Die Türkei bei der EM? Für sie zweitrangig!

Endlich wieder Fußball! Das ist die schönste, die vielleicht erfreulichste Geschichte in dieser Porträt-Serie zur EM: Mit einem Strahlen in den Augen betritt Melisa Mete an einem Mittwochnachmittag das Spielfeld 10 der riesigen Fußballplatz-Landschaft, die sich neben der UNO-City in Wien-Kaisermühlen auftut.
Im September 2023 war ihr Leben kurzfristig aus den Fugen geraten: Das Letzte, was sie spürte, war der Tritt einer Gegenspielerin in ihren Rücken. Danach erklärten ihr die Ärzte im AKH mit ernster Miene, dass sie nie wieder im Leben gehen wird können. „Im ersten Moment wollte ich das gar nicht glauben, dann wurde mir allmählich klar, dass ich erst Anfang zwanzig bin und vielleicht nie wieder Fußball spielen werde.“
Wir stellen Ihnen zur EURO insgesamt 23 Protagonisten aus der Wiener Fußballwelt vor. Jede Person steht für eines der 23 Länder, die sich neben Österreich für die EM qualifiziert haben.
Egal ob Highlander in Kaisermühlen, Schiedsrichter aus dem Gastgeberland Deutschland, der slowakische Masseur vom SC Mannswörth, die Torfrauen aus Italien und Serbien oder der dänische U-8-Spieler bei Union Mauer - alle haben dieses Leuchten in den Augen, wenn sie erklären, was den Reiz des Fußballs ausmacht und was sie ihrem Heimatland bei der EURO zutrauen.
Teil 1: Ein deutscher Schiri pfeift in Wien. Geht das?
Teil 2: Ein Schotte vereint Fußball-Nationen – in Wien-Kaisermühlen
Teil 3: „Dagi“ wartet auf Nachricht aus Serbien
Teil 4: Wo Floridsdorfs Fußball an Slowenien erinnert
Teil 5: „Als Engländer kannst du nur eines: hoffen“
Teil 6: Polnische Feiertage auf dem FavAC-Platz
Teil 7: „Bei uns in Ungarn gibt es mehr Akademien“
Teil 8: Er heiratet um elf, Belgien spielt um 21 Uhr
Teil 9: „Danish Dynamite“ im Südwesten von Wien
Teil 10: „Super Laura“ hält für FC Mariahilf und Italien
Teil 11: Ein Hauch „La Liga“ in der Wiener DSG-Liga
Teil 12: Ganz Georgien feiert. Lange hat man darauf gewartet
Teil 13: „Hopp, Schwyz“ in einem Wiener Vorstadt-Park
Teil 14: „Duda“ träumt von einem Finale des Friedens

Das konnte und wollte Melisa Mete, die schon als Vierjährige beim Besuch ihrer Verwandten mit den anderen Kindern auf den Gassen von Istanbul dem Ball nachlief, nicht akzeptieren. Kurz bevor die junge Trainerin alle Teilnehmerinnen begrüßt, taucht in Melisas Erinnerung auch wieder ihr Physiotherapeut aus dem AKH auf: „Er erklärte mir, dass es doch möglich ist, wieder Fußball zu spielen. Da habe ich sofort gewusst, dass ich es schaffen kann.“
Zuversicht, Anstrengung, auch viel Schweiß, immer wieder Tränen der Verzweiflung, aber auch Momente des Glücks begleiteten die junge Frau bei ihrem langsamen, aber zielstrebigen Comeback. Ein erster Etappensieg stellt sich bereits nach wenigen Tagen Therapie ein: „Das war, als ich mich zum ersten Mal vom Krankenbett in meinen Rollstuhl heben konnte.“

Melisa Mete: Geboren am 27. 5. 2002 in Wien, feiert bei „Kicken ohne Grenzen“ ihr Comeback.
Türkiye Futbol Federasyonu: 2008, 2016, 2021 qualifiziert, 2024 in einer Gruppe mit Portugal, Tschechien und Georgien.
Mete wuchs in Wien dreisprachig auf: „Mit meinen Eltern spreche ich Türkisch, in der Schule habe ich perfekt Deutsch gelernt und mit den beiden älteren Schwestern spreche ich heute immer noch Englisch.“
In englischer Sprache hat sie sich bei den physisch wie psychisch fordernden Therapien „tausend Mal“ gesagt: „I have control over my body.“ Doch die Kontrolle über ihren Körper kam nur langsam zurück. Aber sie kam.
Die Social-Media-Expertin betreut für den ORF unter anderem die beiden sozialen Initiativen „Licht ins Dunkel“ und „Sag’s multi“, einen Redewettbewerb, den sie selbst 2021 gewonnen hat.

„Mehr als ein Klub“
So schnell wie möglich ist sie am Mittwoch mit den Öffis vom Küniglberg nach Kaisermühlen gefahren, wo der private Verein „Kicken ohne Grenzen“ Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund den Fußball niederschwellig und feinfühlig näherbringen will. Dann die erste Ballberührung, der erste Schuss aufs Tor – was für ein Glücksgefühl!
Heute kann Melisa Mete mehrsprachig sagen, warum sie den Fußball liebt. Auf Deutsch sagt sie: „Weil ein Tor immer die Leistung einer Gruppe ist.“ In einer weiteren Sprache, auf Katalanisch, ist auf ihrem linken Arm zart das Motto des FC Barcelona eintätowiert: „Més que un club.“
Mehr als ein Klub! Mehr als zu Fenerbahçe Istanbul („Mein Lieblingsverein in der Türkei“) hält die Kickerin, die einmal als TV-Moderatorin arbeiten möchte, zu Barça. Und weil einige Spieler des legendären Vereins bei der EM für Spanien auflaufen, hält Melisa Mete nur in zweiter Linie zum Heimatland ihrer Eltern. Noch viel bedeutender ist aber, dass sie selbst wieder Tore schießen kann.
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