Maurer und Wöginger: "Wir streiten generell nicht"
KURIER: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner attestiert der Regierung, auf dem Mond zu leben, weil die Anti-Teuerungsmaßnahmen zu gering seien. Sind die „Koste es, was es wolle“-Zeiten vorbei?
August Wöginger: Wir haben im Vergleich zu Deutschland mit den 3,7 Milliarden Euro ein riesiges Paket. Bei einer Mindestpensionistin kommt man, wenn man alles zusammenrechnet, auf eine 15. Pension. Die Hilfen sind zielgerichtet für jene, die auf den Lieferwagen, den Traktor oder den Pkw angewiesen sind. Die Frage sollte die SPÖ also eher den Parteifreunden in Deutschland stellen. Wir sind unserer Verantwortung nachgekommen.
Auch den Sozialpartnern sind die Mittel zu gering.
Sigrid Maurer: Ich halte es für ziemlich unseriös, was die SPÖ hier macht, weil bei jeder Maßnahme zu schreien „das ist nicht genug“, das ist keine seriöse Politik. Anders als in Wirtschaftskrisen mit roten Bundeskanzlern haben wir Einmalzahlungen für Arbeitslose, Stipendien- und Mindestbezieher beschlossen. Es ist Aufgabe der Opposition zu kritisieren, doch hier scheint mir jeder Realitätsbezug verloren gegangen zu sein.
Aus grüner Sicht ist ein höherer Spritpreis doch gar nicht so schlecht …
Maurer: Wir sind abhängig von russischem Gas und angreifbar und erpressbar. Dafür, dass es in den letzten 20 Jahren verabsäumt wurde, aus den Fossilen auszusteigen, können die Menschen nichts. Wir erhöhen die Pendlerpauschale, um die Teuerung abzufedern. Gleichzeitig setzen wir Maßnahmen, um aus den dreckigen Fossilen rauszukommen. Wir investieren 250 Millionen Euro zusätzlich in Windkraft und Photovoltaik und 150 Millionen in den öffentlichen Verkehr.
Der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck sagt, vielleicht wird es nötig sein, „für den Frieden zu frieren“. Können Sie diesem Verzichtsappell etwas abgewinnen?
Wöginger: Wir leben seit zwei Jahren im Krisenmodus. Erst wegen der Pandemie, jetzt wegen des furchtbaren Krieges. Wir bemühen uns, Dinge abzufedern, aber wir wissen wie bei Corona nicht genau, was kommt. Bei Corona hat jedenfalls das 42-Milliarden-Euro-Hilfspaket geholfen, die Wirtschaft hat sich rasch erholt.
Soll der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij eine Rede im österreichischen Parlament halten?
Wöginger: Es ist eine Einvernehmensfrage, und das ist auch richtig so. Wir würden dem zustimmen.
Maurer: Die Art und Weise, wie Selenskij sein Volk vertritt, ist beeindruckend. Ich würde auch zustimmen, ihn im Parlament sprechen zu lassen. Es muss eindeutig sein, dass Österreich Position bezieht und solidarisch mit der Ukraine ist.
Wo endet dieses Positionbeziehen als neutrales Land?
Maurer: Die Neutralitätsdebatte kommt mir ein stückweit konstruiert vor. Es rüttelt niemand an der Neutralität, die Rolle Österreichs und die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind klar. Wie es der Vizekanzler in zahlreichen Reden betont hat, bedeutet Neutralität nicht, teilnahmslos zuzuschauen, wie eine militärische Großmacht einen Nachbarn überfällt, sondern klar Position zu beziehen. Egal, ob es die Sanktionen, die Hilfen oder die Geschlossenheit in der EU angeht.
Soll man das Heeresbudget aufstocken? Analog zu Deutschland um den Faktor 10 wären das 10 Milliarden Euro.
Wöginger: Die Gespräche laufen. Im Nationalen Sicherheitsrat haben wir uns darauf verständigt, die umfassende Landesverteidigung auszubauen. Das Neutralitätsgesetz beinhaltet auch, dass wir das Land jederzeit verteidigen können müssen. Daher ist es eine logische Schlussfolgerung, die Mittel aufzustocken.
