Veganismus ist tierisch gut

Veganismus ist tierisch gut
Vegan zu leben liegt voll im Trend. Mit dem Verzicht auf tierische Produkte tut man nicht nur seiner Gesundheit etwas Gutes, sondern auch der Umwelt und den Tieren.

Sie ist die erste Frau, die alle 14 Achttausender ohne zusätzlich mitgeführten Sauerstoff bestiegen hat – ein Kraftakt der Superlative. Die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner zählt aber nicht nur Disziplin und Muskelkraft zu ihren Erfolgsfaktoren. „Während der vielen Expeditionsjahre habe ich gelernt, mehr und mehr auf meinen Körper zu horchen, zu spüren, was ihm guttut. Und die vegane Vollwerternährung ist für meinen Körper ideal“, verrät die Extremsportlerin der freizeit. Und damit liegt sie im Trend. In Österreich ernährt sich fast jeder Zehnte vegetarisch, in der veganen Hochburg Wien verzehrt laut Schätzungen der Veganen Gesellschaft Österreich bereits ein Prozent aller Menschen ausschließlich pflanzliche Lebensmittel. Und es werden täglich mehr. Für Veganer sind nicht nur Fleisch und Wurst tabu, sondern auch Milchprodukte, Eier und Honig.

„Im Moment wachsen wir um etwa 30 Prozent pro Jahr“, freut sich Felix Hnat, Obmann der Veganen Gesellschaft Österreich. Dass dieser Trend unaufhaltsam ist,glaubt auch Allgemeinmedizinerin Susanne Stöckl-Gibs: „Die meisten Wohlstandserkrankungen wie Krebs, Rheuma, Diabetes und Herzkreislauferkrankungen hängen mit unserer Ernährung zusammen. Wir essen viel zu viel tierisches Eiweiß.“ Bei der Aufnahme von Milchprodukten komme es aber zu einer Übersäuerung, für die der Körper Puffersubstanzen freimachen muss. „Die holt er sich in Form von Kalzium aus den Knochen, Milch ist ein Kalziumräuber“, fasst Medizinerin Stöckl-Gibs zusammen.
Ernährungs- und Allgemeinmedizinerin Rosa Aspalter isst seit einem halben Jahr nichts Tierisches mehr und hat dadurch ein neues Gefühl von angenehmer Sättigung kennen gelernt, sagt sie. Die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten war für sie nicht schwierig: „Man sollte sich zwei, drei pflanzliche Lebensmittel suchen, die man gern hat, und diese dann weiter kombinieren.“ Sie rät, die Farben- und Formenvielfalt der pflanzlichen Nahrungsmittel auszunutzen, denn das wirke nicht nur appetitanregend, sondern liefere auch unterschiedliche Nährstoffe.

Wer sich vegan ernährt, verzichtet aber meist auch aus ethischen Gründen auf tierische Produkte wie Leder, Wolle, Pelz und Kosmetika, die an Tieren getestet wurden. Der österreichische Philosoph und Tierethiker Helmut F. Kaplan rechnet damit, dass tierliebe Menschen durch Aufklärung über das Tierleid für unseren Fleisch- und Milchkonsum darin bestärkt werden, vegan zu leben: „Die frühere Gleichung, Veganer gleich Spinner, gilt heute nicht mehr.“ Trotzdem halten viele Fleischesser an ihren Vorurteilen gegenüber Veganern fest. Sie wissen, dass Tiere Gefühle und Schmerzen haben, wollen sich aber oft nicht mit der Realität von Massentierhaltung und Schlachthäusern beschäftigen. „Schuldgefühle sind sehr schmerzhafte Gefühle. Man müsste aufhören, Tiere zu konsumieren – aber man ist oft zu bequem dafür“, versucht Schriftstellerin und Journalistin Hilal Sezgin dieses Phänomen zu erklären. Es würde leichter fallen, einen Fernsehsender zu wechseln, als das eigene Leben zu ändern. Sie ist mittlerweile aufs Land gezogen, ernährt sich vegan und betreibt einen Gnadenhof mit Schafen und Hühnern. Die Leute, die meinen, dass eine Umstellung auf Veganismus so schwer sei, versteht sie nicht: „Es ist ja kein Leben ohne gutes Essen, ohne Sex oder ohne Luft!“ Auch Ärztin Stöckl-Gibs baut auf dem ethischen Aspekt auf: „Konsum an tierischen Produkten ist nur auf Basis einer gewaltigen Verdrängungsleistung möglich – und weil wir Tiere zum Objekt gemacht haben.“ Sie betont aber, als Ärztin bloß informieren zu können: „Missionieren führt nur zu Widerstand.“

