Totschnig: "Ich habe den Aufschrei absolut verstanden"
Im Mai 2022 wird der Osttiroler Nachfolger von Elisabeth Köstinger im Landwirtschaftsministerium. Der ehemalige Direktor des Bauernbundes gilt als still, zu still, wie viele politische Beobachter wie Medien meinen.
Geboren 1974 in Lienz (Tirol) wächst er als eines von sechs Kindern am Bauernhof auf, studiert Wirtschaftswissenschaften in Innsbruck, wird Fachreferent in Wien.
Von 2017 bis 2022 steht Totschnig dem Bauernbund als Direktor vor. Im Frühjahr 2022 übernimmt er nach dem Rücktritt von Elisabeth Köstinger das Ressort für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft
Warum er keine Mehlwürmer essen würde, ÖVP-Tourismussprecher Franz Hörl beipflichtet und "geliefert wird, was nachgefragt wird", sagt der Landwirtschaftsminister im KURIER-Interview.
KURIER: Beim Mercosur-Abkommen stehen Sie auf der Bremse. Das Freihandelsabkommen soll auf EU-Ebene in ein wirtschaftliches und ein politisches Kapitel unterteilt werden. Was befürchten Sie, sollte die Freihandelszone mit Brasilien, Paraguay, Uruguay und Argentinien ratifiziert werden?
Norbert Totschnig: Wir sind eine Exportnation und Handelsabkommen sind für uns wichtig. Vorausgesetzt, sie sind fair und ausgewogen. Mercosur ist ein Handelsabkommen alter Schule, das 1999 initiiert wurde und indem zahlreiche Nachhaltigkeitsaspekte fehlen Deshalb werden wir dem Abkommen unter den derzeitigen Voraussetzungen nicht zustimmen. Dieses Nein ist auch klar im Regierungsprogramm verankert. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, warum wir dagegen sind. Eine Studie der London School of Economics besagt, dass die Rindfleisch-Importe in der EU um 30 bis 60 Prozent steigen werden. Die heimischen Rindfleischproduzenten müssten mit noch größerem Preisdruck rechnen.
Das sind „normale“ Marktmechanismen. Wir könnten in der EU auch den Spieß umdrehen, versuchen, unsere Standards nach Südamerika zu bringen.
Für uns ist wichtig, was am Tisch liegt und da fehlen viele konkrete Vorschläge – begonnen bei der Nachhaltigkeit. Die EU-Kommission muss auch Maßnahmen vorlegen, die den Preisdruck auf den heimischen Märkten abfedern.
Apropos Preise: Wie viel muss ein Viertelkilo Butter oder ein Liter Milch kosten, um Kostenwahrheit abzubilden?
Wir sind in einer Marktwirtschaft, da bilden sich die Preise am Markt. 2020/2021 hatten wir eine Milliarde Euro an Mehrbelastung für unsere land- und forstwirtschaftlichen Betriebe. Natürlich sind auch die Preise produktseitig gestiegen – aufgrund der Energiepreise. Im Bereich der Milch stiegen die Preise aber auch, weil international ein Nachfrageüberhang auf dem Spotmarkt bestand.
Anders gefragt: Haben wir zu lange zu gut und billig gelebt?
Wir haben es die letzten zehn Jahre mit stagnierenden Agrar-Preisen zu tun gehabt. Die Lebensmittelpreise sind stark an die Energiepreise gekoppelt. Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass sie hoch bleiben.
Der Bio-Konsum ist 2022 leicht zurückgegangen. Zeigt das nicht, das nachhaltige Ernährung eine Frage der Leistbarkeit ist?
Da muss man präzisieren. Es gibt eine immer stärkere Nachfrage bei Eigenmarken des Lebensmitteleinzelhandel. Die Nachfrage nach Bio-Produkten ist stabil geblieben, der leichte Rückgang 2022 hatte mit dem Ende der Lockdowns und wieder verstärktem Außer-Haus-Essen zu tun. Um es in Zahlen zu sagen: 2022 gab es einen Preisanstieg bei nicht-biologischen Lebensmitteln von 11,5 Prozent, bei Bio-Lebensmittel um 7,5 Prozent. Bio-Lebensmittel sind von 2017 bis 2022 mengenmäßig um 53 Prozent gestiegen, wertmäßig um 63 Prozent.
Ist es realistisch, dass sich mehr Österreicher nachhaltig und biologisch ernähren während es zeitgleich immer billigere Importware geben wird?