Was die Hilfe für die Flüchtlinge in Österreich betrifft, entsteht mitunter der Eindruck, die Politik verlasse sich sehr auf die Zivilgesellschaft und die Hilfsorganisationen.
Maurer: Das kann ich nicht nachvollziehen. Das Engagement der großen Hilfsorganisationen geschieht in enger Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen. Dort werden private Quartiere eingemeldet. Wir haben eine ganz andere Situation und ein ganz anderes Tempo im Vergleich zu 2015. Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, der zu danken ist, ist groß. Wir haben den Vertriebenenstatus eingeführt und müssen jetzt alles tun, ein gutes Auffangnetz zu bilden für die zum Teil schwer traumatisierten Menschen, die kommen.
Wöginger: Das möchte ich unterstreichen. Da sind etwa die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die sich bemühen, den angebotenen leerstehenden Wohnraum zu vermitteln, oder Arbeitsminister Kocher, der sich gleich eingeschaltet hat, damit die Menschen, wenn sie wollen, gleich in den Arbeitsmarkt integriert werden.
Sollte die Inflation steigen, der Krieg lange dauern, steht zu befürchten, dass die Hilfsbereitschaft weniger wird?
Wöginger: Die Bilder von zerbombten Wohnanlagen, die teils so aussehen wie bei uns im Zweiten Weltkrieg, bringen eine tiefe Betroffenheit in der Bevölkerung. Die Frauen und Kinder werden mit offenen Armen aufgenommen. Österreich hat eine Tradition in der Nachbarschaftshilfe – ob Ungarn-Krise oder Jugoslawien-Kriege.
Sollte wie 2015 die Forderung nach Grenzen bei der Hilfsbereitschaft laut werden, wie sehr vertrauen Sie da der ÖVP, dass sie auf Kurs bleibt, Frau Maurer? Oder wäre das ein Fall für den Passus im Regierungsprogramm, dass man in Migrationsfragen getrennte Wege gehen kann?
Maurer: Wir haben europäische Gesetze, die gelten und eine Verfassung, die gilt. Und wir haben das große Committment, diese Herausforderung gemeinsam zu bewältigen. Wir wissen, die Diskussion auf europäischer Ebene ist seit Jahren verfahren. Umso positiver stimmt es mich, dass es gelungen ist, die Richtlinie, die den Sonderstatus ermöglicht, sehr schnell in Kraft zu setzen. Gleichzeitig unterstützen wir vor Ort. Ich habe keine Sorge, dass wir in dieser Frage scheitern werden oder „streitert“ werden.
Wöginger: Wir streiten generell nicht und hier auch nicht.
Stichwort Koalitionsklima: Der dritte Kanzler, der dritte Gesundheitsminister, eine Pandemie, zwei Untersuchungsausschüsse – wie hat all das Ihre Zusammenarbeit beeinflusst?
Wöginger: Für mich ist es wie am Anfang. Wir gehen durch Höhen und Tiefen, das ist so in einer Partnerschaft. Das ist offen und ehrlich, wir Innviertler sind so. Wir beide sind im Krisenmodus seit wir im Amt sind. Wir sind zwei sehr unterschiedliche Parteien, was Werte und Grundsätze anbelangt, aber Sigi und ich haben eine gute Beziehung.
Maurer: Dieses permanente Krisenmanagement, in dem wir uns befinden, erfordert Stabilität. Und ich glaube, dass wir beide Garantinnen dafür sind. Wir haben es in jeder Situation geschafft, die notwendigen Kompromisse zu finden – aber auch die Grenzen des jeweils anderen zu erkennen.
Als Sebastian Kurz vor dem Rücktritt stand, haben Sie telefoniert – oder herrschte Funkstille?
Wöginger: Ich habe einen Anruf bekommen, der war vielleicht ein wenig anders als andere – aber wir haben zu jeder Zeit kommuniziert. Es ist eine total herausfordernde Zeit. Ich bin seit 20 Jahren im Nationalrat, und ich kann mich an keine Phase erinnern, die so intensiv war wie die letzten beiden Jahre. Dass diese Koalition all das übersteht, das ist ein Zeichen dafür, dass es verbindende Elemente und Scharniere gibt und am Ende immer eine Lösung.
Wann kommt es zu Lösungen bei Informationsfreiheitsgesetz, Bundesstaatsanwalt, Pflegereform?
