IV-Präsident Knill: "Programm von SPÖ-Chef Babler ist eine Katastrophe"
Der Präsident der Industriellenvereinigung über Gespräche mit Kickl, Milliarden-Spielraum bei Pensionen und warum man die Rüstungsindustrie ausbauen kann.
Er vertritt die Anliegen von mehr als 5.000 Industrieunternehmen: Georg Knill (51) seit 2020 Präsident der Industriellenvereinigung (IV) über die schlechte Konjunktur, kalten Entzug von staatlichen Hilfen, Stillstand durch die Ampel und wo die Neos als erstes umfallen.
KURIER: Als Vertreter der Industrie gefragt: Befinden wir uns in einer Rezession oder Stagnation?
Georg Knill: Wir befinden uns im dritten Jahr der Rezession und bewegen uns auf eine Stagnation zu, also in eine Seitwärtsbewegung auf niedrigem Niveau.
ÖVP- und Regierungschef Karl Nehammer sagt, die Wirtschaft könnte aus sich herauswachsen, man müsse den Kuchen nur größer backen. Können Sie dem etwas abgewinnen?
Nehammer hat den richtigen Ansatz, wenn er sagt, dass wir wieder investieren müssen, um Wachstum zu generieren. Die Investitionsprämie, die diese Koalition ins Leben gerufen hat, kostete den Staat rund 7 Milliarden Euro – damit wurden aber ca73 Milliarden Euro an Investitionen los- und ausgelöst. Wir müssten Investitionen so attraktiv gestalten wie das der Inflation Reduction Act in den USA tut.
Die ÖVP ist seit Jahrzehnten in der Regierung, warum kommt die Idee erst jetzt?
Man darf nicht vergessen, dass es sich um keine Alleinregierung handelt und, dass die letzten Jahre massiv von Krisen geprägt waren. Die Regierung hat Krisenmanagement betrieben – zu recht und durchaus auch gut, wobei sie manches nicht im Fokus hatten.
Was hatte Türkis-Grün nicht im Fokus?
Die Energieversorgung, den Ukraine-Krieg und die Abhängigkeit von russischem Gas. Im Vergleich zu unseren Nachbarn haben wir uns zu lange Zeit gelassen, um Alternativen zu finden. Das hat zu höheren Energiepreisen geführt.
Die Blockadehaltung bei der Diversifizierung hat die ÖVP eingenommen.
Den Ausbau der West-Austria-Gasleitung hat Klimaministerin Leonore Gewessler verzögert. Sie hat gesagt, dass wir 2027 aus russischem Gas müssen. Jetzt erübrigt sich die Diskussion womöglich durch die Einstellung der Gasdurchleitung durch die Ukraine. Was man jedenfalls festhalten kann und muss: Hier gab es Stillstand.
Um Wachstum statt Stillstand in Österreich zu haben: Welches Wirtschaftsprogramm der Parteien kann für die Industrie am meisten leisten?
Wir haben allen im Parlament vertretenen Parteien 10 Fragen gestellt, die Antworten mit den Wahlprogrammen verglichen und sehen, dass alle fünf feststellen, dass Österreich ein Industrieland ist. Das ist schon die einzige Gemeinsamkeit, denn dann beginnen die Differenzierungen.
Dann bitte um die Differenzierung!
Die ÖVP hat ein sehr umfangreiches, standortfreundliches Programm. Beim Wirtschaftsprogramm der FPÖ sehen wir eine sehr große Deckungsgleichheit mit jenem der ÖVP, wenngleich: Bei den Auslandsthemen – Stichwort Russland-Sanktion, Sky Shield, Neutralität und Freihandel – haben wir als Industrie große Schwierigkeiten, da wir vom Export leben. Auch bei den Neos ist eine große Wirtschaftsaffinität und Deckungsgleichheit erkennbar ...
Aber?
Die Aussagen des Hauptsponsors der Neos, Hans Peter Haselsteiner, den Gestopften sollte der soziale Friede etwas wert sein, irritiert uns sehr. Ich befürchte, die Neos sind die ersten, die in Koalitionsgesprächen bei neuen Steuern umfallen.
