Handelsabkommen Mercosur: Agrarier gegen Industrie
Über die „Hysterie rund um das Thema Mercosur“ kann sich Wifo-Ökonom und WU-Professor Harald Oberhofer „nur wundern“. Schließlich sei das Handelsabkommen zwischen der lateinamerikanischen Mercosur-Freihandelszone und der EU „nicht gerade ambitioniert, selbst das Thema Investitionsschutz wurde ausgeklammert“.
Trotzdem gehen Agrarier gegen das Abkommen auf die Barrikaden, während Industrielle dafür lobbyieren.
Mit viel Polemik. Wie immer, wenn mit komplexen, schwer kommunizierbaren Themen Politik gemacht wird, wird vereinfacht und tendenziös argumentiert. Auf Seite der Bauern etwa damit, dass Billigfleisch aus Übersee das Geschäft heimischer Bauern ausradieren wird. 2021 konnte in Österreich ein Kilo Schweinefleisch um 1,77 Euro produziert werden, in einem intensiven brasilianischen Ackerbaugebiet lagen die Produktionskosten hingegen bei nur 1,17 Euro, rechnen Bauernvertreter vor.
Klingt dramatisch, ist relativ.
„Nur rund ein geringer Teil der gesamten agrarischen Nachfrage würde mit dem Abkommen liberalisiert bzw. mit weniger hohen Zöllen belegt werden“, sagt Oberhofer. „Wenn das der Auslöser für den Bankrott der europäischen Landwirtschaft ist, haben wir ein ganz anderes Problem.“ Letztlich geht es gar nicht darum, dass die Zölle pauschal gestrichen werden, es wurden Quoten vereinbart.
Das Abkommen erlaubt etwa den Import von 99.000 Tonnen Rindfleisch aus Mercosur, mit einem Zoll von 7,5 Prozent. Diese Menge entspricht 1,2 Prozent der gesamten EU-Rindfleischproduktion. Für den Fall, dass die Importmengen in die Höhe schießen und die EU-Marktstruktur ins Wanken bringen, gibt es eine Klausel, nach der die Handelsliberalisierung ausgesetzt werden kann. Für zwei Mal zwei Jahre.
Klimakeule
Agrarminister Norbert Totschnig hat sich dennoch kürzlich in der Tiroler Tageszeitung gegen Mercosur ausgesprochen: „Österreich und Europa leiten eine Transformation der Wirtschaft und Landwirtschaft Richtung Klimaneutralität und mehr Nachhaltigkeit ein. Gleichzeitig will man ein Abkommen mit einem Markt vereinbaren, in dem diese Standards viel weniger relevant sind. Das passt doch nicht zusammen.“ Der Minister kritisiert EU-Bestrebungen, das Abkommen in ein politisches und ein wirtschaftliches Kapitel zu gliedern. Damit würde beim umstrittenen Handelsteil die Einstimmigkeit im EU-Rat und die Notwendigkeit der Zustimmung aller Mitgliedsstaaten fallen. Neu ist die Vorgehensweise nicht. Manche bezeichnen sie als pragmatisch. Unter anderem ist die EU beim Abkommen mit Japan so vorgegangen – der Handelsteil ist in Kraft, der Rest in der Warteschleife.
Währenddessen drängen Industrielle auf Mercosur. Zu ihren Standardargumenten gehört die Arbeitsplatzsicherung, schon jetzt würden 32.000 Jobs in Österreich an Exporten in die Mercosur-Region hängen. Auch wenn heute noch zwei Drittel des Warenaustausches innerhalb Europas stattfinden, spielen sich die großen Wachstumsfantasien in anderen Regionen ab. Ohne Handelsabkommen würde sich Europa ins wirtschaftliche Out stellen.
„Wobei Handelspolitik seit der Pandemie, den Lieferkettenproblemen und den wirtschaftlichen Verwerfungen infolge des Ukraine-Kriegs auch wieder mehr Teil der Außenpolitik und geopolitischen Überlegungen geworden ist“, meint Oberhofer. Das Wettrennen um Rohstoffe aus Südamerika sei längst eröffnet. China macht schon jetzt den meisten Handel mit den Mercosur-Staaten, ist Investor und Abnehmer von Waren. Wie in anderen Weltregionen und überall, wo es große Rohstoffvorhaben gibt. „Es ist die Frage, ob Europa im globalen Wettstreit zwischen den USA und China nur zusieht, oder ob es selbst eine aktive Rolle auf der Weltbühne einnehmen möchte“, sagt Oberhofer
Mercosur
Zum „Mercado Común del Sur“ (Gemeinsamer Markt des Südens) werden Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela. Die EU und die Mercosur-Staaten hatten vor 2019 eine Grundsatzeinigung für einen Handelsvertrag erzielt. Zuvor war 20 Jahre lang verhandelt worden. Die EU hofft nun auf eine Unterzeichnung bis Juli.
Handelsabkommen
Die EU hat insgesamt 46 Wirtschaftsabkommen mit 78 Staaten weltweit geschlossen. Eines der bekanntesten ist das CETA-Abkommen, das den Handel mit Waren, Dienstleistungen und Investitionen der EU mit Kanada fördern und die Wirtschaftsbeziehungen stärken soll.
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