Maurer: Das Informationsfreiheitsgesetz könnten wir von uns aus jederzeit beschließen. Da spiele ich jetzt die Frage an den Gust weiter.
Wöginger: Das ist ein Thema, das man in der Volkspartei noch zu diskutieren hat. Es ist ja nicht so, dass wir auf diesem Gebiet nichts voranbringen: Wir haben die Parteienfinanzierung auf Schiene gebracht und bemühen uns, im ganzen Bereich Transparenz und Kontrolle etwas weiter zu bringen. Was die Pflege betrifft, so sind wir auf einem sehr guten Weg …
Das sagen Sie seit Jahren.
Wöginger: Aber jetzt sind wir in guten Gesprächen auch auf Ebene der Klubobleute. Es geht darum, den Bereich Personal, Ausbildung, Berufsrecht zusammenzustellen. Dann geht es um pflegende Angehörige, Pflegegeld bis hin zum Umgang mit Demenz. Und dann um Finanzierung und Struktur. Pflege ist ein Bereich, der betreffend Kompetenz sehr verflochten ist zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, und dementsprechend sind alle einzubinden.
Maurer: Die Herausforderung ist, das notwendige Personal zu bekommen und den Beruf attraktiv zu halten. Das alles ist in Diskussion, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir im ersten Halbjahr etwas Gutes präsentieren können.
Rückblickend: Was war der größte Fehler im Pandemiemanagement?
Wöginger: Für eine Pandemie gibt es keine Checkliste. Natürlich passieren Fehler. Wo genau? Wahrscheinlich bei der Vielzahl an Maßnahmen nach dem vierten Lockdown, wo viele nicht wussten, was gilt wo.
Maurer: Ein Fehler, den man klar benennen kann, das ist der Umgang mit der Erwartungshaltung der Bevölkerung. Die Pandemie ist zu mehreren Zeitpunkten vorschnell für beendet erklärt worden. Der Widerstand und die Empörung darüber, wenn es wieder Maßnahmen gebraucht hat, waren entsprechend hoch. Ich glaube, dass das ein Fehler war, der vom ehemaligen Kanzler genauso gemacht worden ist wie von diversen Landeshauptleuten.
Haben Sie ein gutes Gefühl, dass diverse Fehler nicht wieder begangen werden?
Maurer: Ja, wir haben die Impfung, mittlerweile gibt es auch Medikamente, und wir wissen, welche Konzepte gut funktionieren. Das Ziel jetzt ist, wie der Gesundheitsminister gesagt hat, alle Vorbereitungen für den Herbst zu treffen, und ich glaube, wir haben genug gelernt, um das mit klaren Ansagen und einem klaren Blick auf den Boden zu bringen.
Themenwechsel: Wird Lothar Lockl ORF-Stiftungsratsvorsitzender?
Maurer: Das ist eine Frage des Stiftungsrats, genauso wie alle anderen Themen des ORF im Stiftungsrat diskutiert werden. Diese Frage müssen Sie dort und Lothar Lockl stellen.
Wieso vereinbart man dann ein Vorschlagsrecht mit dem Koalitionspartner?
Maurer: Das Vorschlagsrecht gilt für den ORF-Stiftungsrat und nicht für mich als Klubobfrau.
Ist die Aufhebung Ihrer Immunität auch gut über die Bühne gegangen?
Wöginger: Auch darüber haben wir gesprochen. Mir selbst war wichtig, dass ich ausgeliefert werde, um rasche Aufklärung zu ermöglichen. Ich weiß, was ich getan habe und was nicht. Ein Sprechtagsanliegen weiterleiten, das kann aus meiner Sicht keine Straftat sein.
Kommunizieren Sie seit Chats publik geworden sind anders?
Maurer: Das hat nichts verändert. Ich habe mich viel mit Technik beschäftigt und kommuniziere seit immer auf Signal.
Wie oft telefonieren Sie miteinander?
Wöginger: Oft mehrmals täglich.
Herr Wöginger, 2020 sagten Sie, Sie vertrauen Sigrid Maurer zu 100 Prozent. Wie sieht der Prozentwert heute bei Ihnen beiden aus?
Beide: 100 Prozent.
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