Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören

Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören
Die Evolution steht nicht still. Wir Menschen entwickeln uns weiter, mit digitalen Daten und Algorithmen so schnell wie nie zuvor.

Fast 400 Seiten lang blicken wir mit Yuval Harari neugierig in die Zukunft, angeregt vom Titel "Homo Deus". Meint er wirklich, dass aus Homo ein Deus wird, dass jeder Mensch göttliche Fähigkeiten bekommt? Der israelische Historiker hat schon im Buch "Sapiens" durchaus unterhaltsam die "Kurze Geschichte der Menschheit" dargelegt. Jetzt schreibt er "Eine Geschichte von morgen", mit Überlegungen von der künstlichen Intelligenz bis zum ewigen Leben. Aber gegen Ende von "Homo Deus" werden die Gedanken des Lesers nur mehr finster.

Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören
Harari stellt den freien Willen des Menschen in Frage, bezweifelt den Wert des Individuums für die Zukunft und stellt uns Menschen als Organismen dar, die automatisch ihren inneren Algorithmen folgen und letztlich nur mehr als Teil einer riesigen Ansammlung von Daten einen Sinn machen.

Homo Datenproduzent

Das soll das Ergebnis von 200.000 Jahren Menschheitsgeschichte sein? Wo Homo sapiens gelernt hat, das Feuer gezielt einzusetzen, sich zu vernetzen, in großen Einheiten zu agieren, immer bessere Lebensmittel herzustellen, Krankheiten zu besiegen und sogar den Weltraum zu erobern? Da sollen wir plötzlich nur mehr Datenproduzenten und Algorithmenverwerter sein? Und am Ende in Abhängigkeit von einigen wenigen Supermenschen leben? Sklaven des 21. Jahrhunderts?

Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören
Yuval Noah Harari

Harari formuliert auf der letzten Seite drei Thesen, die er dann allerdings selbst sogleich hinterfragt. Zunächst die Thesen (Übersetzung durch die Redaktion.):

1. Die Wissenschaft wächst zu einem allumfassenden Dogma zusammen, wonach Organismen nur Algorithmen sind und das Leben die Verarbeitung von Daten ist.

2. Intelligenz koppelt sich vom Bewusstsein ab.

3. Nicht bewusste, aber hochintelligente Algorithmen werden uns bald besser kennen als wir uns selbst.

"Homo horror"

Denkt man diese drei Punkte durch, kann nur ein schreckliches Bild entstehen: Ein Wesen, das zwar noch wie ein Mensch aussieht, dazu hochintelligent ist, aber ohne Willen, ohne Gefühle und vor allem ohne Werte und Überzeugungen seinem inneren, von Algorithmen gesteuerten Zwang folgt.

Aber dann gibt uns der Autor ganz geschickt – man könnte sagen Gott sei Dank – noch drei Fragen, die uns hoffentlich, wie er schreibt, "noch lange im Kopf bleiben werden":

1. Sind Organismen wirklich nur Algorithmen, und ist das Leben wirklich nur Datenverarbeitung?

2. Was ist wertvoller? Intelligenz oder Bewusstsein?

3. Was wird aus der Gesellschaft, der Politik und dem täglichen Leben, wenn unbewusste, aber hochintelligente Algorithmen uns besser kennen als wir uns selbst?

Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören
Abstract design made of human head, key symbol and fractal design elements on the subject of encryption, security, digital communications, science and technology Bildnummer: 52274831 Wahrnehmung, Gehirn, Sinne, Sinnesorgane

Das ist noch keine Auflösung, aber aus der finsteren Fiktion, die ja durchaus Realität werden kann, wird ein möglicher Ausweg gezeigt, wie wir bei allen gegenwärtigen und zukünftigen technischen Revolutionen Menschen bleiben können. Das heißt aber auch, dass wir uns mit diesen drei Fragen sehr intensiv werden beschäftigen müssen.

Homo sapiens?

Die menschliche Evolution wurde ja von Ereignissen beeinflusst, auf die unsere Vorfahren keine Einfluss hatten, wie etwa Klima- und Umweltveränderungen oder spontane Genmutationen. Das ist die eine Seite.

Andererseits heißen wir Homo SAPIENS, weil immer wieder weise Entscheidungen getroffen wurden, geplant und bewusst. Trotzdem: Eines ist heute anders. Die Eingriffe in die Evolution, die es ja auch früher, etwa durch den medizinischen Fortschritt , gegeben hat, sind mit den heutigen technischen Möglichkeiten, mit Digitalisierung und Datensammlung, ungleich radikaler und folgenschwerer. Deren Missbrauch ist es erst recht. Darüber sind wir uns noch nicht ausreichend bewusst.

Homo erectus

Die Evolution geht seit dem Urknall vor über 13 Milliarden Jahren voran. Vor rund 3 Millionen Jahren haben unsere Vorfahren beschlossen, sich aufzurichten – der Homo erectus, von dem es Funde gibt, die etwa 1,9 Millionen Jahre zurückliegen, war uns schon recht ähnlich, unbehaart und mit Werkzeugen jagend unterwegs. Die nächsten Verwandten, die Neandertaler, starben vor rund 25.000 Jahren aus. Da die menschliche DNA kleine Teile von Neandertalern aufweist, gab es Verbindungen mit dieser Art. (Derartige Schimpfwörter zeugen nur von mangelnder Bildung.) Am Ende hat nur der Homo sapiens überlebt. Er hat sich, wie es in der Bibel heißt, "die Erde untertan" gemacht und ist auch schon im Weltraum unterwegs.

Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören
Bildnummer: 54544602 3d abstammung anfang anthropologie aussterben biologie cave different evolution existenz fossil geisteswissenschaften herkunft homo höhlenmensch komparativ kreativ körper mann menschlich modern neandertal portrait primate primitiv profile prähistorisch rendern schwarz sides theory vergangenheit vergleich vorfahren wechseln wissenschaft wurzel

Aber warum gerade der Homo sapiens? Warum sind wir erfolgreicher gewesen als andere Arten, was haben wir besser gemacht? Die Gründe müssen vielfältig sein. Vor rund 70.000 Jahren entwickelten die Menschen, vielleicht durch eine spontane Genmutation, eine Sprache, die es ihnen ermöglichte, sich abzusprechen und vorausblickend zu planen. Das gab ihnen die Fähigkeit, sich in Gruppen zu organisieren, gemeinsame Ziele zu entwickeln und mit abstrakten Begriffen umzugehen. Innerhalb sehr kurzer Zeit kam der Mensch an die Spitze der Nahrungsmittelkette. Harari vertritt die These, dass der Mensch diese schnelle Entwicklung nicht gut verarbeitet hat. Andere Tierarten wie Löwen oder Haie hätten sich "über Jahrmillionen hochgebissen", beim Menschen ging das so schnell, wodurch wir noch heute ständig Angst hätten, diese Spitzenstellung wieder zu verlieren. Deshalb würden wir uns anderen gegenüber oft bösartig und brutal verhalten.

„Homo superhuman“

Aber tun wir, was wir wollen, folgen wir unserem freien Willen oder sind wir willenlose Objekte, fest im Griff unserer Gene und eines Algorithmus, den die Evolution festgelegt hat?

Harari zweifelt am freien Willen des Menschen, das taten Philosophen auch schon früher. Aber angesichts der technischen Möglichkeiten gäbe es zukünftig ganz radikale Konsequenzen. Folgende Entwicklungen sieht der Historiker Harari für unser Jahrhundert:

1. Menschen werden ihre ökonomische und militärische Nützlichkeit verlieren. Folgerichtig wird das wirtschaftliche und politische System den Menschen keinen großen Wert mehr beimessen.

2. Das System wird im Kollektiv der Menschen noch einen Wert finden, aber nicht im Individuum.

3. Das System wird doch noch einen gewissen Wert in einzelnen Individuen finden, aber das wird eine neue Elite von Supermenschen sein, nicht die Masse der Bevölkerung.

Homo habilis

Eine wichtige Entwicklung in der menschlichen Evolution war der Homo habilis. Der Mensch lernte, Werkzeuge zu verwenden, zu arbeiten, kreativ zu sein. Nun müssen wir ständig Untersuchungen lesen, wie viele bisher notwendige Tätigkeiten und damit Arbeitsplätze schon in den kommenden Jahren wegfallen werden. Die menschenleere Fabrik ist schon zu besichtigen, Lagerhallen, wo nur mehr Roboter tätig sind, ebenso, Autos, aber auch Autobusse, Lastkraftwagen , Züge und Flugobjekte werden sich ohne menschliche Anleitung bewegen, im Krankenhaus teilen Roboter das Essen aus und streicheln die Patienten, der Arzt kommt nur, wenn die Nanocomputer im Blut ein Problem melden. In den Restaurants kochen die Computer, für die Verteilung der Speisen braucht niemand einen Kellner, die Forschungslabors arbeiten automatisch und bestens vernetzt. Und ja, es gibt schon recht gut geschriebene Artikel vom Kollegen Roboter. Das alles ist nicht Science Fiction, das ist Realität oder im Testlauf und lässt sich beliebig fortsetzen.

Eine aktuelle Studie gibt nur Archäologen gute Berufschancen. Alte Knochen ausgraben und richtig einordnen, das kann die menschliche Hand in Verbindung mit einem geschulten Gehirn noch immer besser.

Aber was macht das mit uns? Keiner braucht uns, nicht einmal als Kanonenfutter, wenn Kriege im Cyberspace stattfinden. Und wozu wird am ewigen Leben geforscht, wenn es nichts mehr zu tun gibt?

Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören
Schach

Sicherlich, das Leben ist mehr als nur Arbeit. Aber im Unterschied zu früheren Veränderungen geht alles so verdammt schnell. Die Erkenntnis, dass die Erde eine Kugel ist, konnte langsam einsickern, die Konsequenzen waren zunächst minimal. Die Dampfmaschine hat die Produktion revolutioniert und Arbeitsplätze gekostet, aber auch neue geschaffen. Der Otto-Motor hat anfangs nur wenige bewegt.

Aber seit das Internet zum Massenmedium wurde, sind gerade etwas mehr als 20 Jahre vergangen und die Digitalisierung beeinflusst heute jeden Lebensbereich, und zwar weltweit. Einzelne Menschen werden versuchen, Gott zu spielen, andere mit der Entwicklung nicht mitkommen. Werden dann die Menschenrechte noch für alle gelten, was hält uns da noch zusammen?

Religionen haben die Menschen geführt, oft verführt, aber auch Sicherheit gegeben. In aufgeklärten Gesellschaften kann man sich gegen sie wehren. Wenn die neue Religion die Sammlung der Daten sein wird, dann werden wir einen ganz unbarmherzigen Gott kennenlernen. Wir Menschen müssen unser Schicksal schnell bestimmen, um es nicht den Datengöttern zu überlassen.

Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören
Homo Deus, Verlag C.H. Beck
Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. Ab 16. Februar auf Deutsch erhältlich. Erschienen bei C. H. Beck, 24,95 €

Kommentare