Maurer und Wöginger: "Es ist nichts hinten rum"
Auf den ersten Blick trennen sie Welten. Die Feministin Sigrid „Sigi“ Maurer und den ÖAABler August „Gust“ Wöginger. Die Koalition hat die Klubobleute zwangsläufig zusammengebracht, die Corona-Krise „zusammengeschweißt“.
KURIER: Die Regierung hat ein 50 Milliarden Euro Hilfspaket beschlossen – mit gefühlt halb so vielen Maßnahmen. Haben Sie noch den Überblick?
August Wöginger: Die Beschlussfassung steht ja noch an. Im Wesentlichen haben wir drei Pakete geschnürt: Ein Rettungs-, ein Entlastungs- und ein Investitionspaket.
Gibt es etwas, wo die Grünen hätten nachbessern müssen?
Sigrid Maurer: Es ist in Summe ein rundes Paket, weil wir Zukunftsinvestitionen tätigen, die stark auf Klimaschutz ausgerichtet sind. Vom 1-Million-Dächer-Programm bis zum Reparaturbonus. Auch beim Gemeindepaket gibt es eine starke ökologische Komponente. Da und dort wird es potenziell etwas nachzubessern geben, aber ich bin sehr zufrieden.
Beim Arbeitslosengeld will die Opposition eine Erhöhung der Nettoersatzrate von 55 auf 70 Prozent statt der beschlossenen Einmalzahlung von 450 Euro. Gesundheitsminister Rudolf Anschober meinte, man müsse diskussionsbereit sein. Sollte es soweit kommen, konterkariert das das ÖVP-Prinzip „Arbeit muss sich lohnen“?
Wöginger: Das Wichtigste ist: Wir helfen jenen, die in einer Notsituation sind. Und wir haben schon wieder 107.000 Menschen von der Arbeitslosigkeit in Jobs gebracht. Dazu kommen 360 Euro pro Kind, die im September ausbezahlt werden. In Europa haben alle Länder – bis auf Österreich und Belgien – degressive Stufenmodelle. Bei uns ist die Notstandshilfe sogar zeitlich unbegrenzt.
Sind irgendwann die Mittel begrenzt, oder gilt weiterhin das Credo „Koste es, was es wolle?“
Maurer: Die ganze Welt befindet sich in dieser Krisensituation. Wir haben das Richtige getan, die Priorität auf die Gesundheit der Menschen gelegt. Die Wirtschaft hochzufahren, Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen, das kostet Geld. Wir sind aber in der guten Situation, dass wir uns günstig refinanzieren können. Wir werden im Herbst ein sehr umfangreiches Arbeitsmarktprogramm brauchen, mit Qualifizierungsmaßnahmen und Anreizen für Unternehmen, um Jobs zu schaffen.
Wöginger: Das Gemeindepaket über eine Milliarde Euro ist das beste Beispiel, weil Arbeitsplätze durch die Sanierung einer Schule oder durch den Bau eines Radweges nicht nur erhalten, sondern auch geschaffen werden.
Maurer: Im September werden die Menschen einen großen Betrag auf ihren Konten haben, und ich bin mir sicher, dass die Familien das Geld im Herbst auch ausgeben werden.
Wöginger: Ich glaube, wir haben alles getan, was wir können, um bestmöglich die Kaufkraft zu unterstützen. Worauf wir hoffen und bauen, ist der Tourismus. 16 Prozent des BIP kommen aus dem Tourismus, deshalb lautet unser Slogan heuer: „Almen statt Palmen“.
Die mittlerweile obligatorische Frage: Sie bleiben im Sommer in Österreich?
Wöginger: Ich bin mit meiner Familie in Tirol unterwegs.
Maurer: Ich nicht. Ich werde nach Slowenien fahren. Ich komme aus Tirol…
Wöginger: …ich wollte sie eigentlich besuchen.
Beeinflusst der Ibiza-Untersuchungsausschuss Ihre Zusammenarbeit?
Wöginger: Beim U-Ausschuss geht es immer um die Klärung der politischen Verantwortung. Ich möchte festhalten: Ich habe die Vorgänger-Koalition mit der FPÖ auch sehr positiv erlebt, wir haben viel zusammengebracht. Aus meiner Sicht tut der U-Ausschuss der Zusammenarbeit mit den Grünen keinen Abbruch.
Auch wenn wir ganz am Anfang sind: Was soll am Ende des Ausschusses stehen?
Maurer: Ich sehe das relativ nüchtern: Der U-Ausschuss arbeitet die Themen ab, viele engagierte Abgeordnete aller Fraktionen sind daran beteiligt. Letztlich ist das – worauf wir insgesamt bauen in all unserer Arbeit – das Vertrauen der Wähler. Nach dieser Episode, die auf Ibiza stattgefunden hat, muss das Vertrauen erst wiederhergestellt werden.