  • Veganer essen weder Fleisch noch Fisch, verzichten auch auf Milchprodukte, Eier und Honig.
  • Ovo-Lacto-Vegetarier streichen Fleisch und Fisch vom Speiseplan, essen aber Milchprodukte und Eier.
  • Ovo-Vegetarier unterscheiden sich vom Veganer durch ihren Eierkonsum.
  • Lacto-Vegetarier verzichten auf Eier, konsumieren dafür aber Milchprodukte.
  • Pescetarier erlauben sich zwar Fisch, nicht aber Fleisch.
  • Frutarier verzehren ausschließlich Früchte, denen kein Schaden zugefügt wurde.
  • Flexitarier sind Allesesser, die bewusst des Öfteren auf Fleisch verzichten.
  • Für Rohköstler müssen die Lebensmittel roh sein oder nicht über 40 Grad erhitzt, damit Vitamine und Enzyme enthalten bleiben.

freizeit: Was sind die Vorteile einer veganen Ernährung?

Rosa Aspalter: Der erste Vorteil ist der gesundheitliche Aspekt, der mir als Ärztin am wichtigsten ist. Vegane Ernährung ist die gesündeste in Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose, Krebserkrankungen, auf sehr viele rheumatische bis hin zu entzündlichen Erkrankungen. Eine vegane Ernährung würde gerade bei den Zivilisationskrankheiten eine enorme Reduktion der Häufigkeit bringen. Der zweite Vorteil ist der ökologische Aspekt. Bei der Produktion von einem Kilo Fleisch werden etwa 100 bis 1000-fache Mengen an C02 produziert, verglichen mit einem Kilo Getreide. Um ein Kilo Fleisch zu produzieren, braucht es 1000-10.000-fache Mengen an Wasser. Es ist so schön, weil die Ernährungsform, die für unseren Körper die beste, gleichzeitig auch für die Umwelt die beste ist. Das passt wunderschön zusammen.

Trotzdem rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung davon ab.

Es gibt definitiv Warnungen, die Ernährungsexperten vor veganer Ernährung aussprechen und da frag ich mich immer: 'Was ist die hochwertigste Ernährung?' Es wird schon zugegeben, dass die vegetarische Kost besser ist als die fleischhaltige, und dass die vegane Ernährung noch einmal hochwertiger ist. Das zeigt sich schon beim Gewicht. Die Vegetarier haben einen niedrigeren BMI (Body Mass Index) als Allesesser und die Veganer haben noch einmal einen geringeren BMI. Genau darum ist es sehr komisch, dass bei so einer hochwertigen Ernährung immer Warnungen ausgesprochen werden. Ich halte es für absurd, dass vor veganer Ernährung gewarnt wird, aber nicht vor unserer sogenannten „normalen“ Kost. Die hat das Cholesterin, vegane Kost hat null davon, die pflanzlichen Produkte haben ganz wenig gesättigte Fettsäuren. Das Fleisch hat null sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe. Und dann wird immer vor der veganen Ernährung gewarnt? Das ist wirklich etwas paradox.

Veganismus ist tierisch gut

Gibt es Nährstoffe, auf die man achten sollte?

Es gibt ein paar Problembereiche, z.B. beim Vitamin D. Es stimmt auch, dass Veganer weniger Vitamin D über Nahrungsmittel zu sich nehmen als Allesesser. Dazu muss man aber sagen, dass auch Allesesser weit unter dem empfohlenen Verzehr liegen. Die essen ungefähr 4 mg pro Tag, der Veganer isst ungefähr 1 mg pro Tag, empfohlen werden aber 20. Da ist der große Unterschied. Zudem sagt der Verzehr über Lebensmittel auch nicht alles, es kann auch Sonnenlicht zur Vitamin D-Produktion führen.

