Österreichs langsame Trennung von Gazprom
Deutschland hat es innerhalb eines Jahres geschafft, von russischem Gas unabhängig zu werden. Österreich will bis 2027 so weit sein – und manchen erscheint dieses Ansinnen von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) überambitioniert. Das ist insofern verwunderlich, als Russland auch Deutschlands wichtigster Lieferant war. Der KURIER fasst die Situation zusammen.
Geopolitik. Der gewichtigste Unterschied befindet sich nicht in Wien oder Berlin, sondern in Moskau: Wladimir Putin. Der russische Präsident hat gegenüber dem ungleich mächtigeren Deutschland, das zudem NATO-Mitglied ist, eine andere Politik verfolgt. Bereits im Frühling wurden die Lieferungen immer wieder stark eingeschränkt und unterbrochen. Dabei schien Russland jeder Vorwand recht zu sein, um Deutschland unter Druck zu setzen. Die deutsche Regierung erklärte wiederholt öffentlich, den angegebenen Erklärungen keinen Glauben zu schenken.
Zwar hat Gazprom auch die Lieferungen nach Österreich reduziert, sie wurden aber nicht ausgesetzt. Das mag daran liegen, dass sich Russland Österreich gerne abhängig halten will, wie Herbert Lechner, der ehemalige Chef der Österreichischen Energieagentur (AEA) zuletzt kritisierte – und Österreich tat auch nichts, um Putin zu brüskieren.
Pipeline. Der zweite Grund: Die wichtigste Pipeline-Verbindung nach Deutschland existiert nicht mehr. Der Anschlag auf die Nord Stream 1 im September hat die meistgenutzte Lieferroute von Russland nach Europa gekappt. Das schafft Tatsachen, unabhängig davon, wer es war. Eine Inbetriebnahme des intakten Stranges der Nord Stream 2 als Alternative ist für die Regierung in Deutschland politisch nicht gangbar. Österreich hingegen ist über die Ukraine-Route unverändert angebunden.
LNG-Terminals. Drittens ist Deutschland kein Binnenland. In Rekordzeit hat man Flüssiggasterminals (Liquefied Natural Gas, kurz LNG) gebaut, die zusätzliche Importe ermöglichen. Und weitere sollen folgen, zum Teil noch heuer. Zwar ist auch Deutschland auf die Mitbenützung von LNG-Terminals in Nachbarländern angewiesen, es hat aber die Möglichkeit, eigene zu errichten.
Vertragsbindung. Die Importverträge für das russische Gas hält in Österreich seit 1968 unverändert die OMV. Die aktuelle Vereinbarung wurde erst 2018 verlängert und läuft bis 2040. Das Unternehmen hat sich also verpflichtet, noch so lange zu zahlen (sogenannte Take-or-Pay-Klausel), was mehrfach kritisiert wurde.
Inwiefern diese Verträge ein reales Hindernis beim Ausstieg aus russischem Gas darstellen, ist umstritten. Einige Experten gehen davon aus, dass Vertragspartner Gazprom seine Verpflichtungen 2022 derart vernachlässigt hat, dass auch die OMV nicht mehr daran gebunden sei.
Klären müsste man das gegebenenfalls vor einem Schiedsgericht – ein Schritt, den andere Konzerne in der EU, darunter die deutschen Uniper und RWE, bereits gesetzt haben, die OMV aber nicht. Allerdings war die Situation auch eine andere: Uniper und RWE haben kein Gas mehr bekommen. Uniper rutschte in Folge tief in die roten Zahlen und musste vom Staat gerettet werden. Die Kosten dafür: etwa 35 Milliarden Euro. Die österreichische OMV hingegen hat ihren Nettogewinn 2022 um 85 Prozent auf mehr als fünf Milliarden Euro gesteigert.
Ausblick
Deutschlands "Unabhängigkeit" hat insofern einen Preis, oder anders gesagt: Wenn die deutsche Regierung ihre Unabhängigkeit feiert, hat sie aus der Not eine Tugend gemacht. Laut dem ehemaligen E-Control-Chef und jetzigen Regierungsberater Walter Boltz könnte Österreich bis 2025 auf russisches Gas verzichten. Die Frage, wie russisches Gas ersetzt werden kann, muss allerdings gesamteuropäisch beantwortet werden. Denn kein Gas von Gazprom mehr zu kaufen hilft nur bedingt, wenn man es indirekt über Dritte importiert. Vergangenes Jahr haben es die EU-Staaten rechtzeitig geschafft, ihre Speicher zu füllen – auch mit russischem Gas, aber auch mit viel Flüssiggas.
Wenn ein so großer Wirtschaftsraum seinen wichtigsten Energielieferanten ersetzen muss, wirkt sich das unweigerlich auf den Weltmarkt aus. Es war das Bestreben der europäischen Staaten, möglichst viel Flüssiggas zu kaufen, das zu den Rekordpreisen im Sommer geführt hat. In Österreich hat das zu einem deutlichen Anstieg des Außenhandelsdefizits von 13 auf 20 Milliarden Euro geführt. In ärmeren Ländern waren teils massive Energie-Engpässe die Folge davon, dass die LNG-Lieferungen an das reiche Europa geschickt wurden. Weltweit hat die Anzahl der Menschen mit Zugang zu Elektrizität sogar abgenommen.
Heuer könnte das Füllen der Speicher für Europa schwieriger werden, denn China hat seine Lockdown-Politik beendet und wird voraussichtlich mehr Energie importieren. Anders als beim Öl kann Russland es nur bedingt beliefern, denn die Pipeline-Infrastruktur ist vor allem Richtung Westen, zum langjährig wichtigsten Kunden Europa, ausgelegt. Um die entsprechenden Mengen zu verschiffen, hat Russland nicht ausreichend Verflüssigungsanlagen.
Das ist ein Vorteil für den Westen, denn Russland kann weniger Gas exportieren und dementsprechend fehlen dem Staat Einnahmen. Einem Haushaltsüberschuss von 5,2 Milliarden Euro im Jahr 2022 steht ein Defizit von 32 Milliarden Euro in den ersten zwei Monaten 2023 gegenüber. Andererseits fehlen die russischen Mengen auf dem Weltmarkt. Das treibt die Preise und erhöht auch die Nachfrage von noch klimaschädlicherer Kohle. Alleine in Deutschland wurden 14 Kohlekraftwerke ans Netz zurückgebracht.
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