Wie wahrscheinlich eine gezielte Manipulation des Gehirns ist

Unser Gehirn arbeitet effizienter als jeder Super-Computer.
Teil 9: Einfach ein Gen ein- oder ausschalten, um damit die Intelligenz zu erhöhen - so einfach wird es nicht gehen, erklärt Gehirnforscher Jürgen Sandkühler.
Wie wahrscheinlich eine gezielte Manipulation des Gehirns ist

Mithilfe von künstlicher Intelligenz werden die Menschen der Zukunft in ihren Entscheidungen praktisch unfehlbar werden. Diese These propagiert der israelische Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch Homo Deus. Die Menschheit wird sich upgraden – zu einer anderen Art von Wesen. Diese Veränderung werde gentechnisch oder mithilfe von Gehirn-Computer-Schnittstellen vonstatten gehen. Und natürlich geben die Reichen diese Vorteile an ihre Nachkommen weiter und garantieren so, dass eine Art Superrasse entsteht.

Im KURIER-Interview erklärt Gehirnforscher Jürgen Sandkühler, ob es diesen Übermenschen wirklich geben kann; wie es tatsächlich um die kognitiven Fähigkeiten des Menschen bestellt ist und wo wir unser Gehirn betreffend an Grenzen stoßen. Sandkühler: "Wir sind weit vom Homo Deus entfernt."

Wie wahrscheinlich eine gezielte Manipulation des Gehirns ist
Jürgen Sandkühler, Leiter des Instituts für Hirnforschung, am 23.04.2013 in Wien

KURIER: Herr Professor, wie schaut unsere kognitive Zukunft aus Sicht des Gehirnforschers aus? Werden wir uns zum gottähnlichen Wesen entwickeln?

Jürgen Sandkühler: Ich halte das für eher unwahrscheinlich. Die natürliche Evolution braucht viele Generationen, um durch Fortpflanzung und Auswahl gewünschte Änderungen unserer genetischen Eigenschaften zu erreichen. Daher kann man sie ausschließen. Gezielte Manipulation des Erbguts würde voraussetzen, dass wir verstehen, welche Gene für unseren Intellekt förderlich und welche hinderlich sind. Doch davon sind wir weit entfernt. Wir können nicht einfach ein Gen ein- oder ausschalten und damit die Intelligenz erhöhen.

Wird das je möglich sein?

Ich glaube, dass andere Faktoren schneller wirken als eine direkte Steigerung der Leistungsfähigkeit durch Genmanipulation. Zum Beispiel wird der Ernährungszustand der Weltbevölkerung eine wichtige Rolle spielen. Wir wissen, dass Fehlernährung, Erkrankung während der Schwangerschaft und im frühkindlichen Alter Risikofaktoren sind. Und deren Vermeidung wird sich schneller auswirken als reißerische Homo-Deus-Vermutungen. Ich glaube also schon, dass die Gesundheit und damit die kognitive und seelische Leistungsfähigkeit der Menschheit steigt. Aber eher durch allgemeine Maßnahmen wie Hygiene und Lifestyle. Wir werden das Potenzial, das wir ohnedies haben, ausschöpfen.

Gleichzeitig könnte die Lebenserwartung sinken, weil die Fehl-Ernährung im Vormarsch ist.

Absolut! Es kann tatsächlich sein, dass wir – wie Harari es beschreibt – eine Zweiklassengesellschaft bekommen. Die einen, die verstehen, dass sie selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen und zu ihren Gunsten beeinflussen können. Das sind diejenigen, die ihren Lifestyle anpassen, die wachsam sind, welche Gefährdungen und Potenziale sie haben, und das nutzen. Und der andere Teil der Bevölkerung – möglicherweise der größere –, der das alles nicht wahrnimmt, dem es zu komplex ist, der vielleicht auch nicht die Willensstärke hat, bestimmte Einschränkungen und mühselige Fitnessprogramme auf sich zu nehmen.

Da lauert wohl gewaltiger sozialer Sprengstoff?