Die FPÖ spricht von einem „schwarzen Faden“, der sich durch die Untersuchungsthemen zieht.
Wöginger: Es waren der damalige Parteiobmann und der Klubobmann der FPÖ, die auf Ibiza waren mit der vermeintlichen Oligarchin. Es hat ihnen niemand angeschafft, dass sie dort hinfahren. Etwas anderes wird jetzt konstruiert, nämlich: Dort, wo wir als Staat beteiligt sind, das Finanzministerium die Eigentümerrechte wahrnimmt, können Personen für Positionen nominiert werden. Das sind normale Vorgänge in jeder Bundesregierung. Das so darzustellen, als ob alles furchtbar und grauslich ist, das stimmt einfach nicht.
Kennen Sie Peter Sidlo?
Wöginger: Nein. Ich kenne ihn nur vom Namen.
Themenwechsel. Nach dem „widerwärtiges Luder“-Sager von ÖVP-Tirol-Vize Josef Geisler hat Sigrid Maurer von einem „strukturellen Sexismus“-Problem gesprochen. Stimmen Sie zu?
Wöginger: Aus meiner Sicht ist alles gesagt, vor allem dort, wo es stattgefunden hat, nämlich in Tirol.
Was muss denn jemand sagen, damit er zurücktreten muss?
Wöginger: Ich will das nicht bewerten, weil die Entschuldigung von Josef Geisler in einer anständigen Form gemacht wurde. Daher ist diese Angelegenheit aus unserer Sicht erledigt. Soweit ich weiß, laufen auch in Tirol die Gespräche in diese Richtung.
Ist es denn getan?
Maurer: Natürlich ist es ein strukturelles Problem, dass das immer wieder passiert. Es gibt andere Beispiele aus anderen Bundesländern. Die nachhaltigste Form, damit umzugehen, ist, sich zu überlegen: Was haben wir für Rahmenbedingungen, dass so etwas für so normal gehalten wird und so leicht über die Lippen kommt. Und was können wir tun, damit so etwas nicht mehr passiert. Das hat viel mit der Unterstützung von Frauen zu tun und mit einem Umdenken von sehr patriarchal geprägten Männern. Wir werden damit ständig konfrontiert: Wie Männer in der Politik kommentiert werden, wie Frauen in der Politik kommentiert werden.
Wäre es anders bewertet worden, wenn ein männlicher Politiker einem Kind 100 Euro gegeben hätte und nicht, wie geschehen, die Arbeitsministerin Christine Aschbacher?
Maurer: Die konkrete Aktion würde ich jetzt mal beiseitelassen. Was man feststellen kann: Die Ministerinnen dieser Regierung werden kritischer beäugt. Dass kommentiert wird „Die sind ja alle blond“ – das ist vollkommen deplatziert. Wenn man die Ministerinnen kritisieren will, dann soll man das aufgrund der Inhalte tun, aber sicher nicht, weil sie blond oder auf eine bestimmte Weise angezogen sind.
Ihre Kollegin Ewa Ernst-Dziedzic hält es für „kein wünschenswertes Signal“, dass Sebastian Kurz noch vor der US-Wahl Donald Trump besucht. Warum soll der Kanzler einen demokratisch gewählten Staatsmann nicht besuchen?
Maurer: Dass Trump ganz fatale Politik fährt, das ist, glaube ich, allen bewusst. Gleichzeitig haben wir die außenpolitische Tradition des Multilateralismus. Was man sich von solchen Gesprächen erwartet, das steht auf einem anderen Blatt. Trump ist ein hoch irrationaler, tatsächlich gefährlicher Politiker, finde ich. Aber die USA ist eine sehr komplexe Demokratie, in der sehr viel Fortschritt passiert ist. Ich kann ja nicht sagen: „Ich rede nicht mehr mit den USA.“
Wöginger: Das möchte ich unterstreichen. Die diplomatischen Beziehungen sind von enormer Bedeutung in einer globalisierten Welt. Noch dazu sind die USA ein wichtiger Handelspartner für die EU und für Österreich. Man kann sich nicht aussuchen, wer dort gerade Präsident ist.
Ex-Flüchtlingskoordinator Christian Konrad vermisst bei Türkis-Grün eine Willkommenskultur. Tut die Kritik weh oder geht sie fehl, Frau Maurer?
Maurer: Sie tut weh. Wir haben in unserem Regierungsprogramm ausgereizt, was ging mit der ÖVP. Wenn es nach uns ginge, dann hätten wir eine progressivere Haltung in diesen Fragen. Bei den überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland würde ich mir natürlich wünschen, dass sich die ÖVP auf ihre christlich-sozialen Grundwerte besinnt.
