Vier tote Polizisten: Neue Untersuchung mit brisantem Ergebnis
Am 30. März 2011 kommt es am Tiroler Achensee zur Katastrophe, die bis heute für Diskussionen sorgt. Ein Polizeihubschrauber mit drei heimischen Exekutivbeamten und einem Schweizer Kollegen zerschellt auf der Wasseroberfläche, alle vier Insassen sind sofort tot. Die Causa wird zum Politkrimi, die Hintergründe offensichtlich jahrelang von der Flugpolizei vertuscht.
Nun haben sieben Top-Experten der deutschen Polizei sowie der Chef eines angesehenen Schweizer Luftfahrt-Unternehmens die brisante Causa im Auftrag des Innenministeriums erneut untersucht. Dem KURIER liegt der 35-seitige Bericht vor - er bringt teilweise neue Erkenntnisse über den Unfallhergang. Und er übt Kritik an der Flugpolizei, die das Unglück bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet haben soll. Deren bisher genannte Ursachen für den Absturz werden als Unsinn entlarvt.
Animationsvideo des Absturzes:
Bereits 2012 drohte der Absturz zu einem handfesten Skandal zu werden. Fünf Unfallermittler des Verkehrsministeriums hatten herausgefunden, dass der Pilot vor dem Absturz mehrere wilde Flugmanöver durchgeführt hatte. Zuvor war er nach einem gefährlichen Tiefflug bei der Landung bei einer Almhütte in einer brenzligen Lage gewesen. Nach dem neuerlichen Start flog er im Tal zwei Drehungen um die eigene Achse. Neben einer Felskante blieb der Pilot zunächst kurz in der Luft stehen, bevor er sich vermutlich kurz versicherte, ob der Flugweg frei ist. Anschließend ging es in ein Art Sturzflug in einer Rechtskurve über ein Waldstück - mit Höchstgeschwindigkeit direkt in den Achensee. Dort zerschellte das mehrere Millionen Euro teure Fluggerät.
Skandal vor Landtagswahl drohte
Die fünf Ermittler erkannten ein fahrlässiges Vorgehen des Piloten, das auch ein Tiroler Gerichtssachverständiger in einem weiteren Gutachten bestätigte. Im ministeriellen Untersuchungsbericht wurden der Flugpolizei schwere Versäumnisse vorgeworfen und 17 Sicherheitsauflagen erteilt. Da der junge, vergleichsweise unerfahrene Pilot mit politischer Unterstützung der Landesregierung Stützpunktleiter geworden war, drohte eine handfeste Affäre. Und das unmittelbar vor der Tiroler Landtagswahl.
In der Folge wurde das Tiroler Sachverständigen-Gutachten von der Tiroler Staatsanwaltschaft zur Verschlusssache erklärt und der fertige Untersuchungsbericht im Verkehrsministerium vernichtet, der Computer mit dem Dokument laut Zeugen von einem leitenden Beamten zerstört. Vier der fünf Untersucher kündigten daraufhin. Auch sonst gab es merkwürdige Vorgänge (mehr dazu hier).
Der Leiter der Flugpolizei, Werner Senn, erstellte schließlich einen eigenen Untersuchungsbericht, der verschiedenste Absturzursachen fand - Vogelschlag, Kollision mit einem Modellflugzeug oder ein epileptischer Anfall durch einen Blendeffekt der Rotoren ("Flicker Vertigo"). Kein Verschulden traf demnach den Piloten oder die Flugpolizei. Über Jahre galt dies als die offizielle Version des Innenministeriums.
2016 platzte die Bombe doch noch, als der KURIER einen Entwurf des ursprünglichen Untersuchungsberichts veröffentlichte. Der Leiter der Untersuchungsstelle im Verkehrsministerium - ein ehemaliger Kabinettsmitarbeiter des Innenministeriums - musste in der Folge den Affäre Hut nehmen, die Dienststelle wurde umgebaut. Der Rechnungshof forderte daraufhin eine neue Ermittlung durch das Verkehrsministerium ein.
Deshalb wurde alles neu aufgerollt, anhand der Flugdaten ein Video des Absturzes erstellt. Die dritte unabhängige Untersuchung kam zum dritten Mal zum selben Ergebnis - ein Pilotenfehler war die Ursache. Vermutlich hatte P. aufgrund des glatten, spiegelnden Wassers den Abstand zum Boden falsch eingeschätzt als er diesen im zweiten Tiefflug des Tages queren wollte. Für einen Vogelschlag wurde kein einziger Hinweis gefunden, der behauptete Blendeffekt sei technisch gar nicht möglich. Auch der behauptete Grenzüberwachungsflug hatte demnach nicht stattgefunden, ein Polizist wurde hingegen zuvor als "Taxi-Dienst" zur Hütte geflogen. Ein weiterer Tiroler Gerichtsgutachter prangerte seit Jahren bestehende "flugdisziplinäre Mängel" der Truppe an.
Wurde also von der Flugpolizei versucht, die Hintergründe der Katastrophe zu vertuschen? In der Folge wurden jedenfalls Gerüchte über eine angeblich persönliche Verwicklung des Ermittlers gestreut. Von einem Online-Flugportal wurde eine neue Verschwörungstheorie ins Spiel gebracht, der Pilot sei plötzlich erkrankt und ein Passagier habe in die Steuerung des Eurocopter 135 gegriffen. Deshalb sei es zu dem Absturz gekommen. Als einziger Hinweis dafür wurde allerdings präsentiert, dass ein Insasse bei dem Aufprall nicht angeschnallt war.
