Leonore Gewessler: "Man will mir schaden“
Für sie gibt es „wirtschaftlichen Erfolg nur mit Klimaschutz“. Gewessler erklärt, wie sie raus aus russischem Gas will, und warum sie Amtskollegen Robert Habeck öffentlich nichts ausrichten will.
KURIER: Die Grünen stecken laut Umfragen in Deutschland wie Österreich in einer Krise. Liegt das an der Regierungsverantwortung oder der monothematischen Themensetzung?
Leonore Gewessler: Deutschland und Österreich sind in den letzten Jahren grüner geworden, das lässt sich in Zahlen messen. Die Emissionen gehen runter, auf den Dächern gibt es Photovoltaik-Anlagen, im Zug das Klimaticket, jeder fünfte verkaufte Neuwagen ist ein E-Auto. Es macht einen Unterschied, ob Grüne in der Regierung sind. Die Frage ist: Gehen wir mit den Putin-Freunden in die Vergangenheit oder in eine gute Zukunft?
Die Umfragedaten verheißen den Grünen keine "gute Zukunft“.
Wir sind ohne Zweifel in einer schwierigen Zeit in ganz Europa. Das Vertrauen in Institutionen schwindet, das muss allen Demokratinnen und Demokraten Sorgen machen. Die Grünen sind dabei der Garant für Klimaschutz, für eine unabhängige Justiz, für ein gerechtes Sozialsystem. Dafür werben wir.
Sie wollen das Verbrenner-Aus. E-Autos aus China sind in der Regel um ein Fünftel billiger als E-Autos, die in Europa hergestellt werden. Das liegt vor allem an staatlichen Förderungen in China. Wie soll so eine Mobilitätswende in Europa ohne Deindustrialisierung gelingen?
Beim Verbrenner haben wir eine Richtungsentscheidung auf europäischer Ebene getroffen. Wir sehen da gerade das Abschiedsgefecht des fossilen Systems. Wir können nicht unsere Lebensgrundlage weiter auspressen, wie das die fossilen Konzerne wollen. Klar, bei Veränderungen gibt es immer Sorgen und Ängste. Die müssen wir bearbeiten.
Wie soll Europa als Standort in dem "Abschiedsgefecht“ überleben oder gar reüssieren?
Der Chef der internationalen Energieagentur, Fatih Birol, hat selbst gesagt, er hat die Geschwindigkeit unterschätzt, mit der sich E-Autos durchsetzen können. Wir werden in Europa nicht mit dreckiger und fossiler Produktion reüssieren, sondern nur mit klimafreundlicher Hochtechnologie den Standort sichern. Europa darf nicht seinen Nokia-Moment (Nokia, ehemals Marktführer der Mobilfunkhersteller, verpasste technologischen Wandel) erleben. Großbritanniens Autoindustrie hat zurecht auf den Technologiewandel gepocht, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Eine aktuelle Deloitte-Studie zeigt, dass uns eher eine Deindustrialisierung droht. Ketzerisch gefragt: Was bringt uns Klimaneutralität, wenn wir dafür wirtschaftlich absandeln?
Auf einem kaputten Planeten gibt es kein gesundes Wirtschaften mehr. Wirtschaftlichen Erfolg gibt es nur mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz.
Müssten wir nicht mehr auf Übergangstechnologien wie emissionsarme Verbrenner setzen?
Im Forschungsbereich braucht es Offenheit. Dann kommt aber der Zeitpunkt, wo die Politik Klarheit schaffen muss. Das haben wir bei den E-Autos getan. Die Mobilitätswende ist allerdings mehr als die Antriebswende beim Auto. Wir müssen in Europa auch die Bahninfrastruktur ausbauen.
Auf der Schiene gibt es nicht einmal einheitliche EU-Regeln.
Richtig, die nächste EU-Kommission hat hier einen Auftrag. Denn es versteht wirklich niemand, warum im Straßenverkehr überall das Ampelsystem gilt, es auf der Schiene aber keine einheitlichen Regeln geben kann.
Von der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene spricht kaum jemand.