Wöginger: Unsere Linie ist bekannt: Wir kennen noch alle die Bilder, was sich 2015 in Österreich abgespielt hat. Natürlich sind alle menschenrechtlichen, gesetzlichen Grundlagen einzuhalten, aber unser Ziel ist es, vor Ort zu sein und zu helfen, damit die Menschen gar nicht gezwungen werden, sich auf den Weg zu machen.
Auf den ersten Blick scheinen Sie beide aus zwei Welten zu kommen, verbindet Sie bis auf die Position als Klubchefs und die Anrede per Spitznamen Gust und Sigi nichts – und doch wirken Sie im Gespräch jetzt recht eingespielt.
Maurer: Von Beginn an hatten wir ein sehr wertschätzendes, gutes Verhältnis. Man muss dazu sagen: Wir hatten sehr schnell sehr große, schwierige Situationen zu bewältigen.
Wöginger: Die Grundchemie hat von Anfang an gestimmt. Ich kann das beurteilen, weil ich in der vorherigen Legislaturperiode schon Klubobmann war. Das hat auch super funktioniert. Mir macht der Job insgesamt Spaß. Mit Sigi Maurer tätig sein zu können, das ist etwas Besonderes – immer geprägt von einer gegenseitigen Akzeptanz und Wertschätzung.
Eine Eigenschaft, die Sie an Frau Maurer schätzen gelernt haben?
Wöginger: Sigi ist wirklich eine total gescheite Frau. Ich bin auch bei den Verhandlungen beeindruckt. Ich bin seit vielen Jahren in der Sozialpolitik tätig, aber die Sigi kann man alles fragen. Politik ist oft starr und manchmal sehr anstrengend und mühsam, deshalb tut es gut, wenn man den Humor nicht verliert, und das ist bei Sigi der Fall.
Maurer: Wir haben es durchaus lustig zwischendurch. Was ich wirklich extrem schätze, ist die Geradlinigkeit. Es ist nichts hinten rum. Es gibt viele Punkte, wo wir unterschiedlicher Meinung sind, aber gerade in der Politik, wo die Hackeln oft tief fliegen, habe ich das Gefühl, dass ich mich zu 100 Prozent auf ihn verlassen kann, dass fair gespielt wird. Allein der Plenartag, wo wir 92 Gesetzesänderungen gemacht haben…
Wöginger: Ja, ein Wahnsinn.
Maurer: Diese Erfahrung als Klubobleute in so einer extremen Krise – das schweißt natürlich zusammen. Um drei Uhr früh irgendwelche Anträge geschickt zu bekommen, die man noch einbringen muss, damit Masken geliefert werden können…
Wöginger: Wir haben oft gefeilscht und gerungen um Positionen, aber wenn wir uns auf etwas verständigt haben, dann hat das immer gepasst.
Wenn man Ihnen zuhört, dann könnte man meinen, Ihr Satz „Die Kinder gehen nach Wien und kommen als Grüne zurück“, trifft bald auf Sie zu. Denkmöglich, dass sie grün wählen?
Wöginger: Das wird nicht passieren.
Sind Sie grüner geworden?
Wöginger: Beim Gemeindepaket war klar, dass die Errichtung von Radwegen mit hineinkommt. Da ist der Gust Wöginger sicher ein Stück weiter mit überzeugt worden. Was gestiegen ist, das ist generell der Respekt vor den Grünen. Weil die Grünen traditionell eine Oppositionspartei gewesen sind und den Mut gehabt haben zu sagen: „Wir gehen in eine Bundesregierung, obwohl wir vorher nicht im Parlament vertreten waren“.
Und das alles hält 5 Jahre?
Wöginger: Absolut.
Da ändert auch die Wien-Wahl nichts?
Maurer: Nein.
Sigrid Maurer (35) Politisch engagiert hat sich die Tirolerin bereits während des Studiums (Musik, Politik, Soziologie) und als ÖH-Vorsitzende. Von 2013 bis 2017 ist sie Wissenschaftssprecherin der Grünen, mit dem Wiedereinzug der ins Parlament wird die Feministin und Aktivistin gegen Hass im Netz 2020 Klubobfrau derGrünen.
August Wöginger (45) Geboren in Passau wird er als 16-Jähriger in Oberösterreich politisch aktiv, nach dem Zivildienst Angestellter beim Roten Kreuz. Seit 2016 ist der Vater von drei Kindern ÖAAB-Bundesobmann, seit 2017 ÖVP-Klubobmann im Parlament. Das Innviertel habe ihn zu dem Menschen gemacht, der er heute ist.
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