Wie der Ukraine-Krieg Geld nach Russland spült
Die EU-Energieminister beraten heute über Maßnahmen gegen die russische Erpressung mit Energielieferungen. Denn während Europa hohe Preise zahlt und die Inflation in lichte Höhen steigt, sprudeln in Russland die Einnahmen. Schadet sich Europa mit den Sanktionen am Ende selbst am meisten?
"Wir sind im Prinzip in einem Wirtschaftskrieg", sagt der Ökonom Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) zum KURIER. "Natürlich hat das auch negative Folgen für Europa."
Wladimir Putin gab sich zuletzt stark: Man werde "überhaupt nichts liefern, wenn das unseren Interessen widerspricht", tönte der russische Präsident, wohl auch als Verweis auf die derzeit ausgesetzten Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1. Die Wirtschaftsleistung soll heuer nach offiziellen Angaben zwar sinken, allerdings nur um 3 Prozent. Kommendes Jahr soll der Rückgang nur noch 0,9 Prozent betragen.
Öl- und Gasexporte
Einen Polster verschaffen der russischen Wirtschaft dabei die hohen Erlöse aus dem Export von fossilen Energieträgern, denn die Weltmarktpreise sind im vergangenen Jahr stark angestiegen. Seit dem Überfall auf die Ukraine belaufen sich die Einnahmen daraus auf 158 Milliarden Euro – und der größte Abnehmer war unverändert die EU.
Von den Einfuhren in Höhe von 87 Mrd. Euro entfallen mehr als die Hälfte auf Öl, 40 Prozent auf Gas und der Rest auf Kohle, schätzt das finnische Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA). Insbesondere beim Gas zeigt sich: Europa zahlt viel und bekommt dafür deutlich weniger (siehe Grafik). Der Staatskonzern Gazprom hat im ersten Halbjahr 41 Milliarden Euro Gewinn verbucht und damit deutlich mehr als im gesamten Vorjahr (27,5 Mrd. Euro).
Auch das EU-Ölembargo spielt bisher Russland in die Karten. „Die Art und Weise, wie dieses Energieembargo verhängt wurde, war eindeutig kontraproduktiv“, sagt Astrov. Denn dass es erst Ende des Jahres in Kraft trete, führe zu Hamsterkäufen und höheren Preise.
Ein ähnlicher Effekt zeigt sich bei Industriemetallen. Von März bis Juli haben die USA und EU-Staaten um 70 Prozent mehr Nickel und Aluminium aus Russland importiert, zum Gegenwert von knapp 2 Mrd. Euro. In Österreich stiegen die Einfuhren aus Russland im ersten Halbjahr um 173 Prozent auf 4,37 Mrd. Euro. Dahinter steht vor allem der gestiegene Gaspreis.
Wirtschaftsleistung
Ein Geheimpapier des Kreml zeichnet indessen ein weniger rosiges Bild von der russischen Wirtschaft, vermeldete die Nachrichtenagentur Bloomberg. In zwei von drei Szenarien wird mit einem massiven Einbruch gerechnet, das Vorkrisenniveau könnte dann frühestens im Jahr 2030 erreicht werden. Demnach wäre vor allem die Industrie betroffen.
So sei die pharmazeutische Industrie in Russland etwa zu 80 Prozent auf importierte Vorprodukte angewiesen, auch im Maschinenbau sei die Abhängigkeit davon groß, sagt Astrov. Einige Sanktionen würden ihre Wirkung "nicht über Nacht" entfalten.
Mittel- bis langfristig werden sich laut dem Experten die Handelsbeschränkungen am stärksten auswirken – und hier vor allem die Importe von Hightech-Produkten wie höherwertigen Mikrochips. Der Import über Drittländer sei zwar möglich, die Preise seien dabei aber höher und die Produktpalette kleiner. Die Einfuhren seien derzeit "sehr weit entfernt" vom Vorkrisenniveau, sagt Astrov.
In den kommenden Monaten könnte der Effekt auf das Bruttoinlandsprodukt vergleichbar sein, schätzt Astrov. Aber "mittelfristig steht Russland eindeutig schlechter da als die EU". Insbesondere wenn Europa die Gasimporte nachhaltig reduziert, würden Russland Einnahmen fehlen. Denn 80 Prozent der Gasexporte gehen über Pipelines und könnten nicht schnell diversifiziert werden. Zwar könne Russland neue Pipelines und zusätzliche Verflüssigungsanlagen bauen, insbesondere ohne Zugang zu westlichen Technologien würde das aber viel Zeit und Geld brauchen.
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