Vitamin B12 ist der einzige Nährstoff, wo es für einen Veganer schwieriger ist als für einen Allesesser. Aber auch hier kann man sich helfen: Vitamin B12 wird von Bakterien produziert und ist in Fleisch- und Milchprodukten enthalten. In pflanzlichen Produkten deshalb wenig, weil das meiste aus toter Erde kommt. In reichhaltiger, humushaltiger Erde sind auch viele Bakterien, und die Pflanzen nehmen das sehr wohl auf. Mit Bioprodukten kann man also auch seine Vitamin B12-Bedarf verbessern. Vitamin B12 ist wirklich das Einzige, wo ich einem Veganer zusätzlich zu den anderen Kontrollen gelegentliche Laborbestimmungen empfehlen würde.

Die Eisenversorgung ist besser unter den Veganern. Der Anteil, der beim pflanzlichen Eisen aufgenommen wird, ist geringer als beim tierischen Eiweiß. Aber pflanzliche Lebensmittel haben vielfach mehr Eisen. Aus 100 Gramm Soja nimmt man ungefähr 1-2 mg Eisen auf, aus 100 mg Fleisch nur 0,6. Obwohl da die höchste Resorptionsrate ist. Vollkornprodukte haben hohe Eisenmengen. Eine vegane Ernährung fürhrt auch dazu, dass Veganer geringere Menstruationsbeschwerden haben, leichtere Regelblutungen und dadurch auch einen geringeren Eisen- und Eiweißverlust.

B12 lässt sich mehrere Jahre im Körper speichern. Wie würde sich ein Mangel bemerkbar machen?

Zuerst kommt es zu einer Störung in der Blutbildung mit Anämie. Diese kann Müdigkeit und Belastungsschwäche bewirken. Die Symptome sind aber meist nicht sehr ausgeprägt und vor allem sehr unspezifisch. Später kommt es zu einer Neuropathie oder Nervenüberempfindlichkeit. Das kann alle Symptome von Sensibilitätsstörungen auftreten, von Unempfindlichkeit bis Überempfindlichkeit.

Was macht zu viel tierisches Eiweiß eigentlich mit dem Körper?

Das tierische Eiweiß weist eine andere Aminosäuren-Verteilung als pflanzliches Eiweiß auf. Es beinhaltet wesentlich mehr Aminosäuren, die schwefelhaltig sind, das sind Cystein und Methionin, die führen zur Ansäuerung des Blutes. Der PH sinkt aber nicht, das wäre unter Umständen ja tödlich, der Körper versucht das mit allen Mitteln zu verhindern und die anfallende Säure gleich zu neutralisieren. Der Körper schafft dies, indem er mit Kalzium neutralisiert und das muss von irgendwo herkommen. Das holt er aus dem Knochen. Die Allesesser haben auch eine doppelt so hohe Ausscheidung von Kalzium im Harn als die Veganer. Ganz arg ist es bei Leuten, die eine eiweißbetonte Diät machen, z.B. die Atkins-Diät, das bedeutet nichts Gutes für den Knochen, den laugt man so richtig aus damit. Wegen des Eiweiß sind Milchprodukte auch kontraproduktiv. Im Spiegel war soeben ein großer Artikel darüber, ob Milch tatsächlich die Osteoporose und die Rate der Oberschenkelfrakturen verringert – das ist nicht der Fall, im Gegenteil. Schön langsam sickert es durch.

Wie passt es dann zusammen, dass die Werbung uns suggeriert, dass Milch so gesund ist?

Das stimmt nicht. Milch ist eindeutig Osteoporose-fördernd, krebsfördernd, es ist unumstritten, dass Milchprodukte das Risiko eines Prostatakarzinoms beim Mann erhöht. Bei Frauen sind die Daten nicht ganz so eindeutig, aber es gibt eine Studie, wo der Milchkonsum im Mädchenalter das Krebsrisiko im Erwachsenenalter erhöht. Es gibt jedenfalls keinen Vorteil aus dem Milchkonsum.

Stimmt es, dass sich Kleinkinder und Schwangere nicht vegan ernähren sollten?