Es fehlen noch Programme. Jenes von SPÖ-Chef Andreas Babler …
… ist eine Katastrophe. Das ist ein Arbeitsplatz-Standort-Vernichtungsprogramm. Aus unserer Sicht hat es noch nie so ein schlechtes, wirtschaftsfeindliches Programm der SPÖ gegeben wie dieses. Ich bin auch enttäuscht, weil die SPÖ dieses Land auch über Jahrzehnte mitgeprägt hat.
Was wäre für den Standort besser: Eine Regierung zwischen ÖVP und FPÖ oder der ÖVP mit der SPÖ unter Babler?
Wenn Sie mich so fragen, dann ist die Antwort klar: Mit einem Kanzler Nehammer kann es zu einer vernünftigen Standortpolitik kommen, mit der SPÖ unter Babler wäre es desaströs.
Sie wollen partout FPÖ oder Herbert Kickl nicht nennen? Gab es denn weitere Gespräche mit ihm nach Ihrem Treffen im November 2023?
Es gibt mit allen Parlamentschefs regelmäßige Gespräche – auch mit Herbert Kickl.
Umgekehrt: Was ist das Worst-Case-Szenario? Dass die Verhandlungen zu lange dauern, eine Ampel-Koalition?
Lieber ein Monat mehr verhandeln und ein gescheites Programm zusammenbringen als eine Hau-Ruck-Aktion. Mit Blick auf Deutschland glaube ich, dass eine Dreier-Koalition in Österreich Stillstand brächte und den können wir uns nicht leisten.
In Österreich sind vermögensbezogene Steuern im EU-Vergleich relativ gering.
Das stimmt nicht. Sie zählen wie die OECD die Grunderwerbssteuern und anderes nicht hinzu. Wenn man das tut, dann sind wir im EU-Schnitt.
Wir haben kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Wir haben mit 43,5 % Steuern- und Abgabenbelastung eine der höchsten Quoten in der EU. Es gibt genug Potenziale bei den Ausgaben, um Freiräume zu schaffen. Das ist deshalb so wichtig, weil wir seit der Pandemie jedes Problem mit Geld zu befrieden versuchen. Wir müssen auf kalten Entzug.
Wie soll das gehen?
Wir brauchen im Bereich der Pensionen Reformen. Es geht darum, strategische Weichen zu stellen für die nächsten 10, 15, 20 Jahre. Wir sind bei den Pensionen bei einem faktischen Pensionsalter bei Männern von knapp 62 Jahren, per Gesetz liegt es aber bei 65 Jahren. Würden wir die Angleichung bei Männern und Frauen auf das gesetzliche Alter schaffen, hätten wir einen Spielraum von 12 Milliarden Euro. Ein Jahr bringt rund 2,8 Milliarden Euro. Die Angst, die Pensionen vor einer Wahl anzusprechen, die ist unberechtigt, weil diese Diskussion jene betrifft, die noch im Erwerbsleben sind. Ändern wir nichts, dann haben wir bis 2050 mehr als 1.000 Milliarden Euro ins Pensionssystem zu zahlen. Das werden wir nicht schaffen.
Die ÖVP ist seit 1987 in Regierungsverantwortung und hat die Abhängigkeit von der „Droge Staat“ mitkultiviert. Warum sollte sie ausgerechnet jetzt umdenken?
Der Situation ist der Krise geschuldet. Die Zeiten bleiben herausfordern, der budgetäre Spielraum ist nicht so groß und wird durch die EU-Maastricht-Kriterien noch geringer. Es geht also noch stärker um die richtige Prioritätensetzung. Forschung und Entwicklung, Bildung: Auf diesen Themen muss der Fokus liegen.
Am stärksten gestiegen sind die Förderungen in den vergangenen fünf Jahren im Klimaschutzressort. Fallen Ihnen hier Punkte ein, die man im Sinne eines Sparpakets zurücknehmen könnte?