Ich befürchte, ja. Die westliche Welt wird tatsächlich immer mehr in zwei Teile zerfallen – die, die den hohen Anforderungen des Arbeitsmarktes genügen, und die, die dem nicht genügen.

Aber die künstliche Intelligenz soll ja alles richten und Supermenschen entstehen lassen, die in ihren Entscheidungen unfehlbar werden. Ist das denkbar?

Selbst, wenn wir die künstliche Intelligenz auf ein Höchstmaß treiben, ist so viel Komplexität und Chaos im Spiel, dass immer eine unvorhersehbare Entwicklung passieren kann. Das Unfehlbare wird es also nicht geben. Was man aber nicht verhindern wird können: Dass einige – die vielleicht gar nicht die Intelligentesten sind, aber die Rücksichtslosesten – sich einen derartigen Informationsvorteil verschaffen, dass sie im Glauben einer breiten Bevölkerungsschicht unfehlbar erscheinen. Das ist aber ein riesiger Unterschied.

Welche Rolle spielt Big Data in diesem Zusammenhang?

Ob wir uns mit digitalen oder analogen Informationsmedien beschäftigen, ist für die Entwicklungsbiologie irrelevant, denn es braucht viele, viele Generationen, ehe das überhaupt einen Einfluss auf uns haben kann. Aber: Es hat Einfluss auf unsere Gesellschaft, denn die Eigenschaften, die wir brauchen, um in der heutigen Zeit erfolgreich zu sein, unterscheiden sich sehr von denen, die wir noch vor wenigen Jahren gebraucht haben. Vor 50 Jahren galt es, Zugang zu Wissen zu haben. Das ist heutzutage viel einfacher, weil so vieles online steht. Da gab es eine Demokratisierung, weg vom Herrschaftswissen.

Was aber schwieriger geworden ist, ist die Auswahl der Information. Wir haben jetzt im Internet eine nicht mehr gefilterte Mischung aus völligem Nonsens und fundierten, hochwissenschaftlichen Informationen. Wer es am besten schafft, hier eine Auswahl zu treffen, ist derjenige, der am besten in der modernen, digitalen Welt zurecht kommt. Das Gewichten von Informationen spielt heute die größere Rolle als der Zugang dazu.

Die Welt ist also nicht postfaktisch, wie man oft hört? Wir haben so viele Fakten auf dem Tisch wie nie zuvor, aber die schiere Vielfalt lässt uns den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr erkennen. Und das ist ein riesiges Problem: Wir fallen zurück in Mythen, in sagenumwobene Behauptungen, weil wir von einer Fakten-Lawine erschlagen werden, die uns resignieren lässt. Viele sagen: "Ich kann das eh nicht mehr beherrschten, also verlasse ich mich auf Meinungsbildner, Heilsbringer, Wahrsager, Populisten, die den Filterungsprozess natürlich schon gemacht haben."

Zur Person

Jürgen Sandkühlerist Leiter des Zentrums für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien. Er ist überzeugt, dass unser Gehirn effizienter und leistungsstärker als jeder Super-Computer arbeitet. Das Hirn hat 100 Milliarden parallel und gleichzeitig arbeitende Rechen-Kerne, während es bei Rechnern nur wenige sind. Außerdem sind Kreativität oder logisches Denken – die höchsten Hirnfunktionen – noch nicht wirklich verstanden.

Die bisherigen Serienteile:

Teil 1: Der Mensch von morgen: Perfekt, unsterblich - zu allem bereit?

Essay von Helmut Brandstätter: Die Wissenschaft wird uns gottähnlich machen - oder zerstören

Teil 2: Der Genetiker Markus Hengstschläger über die Thesen von Yuval Harari

Teil 3: Wie der Mensch den Schwangerschaftscode knacken will

Teil 4: Über die Gefahren der Mensch-Optimierung

Teil 5: Zukunft der Menschheit: Droht das Ende der Demokratie?

Teil 6: Der Mensch ist de facto bereits unsterblich

Teil 7: Singularität - die Angst vor der klugen Maschine

Essay von Helmut Brandstätter: Lern´ was! Ja, aber was?

Teil 8: Leben in der Zukunft: Für immer Feierabend! Und dann?

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