In Europa haben wir den Green Deal, das politische Programm der EU-Kommission, dann gibt es die "Farm to Fork“-Strategie, die mehr Bio und die Reduktion von Pflanzenschutzmittel zum Ziel hat. Das würde eine Verminderung der Wettbewerbsfähigkeit zur Folge haben, wie Studien besagen. Die Umwelt- und Klimaziele dürfen natürlich nicht die Versorgungssicherheit der EU-Länder negativ beeinflussen.
Ihr Amtskollege Cem Özdemir wird in Deutschland dafür gescholten, dass er beispielsweise höhere Tierwohl-Standards forciert und damit deutsche Schweinebauer keine Chance mehr gegen billigere Importe hätten.
Auf EU-Ebene pochen wir neben den Umwelt- und Klimazielen auf den Versorgungsaspekt. Deshalb haben wir an die schwedische Präsidentschaft einen Brief formuliert, unterzeichnet von 18 Mitgliedsstaaten. Im Brief geht es um die größere Einbindung der landwirtschaftlichen Expertise in Klimaverhandlungen. Wollen wir auf nationaler Ebene mehr nachhaltige und Bio-Produkte haben, müssen wir das in der gesamten Wertschöpfungskette schaffen – vom Bauern bis zum Lebensmitteleinzelhandel.
Muss nachhaltig oder regional immer gleich bio sein? Viele Supermärkte haben eigene Marken, die schwer zu durchschauen sind.
Die Supermarkt-Ketten entwickeln teils eigene Linien – auch das ist der freie Markt. Wir setzen auf das AMA-Gütesiegel, das trotz mehr Aufwand die Bauern mehr Ertrag erwirtschaften lässt.
Seit wenigen Wochen sind Mehlwürmer in der EU als Lebensmittel zugelassen. Schon probiert?
Insekten werden aus unserer Sicht in Österreich ein Nischenthema bleiben. Ich esse lieber regional.
Ein regionaler Mehlwurm?
Die Vorstellung regt nicht meinen Appetit an.
Im Jänner wurde der Veganuary begangen. Wie gut ist die heimische Landwirtschaft auf den Vegan-Trend vorbereitet?
Es ist ganz einfach: Es wird geliefert, was nachgefragt wird. Der Verein Landschaft Leben sagt, dass zwei Prozent der Österreicher sich vegan (rein pflanzliche Ernährungsweise) ernährt, weitere zwei ernähren sich pescetarisch (Ernährungsweise, in der Fleisch vermieden, Fisch gegessen wird) und fünf Prozent vegetarisch. 35 Prozent bezeichnen sich als Flexitarier und 56 Prozent essen alles.
Wir sehen, dass vor allem junge Menschen sich klimabewusster ernähren und sich das Kaufverhalten bei Bioprodukten verändert hat. Es ist weniger der Gesundheits- als der Nachhaltigkeitsaspekt, der Menschen Bio kaufen lässt.
Gefährdet zum Beispiel Hafermilch heimische Kuhbauern?
Das heißt Hafer-Drink. Wir haben in Österreich Molkereien, die Hafer-Drinks herstellen. Das ist eine Entwicklung am Markt und unser Zugang ist es, die Produkte zu liefern, die nachgefragt werden.
Waren Sie verärgert über die Kampagne der Tirol Werbung, die mit Hafermilch statt Kuhmilch warb?
Ich habe den Aufschrei absolut verstanden, weil ich die Leidenschaft der bäuerlichen Betriebe in Tirol kenne. Den Bauern ist es ein Anliegen, dass man ihre Produkte auch bewirbt. Die Kuhmilch gehört zur Tiroler Kulturlandschaft.
Braucht die Bauernschaft weitere Hilfen wegen der Energiekosten?
Das Sicherungspaket in Höhe von 110 Millionen Euro wurde vor Weihnachten ausbezahlt. Jetzt folgt der Stromkostenzuschuss von insgesamt 120 Millionen Euro. Darüber hinaus haben wir im Jänner die Stromkostenbremse für landwirtschaftliche Haushalte beschlossen. Was die Zukunft bringen wird, kann ich nicht prophezeien.
Wie gut ist Österreichs Landwirtschaft auf Trockenheit und Wassermangel vorbereitet?
Derzeit sind die Gebiete mit pannonischem Klima betroffen: Nordburgenland, das Weinviertel oder das Südliche Wiener Becken. Die Trinkwasserversorgung in Österreich ist gesichert und es wird umfangreiche Investitionen für die Zukunft geben, etwa in Ringleitungen und die Vernetzung zwischen einzelnen Wasserversorgern.