Es ist schon aufzupassen, und Kindern sollte man auf keinen Fall zu veganer Ernährung zwingen. Ich finde das ganz schlimm, wenn die Eltern so missionarisch glauben, die Kinder dürften keine tierischen Produkte essen. Andererseits: Es wird immer so dargestellt, als würden Kinder Milch- und Fleischprodukte brauchen. Ich würde das andersrum sagen. Kindern schadet Fleisch und Milch nicht so wie einem Erwachsenen, die brauchen noch sehr viel Eiweiß. Wenn man ihnen tierisches Eiweiß gibt, führt das bei Kindern nicht zu einer Verringerung des Harn-PH-Wertes - so wie beim Erwachsenen. Der kindliche Körper wächst und braucht daher viel Eiweiß und er kann daher die beiden Aminosäuren Cystein und Methionin einfach im Körper einbauen. Erst im Erwachsenenalter führt das zu Säurebildung.

Und bei Schwangeren?

Schwangere haben nicht so sehr einen erhöhten Energiebedarf. Vielmehr ist der Bedarf an einigen Nährstoffen erhöht. Das heißt, in der Schwangerschaft bedarf es nicht unbedingt ein Mehr an Essen, sondern einer besonders hochwertigen, nährstoffdichten Ernährung. Da ist die vegane Ernährung eindeutig überlegen.

Die Versorgung mit Folsäure ist z.B. unter den Veganern viel, viel besser. Das ist gerade vor der Schwangerschaft ganz wichtig. Frauen wird ja empfohlen, bereits vor einer geplanten Schwangerschaft Folsäure-Präparate einzunehmen, um Missbildungen im Neuralrohr zu vermeiden. Da ist die vegane Ernährung viel sicherer. Veganer haben höhere Folsäurewerte.

Vegane Ernährung wird nicht nur präventiv, sondern auch zu therapeutischen Zwecken genutzt. Was sagen Sie dazu?

Da gibt es leider noch ganz wenige harte Daten. Und die Studien, die es jetzt gibt, schauen sich immer nur einzelne Lebensmittelgruppen oder einzelne Lebensmittel an, z.B. eine Studie mit Sojaprodukten bei Brustkrebspatienten. Ein Lebensmittel allein wird aber wahrscheinlich keinen großen Unterschied ausmachen, daher sind die Effekte auch so uneinheitlich oder schwach. Zudem gibt es bei uns noch wenige Veganer, die wesentlich weniger krank werden, daher gibt es auch weniger Beobachtungen. Wir stehen hier am Anfang. Aber einige mutige Ärzte zeigen bereits, dass eine vegane Ernährung bei Diabetikern, bei Patienten mit Herzinfarkten oder erhöhten Blutfetten, bei Leuten mit rheumatischen Erkrankungen und anderen mehr sehr viel bringen könnte.

Was halten Sie von Fleischersatzprodukten?

Nicht sehr viel. Mir persönlich geht es nicht darum, dass ich wieder den gleichen Geschmack am Teller hab, Ich will ja jetzt die Pflanzenwelt kennen lernen. Das ist so toll und vielfältig, dass ich überhaupt nicht auf den Gedanken komme, so etwas zu kaufen. Ich halte es weder für hochwertig, noch für sinnvoll. Es ist eine Krücke für Leute, die unbedingt glauben, vegan leben zu müssen, aber sich nicht wirklich trauen, einzusteigen und pflanzliche Nahrungsmittel kennenzulernen. Ich verbiete mir auch Fleisch nicht. Vielleicht esse ich bei Gelegenheit wieder einmal eines. Aber ich brauch nicht in der Früh ein Müsli mit Joghurt, zu Mittag ein Rindfleisch mit Spiegelei und am Abend nochmal ein Schinkenbrot. Wenn man sich das Angebot anschaut auf Speisekarten, sogar in Spitalskantinen, dann ist das so extrem tierisch! Dort liegen Speck- neben Käsesemmeln, ganz schlimm. Aber das ist das, was wir als normal empfinden und auch ich hab das geglaubt.

Für viele ist der nächste Schritt eine Rohkosternährung. Wie finden Sie das?

