolution voran. Reichen Menschen wird das Beste aus Elektronik, Pharmazie und Gentechnik zur Verfügung stehen, um ihre Fähigkeiten weit über das menschenübliche Maß hinaus zu erhöhen. Optimisten hoffen, dass der Mensch so zum gottgleichen Homo Deus mutiert. Pessimisten fürchten, dass wir Gott spielen, ohne über die Risken nachzudenken. Die Umwelthistorikerin und Wissenschaftlerin des Jahres 2013, Verena Winiwarter, hat darüber nachgedacht und warnt vor Enhancement (Optimierung des Menschen mit Wirkstoffen, Hilfsmitteln und Technologien).

KURIER: Was ist schlecht daran, wenn sich der Mensch optimiert?
Verena Winiwarter: Ich trage seit meinem neunten Lebensjahr Brillen und bin ohne sie recht hilflos, könnte nicht Autofahren, sehr schwer lesen, und würde meinen Beruf nicht ausüben können. Mein Gehirn ist gut genug für ein Leben als Wissenschaftlerin. Warum sollte es also an den Augen scheitern? Und wenn Brillen künftig Implantate werden, was ist der Unterschied zwischen dritten Zähnen im Glas auf dem Nachtkasterl und einem in den Kiefer gebohrten Titanstöpsel, auf dem ein Kunstzahn sitzt? Mit derartigen Argumenten arbeiten Befürworter des Human Enhancement. Es ginge um graduelle Unterschiede.

Bildung ist wahrscheinlich die wirkmächtigste Form von Human Enhancement, die sich die Menschheit in ihrer Geschichte je gegeben hat. Man kann also nicht sagen, dass man dagegen ist. Die Frage ist, in welcher Form man eingreift. Enhancement macht uns einander ähnlicher – je mehr Funktionen von industriell gefertigten Produkten übernommen werden, desto stärker ist diese Gleichmacherei. Schauen Sie sich nur die Botox-Aufgespritzten an – die schauen alle gleich aus. So wird die Homo-Diversität gefährdet.

Warum ist Vielfalt so wichtig?

Über die Gefahren der Mensch-Optimierung
APA16197662-2 - 07012014 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT CI - Die Leiterin der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) an der Uni Klagenfurt, Verena Winiwarter, während eines Interviews mit der Austria Presse Agentur (APA) am Montag, 23. Dezember 2013, in Wien. Winiwarter wurde zu Österreichs "Wissenschafterin des Jahres 2013" gewählt. APA-FOTO: HERBERT P. OCZERET
Stellen Sie sich vor, die Menschheit sei eine Gruppe auf einer Expedition. Jedes Mitglied ist für sich genommen schon überlebensfähig. Wir haben eine gute persönliche Ausrüstung. Das hat die Evolution für uns erledigt. Und was macht die Expedition erfolgreich? Individualität der Team-Mitglieder – einer ist ein guter Organisator, einer ein Kartenleser, einer ein Motivator, einer ein Ersthelfer, einer ist sehr stark. Die erfolgreichste Expedition ist die, die eine große Diversität an Fähigkeiten versammelt und mit dieser Diversität sozial gut umgeht. Auch mit den Schwächen. Der alte Spruch: „Wenn du schnell gehen willst, gehe alleine, wenn du weit kommen willst, gehe zu mehrt“, trifft hier zu.

Jeder Eingriff, der die Diversität beschneidet, ist problematisch. Denn es macht uns verletzlicher, etwa für Seuchen. Dafür gibt es historische Parallelen: Wir leben derzeit von jener Handvoll Kulturpflanzen, die sich industriell gut anbauen lassen, weil sie auf Enhancements – auf Dünger, Züchtung, Genmanipulation zur Erhöhung der Resistenz gegen Insektizide – gut reagieren. Doch das gilt unter Experten als Problem. Eine industriell koproduzierte Menschheit würde genauso funktionieren: Diejenigen, die auf solche Steigerungen gut reagieren und dazu Zugang haben, würden auf Kosten der Vielfalt dominieren.

Welche Gefahren sehen Sie noch?

Ich möchte nicht auf die dauerhafte Zufuhr von Hochtechnologie – etwa irgendwelche Chips – und externer Energie angewiesen sein. Herzschrittmacher sind eine gute Lösung zur Heilung, aber nicht, wenn wir sie alle bei der Geburt bekommen, samt regelmäßigem Batteriewechsel und Austausch der Software. Auch das macht nämlich abhängig und damit verletzlicher. Außerdem erzeugen wir durch die Enhancements techno-biologische Hybride. Wie beim Doping oder bei der Verschreibung von Drogen zur Intelligenzförderung braucht es Regelungen, zumal nicht alle Enhancements gesund sein werden. Das heißt, dass wir ein weiteres Feld gesellschaftlichen Regelungsbedarfs aufmachen.