Das wichtigste Thema im Klimabereich ist die Energieversorgung. Hier sind noch massive Anstrengungen und Gelder nötig. Und zwar immer unter dem Aspekt, dass wir weiterhin leistbare Energie brauchen. Ein aktuelles Thema ist das Erneuerbare-Gase-Gesetz. Man will damit den Dekarbonisierungszielen näherkommen, vergisst aber völlig, dass die Kosten für den Verbraucher explodieren.
Dieses Gesetz bedient eine kleine Klientel der Biogas-Produzenten und benachteiligt alle Konsumenten. Die müssen dieses subventionierte, planwirtschaftliche System am Ende bezahlen. Und zwar in einer Situation, in der wir nicht wissen, wie wir das Gassystem in Österreich überhaupt aufrechterhalten möchten. Und da wollen wir eine verpflichtende Beimischung eines Biogas-Kontingents vorschreiben, das es noch gar nicht gibt? Das ist der völlig falsche Zeitpunkt.
Die Energiewende wird auch durch die Landesenergieversorger verhindert, die die Netze nicht ausbauen. Warum macht die IV im Sinne der Industrie keinen Druck auf die Länder?
Es scheitert vorrangig an den zu langen Genehmigungsverfahren. Deshalb sind wir viel zu langsam in der Zielerreichung. Es gäbe ein Gesetz für beschleunigte Verfahren im öffentlichen Interesse. Selbst das wird nicht angewandt.
Welche Industriebereiche könnten Österreich mehr Wohlstand bringen?
Österreichs Industrie trägt zirka ein Viertel der gesamten Bruttowertschöpfung. Damit ist sie ein Vielfaches größer als der Tourismus und der Dienstleistungssektor. Sie ist enorm breit aufgestellt und verfügt über eine hohe Innovationskraft. Ihre Transformation ist getrieben von der Digitalisierung und der Dekarbonisierung. Die große Herausforderung wird also sein, die Zukunftstechnologien zu implementieren. Im Bereich der Halbleiter sind wir beispielsweise exzellent aufgestellt.
Warum spricht niemand über die wachsende Rüstungsindustrie?
Die Rüstungsindustrie war historisch gesehen ein Tabuthema in Österreich. Wir hatten lange sehr gute Unternehmen, die man verkauft oder geschlossen hat. Derzeit sind nur wenige Betriebe in Österreich in diesem Bereich tätig. Es ist ein Riesenzweig, der in Europa massiv wächst. Wir können sicher in den technologiebasierten Verteidigungs- und Sicherheitsthemen einen wesentlichen Beitrag leisten. Entsprechend sollten wir uns auch positionieren.
Dem Bundesheer stehen 18 Milliarden Euro zur Verfügung, um neues Gerät zu beschaffen. Für heimische Betriebe fällt aber nicht viel ab. Sehen Sie Chancen, dass sich das künftig ändert?
Österreichs Unternehmen kommen durchaus zum Zug, beim Ankauf des italienischen Hubschraubers Leonardo AW-169 gibt es zudem entsprechende freiwillige Kooperationen, von denen Österreichs Unternehmer profitieren. Das kann und muss man natürlich weiter ausbauen und verstärken.
Haben sich das Verteidigungs- und das Wirtschaftsministerium genug eingesetzt, damit Österreichs Rüstungsbetriebe Aufträge bekommen?
Das kann man sicherlich noch ausbauen.
Sie sind für das Freihandelsabkommen Mercosur. Die Politik ist mehrheitlich dagegen. Gibt es hinter den Kulissen auch konstruktive Gespräche?
Wir leben vom Export. 60 Prozent unserer Güter gehen über den Export nach Europa und nach Übersee. Handelsabkommen ermöglichen mit anderen Ländern ein faires Handeln auf operativer Ebene. So gesehen plädiere ich für einen massiven Ausbau des fairen und regelbasierten Freihandels. Mercosur wird immer sehr kontroversiell diskutiert, hätte für Europa aber überwiegend Vorteile. Südamerika ist eine der wenigen Regionen, die noch demokratische Systeme haben. Vor allem aber haben sie aber auch Rohstoffe, die wir so dringend brauchen und Abhängigkeiten von China reduzieren könnten – Stichwort Energiewende
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