Prinzipiell ist es ein guter Ansatz. Auf jeden Fall hat man damit noch einmal mehr an Spurenelementen, sekundären Pflanzeninhaltsstoffen und hitzeempfindlichen Vitaminen. Ich bin aber ein bisschen skeptisch bei diesen hochkonzentrierten Gemüse- und Obstsmoothies. Hin und wieder ist es völlig okay, aber manche nehme die in solchen Mengen und Konzentrationen zu sich, dass ich mich frage, ob man damit nicht schon wieder Schaden anrichten kann. Auch die Verdaulichkeit ist bei manchen Produkten besser, wenn sie gekocht sind. Das Allergierisiko ist sicher bei gekochten Produkten geringer. Es sind ein paar Dinge, die mich davon abhalten, das in so einer ausgeprägten Form zu machen. Aber dass ein schöner Anteil der Lebensmittel roh genossen werden soll, ist sicher sinnvoll.

Es geht um die ganzen Lebensmittel: Die Natur bietet das in einer Form an, wie man das nie synthetisch zusammenbringen würde. Ein ganz simples Beispiel sind die Ballaststoffe beim Apfel: Das Fruchtfleisch enthält Pektin, das ist ein löslicher Ballaststoff, der sich positiv auf den Fett- und Zuckerstoffwechsel auswirkt, die Schale enthält nicht-lösliche Ballaststoffe, die Fasern. Die sind wieder im Darm wichtig, regulieren die Verdauung und den Stuhlgang, dadurch verringern sie auch das Krebsrisiko im Darm. Es gibt tausende sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, die sich in Wirkung ideal ergänzen und uns scheinbar in optimalen Konzentrationen von der Natur angeboten werden. In einer Kombination und Dosierung, wie man es im Labor nicht hinkriegt.

freizeit: Woher nehmen sich die Menschen das Recht, Tiere auszubeuten? Ist dies nur kulturell bedingt?

Hilal Sezgin: Die Geschichte der menschlichen Ausbeutung oder Nutzung des Tiers durch den Menschen hat natürlich eine sehr lange Geschichte, möglicherweise konnten Menschen in früheren Zeiten auch gar nicht überleben, ohne zum Beispiel zur Jagd zu gehen. Das ist insofern ganz verständlich, dass wir Menschen uns ein Weltbild zurechtzimmern, das legitimieren, was wir tun (müssen). Aber aus dem einst Notwendigen ist längst das Gewinnbringende und das Bequeme geworden, und wir müssen uns fragen, ob die alten Geschichten und Begriffe noch passen – also zum Beispiel die starke Trennlinie zwischen Mensch und Tier. Oder dass wir das nicht-menschliche Tier heute fast gänzlich außerhalb der Moral ansiedeln - dafür gibt es keine rationale oder moralisch tragbare Begründung.

Warum hat unsere Gesellschaft so unterschiedliche moralische Vorstellungen, wenn es um Haus-, „Nutz“- und Zootiere geht?

Wir unterscheiden ziemlich willkürlich und auch kontextuell, welches Tier in welche Kategorie gehört – eigentlich nur, um exakt das mit ihm zu rechtfertigen, was wir eben mit ihm tun. Ein Schwein ist genauso reinlich wie eine Katze. Wer eine Katze in einem Käfig auf ihrem eigenen Kot hält, ist ein Tierquäler. Einem Schwein darf man das aber vermeintlich antun, es ist ja ein „Nutztier“. Ebenso helfen universitäre Tierkliniken Haushunden bei sehr diffizilen gesundheitlichen Problemen, tun aber wenige hundert Meter weiter ihren „Laborhunden“ die schlimmsten Dinge an. Ich glaube nicht, dass diese Kategorien ihren Grund in einem wirklichen moralischen Unterschied haben – sondern allein in ihrem Nutzen für uns.

Weshalb wehren sich viele Fleischesser davor, mit Realitätsabbildungen wie Dokus in Berührung zu kommen?

Es ist nicht schön mitanzusehen, was den Tieren in ganz normalen Ställen und im Schlachthof geschieht; Fleischesser sind ja keine Tierquäler, viele lieben sogar Tiere! Um diesen Widerspruch auszuhalten, muss man einiges verdrängen. Und wenn man es nicht verdrängt, sondern sich das Elend, das man ja mitbezahlt, anschaut – dann meldet sich das schlechte Gewissen. Auch nicht schön! Schuldgefühle sind sehr schmerzhafte Gefühle. Man müsste halt aufhören, Tiere zu konsumieren – aber man ist oft zu bequem, Änderungen im eigene Leben vorzunehmen; den Fernsehsender zu wechseln, fällt leichter.