Manöver für bessere Fotos?
Die unabhängigen Untersucher gingen stets davon aus, der Schweizer Kollege habe mit seiner Kamera während des Fluges Fotos geschossen und sich deshalb vor dem Unglück abgeschnallt. Dafür sprachen auch die ungewöhnlichen Pirouetten des Hubschraubers vor dem Sturzflug, dadurch gab es eine bessere Rundumsicht für Bilder.
Auch hatte ein Angehöriger des Schweizer Opfers einem Ermittler gegenüber erklärt, dieser besuche gerne seine österreichischen Kollegen, weil dort weniger auf Regeln geachtet werde. Der Fotoapparat wurde allerdings nie geborgen und liegt noch am Grund des Achensees.
Bevor Flugpolizei-Chef Senn in die Pension verabschiedet wurde, gab das Innenministerium noch die neue Untersuchung durch acht anerkannte Experten in Auftrag, die teilweise an maßgeblichen Stellen der deutschen Flugpolizei sitzen. Sie sollten die Behauptungen der Flugpolizei noch einmal gegenchecken. Sehr ungewöhnlich an deren neuerlichen Ermittlungen und international unüblich ist jedenfalls, dass ausschließlich die 30 Sekunden zwischen Beginn des Sturzflugs und dem Aufprall des Polizei-Hubschraubers geprüft werden durften. Die vorangegangenen vier wilden Manöver sind deshalb nicht erwähnt.
Kein Tatortbericht für Ermittler
Auch konnten die acht erfahrenen Pilofür Ermittler ten den detaillierten Tatortbericht der Tiroler Polizei ("Tatbestandsmappe"), die Einsatzprotokolle sowie umfangreiches Fotomaterial der Unfallermittler zum Spiegelungseffekt des Sees nicht auswerten. Alles wesentliche Kernpunkte der vorangegangenen Untersuchungen.
Trotz der erschwerten Bedingungen durch vorenthaltene Informationen wurde zwei Jahre lang akribisch untersucht, der exakte Ablauf im Simulator und bei einem Probeflug nachgestellt. Zwar wollen sich die acht Top-Fachleute in dem (dem KURIER vorliegenden) Dokument - wohl aufgrund des fehlenden Beweismaterials - nicht endgültig auf eine fixe Ursache festlegen, mit den Schlussfolgerungen des Berichts der Flugpolizei wird dennoch aufgeräumt.
Vogelschlag ausgeschlossen
Der von Senn behauptete Vogelschlag sei technisch eigentlich nicht zu erklären und "zu 95 Prozent" ausgeschlossen, ein Blendeffekt bei dem Piloten "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit". Sogar die von Experten als absurd eingestufte Theorie des Internetmediums Austrian Wings mit dem plötzlich eingreifenden Insassen wurde überprüft - und als unmöglich verworfen.
Damit ist nach rund einem Jahrzehnt und vier unabhängigen Ermittlungen endgültig klar, dass die von der Flugpolizei präsentierten Ursachen schlichtweg falsch waren.
Als mit Abstand wahrscheinlichste Ursache wird in dem Dokument - erneut - der Glassy-water-Spiegelungseffekt angenommen. Verstärkt wurde die falsche Einschätzung der Flughöhe vermutlich auch durch ein gelbes Visier, das die Sicht des Piloten einschränkt.
Ein Motiv für das Unterschreiten der Mindestflughöhe wird nicht genannt, das sei aber bei Einsatzflügen prinzipiell erlaubt, heißt es. Im Gegensatz zur Untersuchung des Verkehrsministeriums sehen die internationalen Experten hier einen Einsatzflug. Eine Erklärung für den Sturz- und Tiefflug, obwohl das eigentliche Einsatzgebiet (Grenze) rund 50 Kilometer weit entfernt ist, fanden die Ermittler nicht.
Moniert wird im neuen Untersuchungsbericht, dass die Flugpolizei bis heute aus der Achensee-Katastrophe zu wenig (dokumentierte) Konsequenzen gezogen hat. Nicht erwähnt wird, dass es vier weitere Tote bei Unfällen der Flugpolizei gab (2009 in Deutschlandsberg und 2017 am Eisenerzer Reichenstein), die ebenfalls im Zusammenhang mit Fehleinschätzungen der Piloten stehen.
Mindestflughöhe als Streitpunkt
Angekündigt wurden von der Flugpolizei darüberhinaus bereits vor Jahren neue Regeln, wann die Mindestflughöhe unterschritten werden darf, umgesetzt wurde das allerdings nie. Ähnliches gilt für die Definition, was eigentlich ein Einsatzflug ist - derzeit ist das jeder Flug. Gefordert wird darüberhinausgehend in dem Bericht der Einbau von modernen Voice-Rekordern und Flugschreibern in den Polizei-Helikoptern. Die gleiche Empfehlung war jedenfalls schon im Bericht des Verkehrsministeriums im Jahr 2012 zu finden.
Eingebaut wurden in allen BMI-Helikoptern mittlerweile Tonbandgeräte, heißt es im Innenministerium. Das ist die bis heute einzige Konsequenz aus der Achensee-Katastrophe. Doch ausgerechnet beim tödlichen Unfall in der Steiermark funktionierte die Aufzeichnung nicht.
Die Einführung einer Mindestflughöhe scheiterte am Klimaschutzministerium. Der Nachfolger von Senn als Flugpolizei-Chef, Christian Stella, hatte eine Einführung zumindest versucht.
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