Auf den Punkt gebracht: Wir domestizieren uns durch Enhancements selbst. Stellen Sie sich das einmal vor: Vielleicht bekämen gerade diejenigen die Enhancements, von denen wir wollen, dass sie auf einer Blumenfarm voller Pestizide besser arbeiten können. Wir würden dann „enhancte“ Arbeitssklaven herstellen. Egal ob zur Veränderung der Eliten oder der abhängigen Arbeitenden – ohne Regelungen würde es nicht gehen, und dieser Regelungsbedarf kostet viel gesellschaftlichen Aufwand. Je komplexer, desto schwerer steuerbar sind Entwicklungen.

Da gibt es doch auch rechtliche Konsequenzen?

Ja, das muss man sich einmal vorstellen: Patentierte Menschen, deren Genom einem Konzern gehört, der ihnen Gebühren abverlangt, weil deren Eltern sich für Enhancement entschieden haben. Der Druck in der Schulklasse oder im Studium, ein paar kleine Änderungen vornehmen zu lassen, um ebenso rasch zu lernen wie die Mitschüler. Besorgte Eltern wären gezwungen, mitzumachen, wenn sie die Berufsaussichten der Kinder nicht gefährden wollen. Wer soll hier regelnd tätig werden? Kinderärztliche Enhancementberatung? Schulpsychologisches Enhancement-Counseling? Enhancement-Beiräte, die gegen industrielle Interessen auf verlorenem Posten stehen? Damit überfordern wir unsere Demokratien noch weiter.

Und unsere Seelen?

Bei all der Zunahme von psychischen Erkrankungen und Selbstmorden, für die wir keine organischen Erklärungen haben, merken wir, dass die Menschen schon jetzt nicht mehr mit der in Beschleunigung befindlichen Welt mithalten können. Enhancement als Ausweg zu sehen, geht meiner Ansicht nach definitiv in die falsche Richtung, weil das der Beschleunigung keinen Einhalt gebietet, sondern die Menschen auf die Geschwindigkeit des Gesellschaftssystems hochdrehen möchte.

Wie wird es aus Ihrer Sicht weitergehen?

Ich glaube, dass wir vor der bislang größten Herausforderung stehen, die die Menschheit je zu bewältigen hatte. Denn es brennt an vielen Ecken und Enden gleichzeitig. Wir müssen mit dem Klimawandel anders umgehen als bisher; wir müssen mit dem Biodiversitätsverlust, inklusive Homo-Diversitätsverlust, anders umgehen. Wir stehen vor dem Moment, in dem wir Menschen möglicherweise von Artificial Intelligence (künstliche Intelligenz) kolonialisiert werden. Wir sind beim Human Enhancement an einem Punkt angelangt, an dem die Gefahr besteht, dass wir die Grundfesten unseres Überlebens gefährden. Das sind menschheitsgeschichtlich noch nie da gewesene, multiple Herausforderungen.

Aber wie konnte das passieren?

Bis vor etwa hundert Jahren konnten wir uns alles ausdenken, ohne aber die technischen Möglichkeiten zu haben, es umzusetzen. Jetzt besteht die Gefahr, dass wir Fantasien – auch diese transhumanistischen Fantasien einer Minderheit – viel zu rasch umsetzen können. Und wir müssen uns entscheiden und haben keine Präzedenzfälle als Entscheidungshilfe. Nämlich: Etwas nicht zu tun, obwohl wir es tun können.

Lesen Sie morgen: Was Big-Data-Forscherin Yvonne Hofstetter über die Auswirkungen von Algorithmen auf die Demokratie denkt.

Teil 1: Der Mensch von morgen: Perfekt, unsterblich - zu allem bereit?

Essay von Helmut Brandstätter: Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören

Teil 2: Der Genetiker Markus Hengstschläger über die Thesen von Yuval Harari

Teil 3: Länger leben ja, Abhängigkeit von "Big Data" nein, sagt der Mediziner Johannes Huber

Verena Winiwarter ist Umwelthistorikerin, „Wissenschafterin des Jahres 2013“, Technikerin und war Dekanin der Fakultät für
Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Uni Klagenfurt.

Sie definiert ihr Fachgebiet, die Umweltgeschichte, als „Lehre von den Nebenwirkungen menschlichen Handelns in der Natur“. Die Wahrnehmung dieses Handelns sei durch die langen Latenzzeiten der Auswirkungen schwierig. Dementsprechend wichtig sei es, „Beipackzettel“ für dieses Handeln zu entwickeln, um die Folgen für kommende Generationen verständlich zu machen.

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