Sie sagen, dass kein Tier sein Leben freiwillig hingeben würde, weswegen der Mensch auch kein Recht darauf hat. Glauben Sie, dass das Recht eines Tieres auf Leben irgendwann von der Gesetzgebung verankert wird? In Österreich werden Tiere rechtlich wie Sachen behandelt.

Die Tiere haben derzeit einen sonderbaren rechtlichen Zwischenzustand; wir dürfen ja einen Hund zum Beispiel nicht einfach treten oder „kaputt machen“ wie einen Tisch. Jeder weiß, dass Hunde empfindungsfähige Lebewesen sind, das weiß auch das Recht. Dann aber plötzlich darf man Tiere doch in Übereinstimmung mit unseren Traditionen einfach so einsperren oder töten, weil einem zum Beispiel Schweinehintern so gut schmeckt. Konsistent ist das nicht, und ich hoffe schon, dass auch die Dynamik der Gesetzgebung da Wesentliches verbessern wird. Aber wir brauchen natürlich einen Bewusstseinswandel, auch auf breiter gesellschaftlicher Ebene. Gesetze drücken ja das aus, was große Teile einer Gesellschaft denken – oder bestenfalls, was sie beinah schon denken. Ich erinnere mich, wie 1997 in der BRD die Vergewaltigung in der Ehe strafbar wurde. Es gab wirklich Parlamentarier, die gegen das Gesetz stimmten! Nicht alle Mitglieder der Gesellschaft fanden also, es handle sich um einen Straftatbestand. Aber genug. Und so konnte die Norm festgeschrieben und allgemein wirksam werden.

Sie sprechen sich auch gegen Bio-Fleisch aus. Viele argumentieren jedoch, dass das Tier dann wenigstens ein schönes Leben hatte. Welchen ethischen Unterschied hat Bio-Haltung im Gegensatz zu Massentierhaltung?

Wenn man sich die Bestimmungen zur Bio-Haltung einmal durchliest – die wenigsten Kunden tun das leider – merkt man schnell, dass das mit einem „schönen Leben“ nichts zu tun hat. Weder was die Platzverhältnisse angeht, noch die Möglichkeiten zum artgerechten Leben. Auch die allermeisten Bio-Schweine können nie wühlen oder sich suhlen, fast ausnahmslos werden auch den Bio-Milchkühen die Kälber nach der Geburt weggenommen, und alle Bio-Hühner und -puten werden industriell ausgebrütet, wachsen ohne Mutter auf. All diese Tiere werden künstlich besamt, die meisten sind auf hohe Leistung gezüchtet. – Andersherum: selbst wenn die Tiere wirklich ein gutes und vollständiges Leben hätten – wenn man sei schlachtet, sind sie ja trotzdem tot, oder? Wer will denn gewaltsam aus einem glücklichen Leben gerissen werden? Ein Lamm, ein Kalb sind noch im Kindesalter, auch das Schwein ist noch nicht mal ausgewachsen. Auch ich lebe ein glückliches Leben, und ich verwahre mich vehement gegen die absurde Idee, jemand anderes dürfe mich daher töten!

Wie hat es sich moralisch angefühlt, als Sie aufgehört haben, Fleisch zu essen und Veganerin wurden?

Es ist schon erleichternd, ehrlich. Natürlich sieht man trotzdem Tiertransporter auf der Autobahn und weiß um das ganze Elend – aber man hat sozusagen die Komplizenschaft hinter sich gelassen, soweit man kann. Es ist nur ein bisschen enttäuschend manchmal, geliebte Menschen zu sehen, die dasselbe wissen, und denen die Tiere auch leidtun, und die trotzdem weiter brav ihre Haushaltskasse diesem grausamen System zur Verfügung stellen. Einige sagen, sie „könnten“ nicht vegan leben. Wirklich nicht? Es ist schon eine Umstellung, aber so schwer ist es nun auch wieder nicht. Es ist nicht ein Leben ohne gutes Essen, oder ohne Sex, oder ohne Luft!

Die „Vegan Planet“-Messe für pflanzliches Genießen, findet vom 21. bis 23. November im Museum für Angewandte Kunst (MAK) in Wien statt.

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