Die Landwirtschaft muss sich keine Sorgen machen?
Sie verbraucht vier Prozent des Wassers, also einen sehr kleinen Teil. Aber wir nehmen das Thema Trockenheit sehr ernst. Für die Wasserversorgung sind grundsätzlich die Gemeinden zuständig. Sie müssen bei einer Knappheit im Extremfall eingreifen – und dann geht die Trinkwasserversorgung klar vor.
Steht das zu befürchten?
Das ist jetzt wieder Spekulation.
Gentechnik ist in Österreich ein ähnliches Tabu wie Atomkraft. Aber was genau spricht dagegen, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen, die hitzeresistenter sind?
Österreichs Bevölkerung und die Bundesregierung sind hier ganz klar positioniert: Wir sind gegen die grüne Gentechnik. Das Anti-Gentechnik-Volksbegehren im Jahr 1997 ist das erfolgreichste, das es in Österreich je gegeben hat.
Gibt es einen wissenschaftlichen Beleg, dass gentechnisch veränderte Pflanzen der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt schaden?
Das ist die wissenschaftliche Seite. Auf der anderen Seite ist die Frage, wie sich die Bundesregierung und die Bevölkerung positionieren.
Wenn sich das Klima ändert, müssten auch neue Obst- und Gemüse-Sorten in Österreich wachsen – und andere verschwinden.
Das ist schon Realität. Beim Getreide schaut man darauf, dass man nur noch Weizen oder Gerste einsetzt, die mehr Hitze aushalten, als noch vor zehn Jahren üblich. Die Forschung ist da sehr weit. Sie testet zum Beispiel Sorten in Rumänien oder Mexiko, weil wir in Zukunftin einem vergleichbaren Klima leben könnten.
Themenwechsel: Wölfe gelten als ungefährlich für Menschen. ÖVP-Tourismussprecher Franz Hörl warnt dennoch, dass sie Menschenleben gefährden. Geben Sie ihm recht?
Der Wolf ist ein Raubtier und steht an der Spitze der Nahrungskette. Dass keine Gefahr vom Wolf ausgeht, wäre mir neu. Wir rechnen derzeit mit über 19.000 Wölfen in Europa – er ist also längst nicht mehr vom Aussterben bedroht. Alleine letztes Jahr waren es über 700 gerissene Nutztiere in Österreich. Die EU-Kommission muss gesetzlich darauf reagieren.
Wie?
Der Abschuss von Problemwölfen muss auch praktisch möglich und der Bestand kontrolliert werden.
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler widerspricht Ihnen beim Thema Wolf. Ärgert Sie das?
Es gibt Punkte, da sind wir unterschiedlicher Meinung. Wir sind aber auch bei diesem schwierigen Thema in einem guten Austausch.
Insbesondere der Boulevard kritisiert Sie oft hart. „Es gibt ihn doch noch“, titelte zuletzt die Kronen Zeitung. Schmerzt Sie das?
Erstens lernt man, damit umzugehen. Zweitens beruhigt mich eines: nämlich die Leistungsbilanz. Wir haben extrem viel für die Landwirtschaft und die Menschen in den Regionen zustande gebracht. Sei es die gemeinsame Agrarpolitik, das Tierwohl-Paket oder die Unterstützungspakete. Mit Blick in die Zukunft: Ja, ich bin jemand, der dazulernt in diesem Geschäft – auch bei der Medienarbeit.
Wissen Sie, warum Sie vergleichsweise hart kritisiert werden?
Nein, das weiß ich nicht.
Ihre Kollegen beschreiben Sie als stillen Arbeiter. Trifft das zu?
Ich bin nicht jemand, der nach Schlagzeilen hechelt. Das ist nicht mein Stil. In meinen 20 Jahren in diesem Geschäft habe ich gelernt, dass solides, lösungsorientiertes und konstruktives Arbeiten zum Erfolg führt.
Was wollen Sie bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 noch umsetzen?
Die großen Themen im Energiebereich stehen noch bevor, wie die Umsetzung des Erneuerbare-Gase-Gesetzes. Zudem haben wir noch eine Serie an Ideen, wie wir die Landwirtschaft klimafitter und digitaler machen können.
Sie kommen aus dem Bauernbund. Sind Sie ein Türkiser oder ein Schwarzer?
Es geht um die Werthaltung, nicht um den Anstrich. Ich komme ganz klar aus der ökosozialen Richtung. Als ÖVP sind wir christdemokratisch, liberal und konservativ. Das ist unsere DNA, diese Mischung ergibt die Wertebasis der ÖVP.
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