Der Anteil am Schienengüterverkehr ist in Österreich im europäischen Vergleich mit am höchsten, weil wir konsequent fördern und die Infrastruktur ausbauen. Der Brenner-Basistunnel ist der beste Beweis dafür. Wir müssen in ganz Europa aber mehr Geld in die Infrastruktur stecken und bessere Rahmenbedingungen schaffen. Wir haben beispielsweise im Abfallwirtschaftsgesetz beschlossen: Unser Müll fährt Bahn. Solche Regeln brauchen wir auf EU-Ebene. Ich will, dass die Bahn gegenüber dem LKW keinen Wettbewerbsnachteil hat. Der Straßengüterverkehr wird billiger, je mehr gefahrenwird. Das sind Ungerechtigkeiten, die können wir uns nicht mehr leisten.
Wechseln wir zum russischen Gas. Die deutsche Gasspeicherumlage, die nicht-russisches Gas in Österreich verteuert, ist wohl EU-rechtswidrig. Warum haben Sie Amts- und Parteikollegen Robert Habeck nicht längst die Leviten gelesen?
Unter Nachbarn richtet man sich das nicht immer öffentlich aus, aber ich habe das mit Robert Habeck klar besprochen. Ich bin davon überzeugt, wir müssen raus aus russischem Gas, weil es eine Gefahr für unsere Sicherheit ist und wir eine moralische Verpflichtung haben. In den letzten Monaten ist der Anteil an russischem Gas wieder gestiegen, und wenn die Energieversorger ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, dann muss die Regierung eingreifen. Deshalb erarbeiten wir jetzt eine Diversifizierungspflicht.
Haben Sie das Gefühl, dass die ÖVP dabei mitgeht?
Sobald das Gesetz fertig ist, werden wir es in der Regierung diskutieren. Ich halte das für die Nagelprobe. Alle, die wirklich aus russischem Gas wollen, werden auch zustimmen.
Für wie realistisch halten Sie die im Green Deal festgehaltene Klimaneutralität bis 2050?
Das ist ein geltendes Gesetz. Wir haben Maßnahmenpakete in Österreich wie in Europa beschlossen, damit wir dieses Ziel erreichen. Und es geht. Die Emissionen in Österreich sinken, grüne Klimaschutzpolitik wirkt. Sind wir fertig? Natürlich nicht! Dafür reichen vier Jahre grüne Regierungsbeteiligung nicht. Jede weitere Regierung muss genauso ambitioniert sein.
"Es wird ein Klimaschutzgesetz geben“, sagten Sie dem KURIER 2023. Bleiben Sie dabei?
Wir arbeiten nach wie vor daran, weil dieses Land eines braucht.
Warum wollten Sie nicht EU-Spitzenkandidatin der Grünen werden?
Ich habe in Österreich noch ganz viel im Klimaschutz vor und wir haben mit Lena Schilling eine großartige Spitzenkandidatin. Eine junge, engagierte Kämpferin für den Klimaschutz und eine konsequente Stimme gegen Rechtsextremismus.
Europaministerin Karoline Edtstadler hat Ihnen vorgeworfen, den Klimaplan NEKP ohne Abstimmung mit der ÖVP der EU übermittelt zu haben. Sie haben gesagt, von Edtstadler seien keine ernsthaften Ideen gekommen. Wie ist Ihre Gesprächsbasis?
Es ist kein Geheimnis, dass wir in dieser Bundesregierung oft unterschiedliche Meinungen haben. Diese Auseinandersetzung lässt sich aber relativ leicht lösen: Wenn Kollegin Edtstadler den Einspruch zum Entwurf zurückzieht, haben wir das Vertragsverletzungsverfahren und die drohende Strafe aus dem Weg geräumt. Dann müssen wir diese relativ sinnlose, unfruchtbare Diskussion nicht länger führen, sondern können uns auf den finalen Plan konzentrieren, den wir bis Ende Juni vorlegen müssen.
Welche Energiegesetze kommen bis September noch?
Wir machen beim Ökostromausbau den nächsten Schritt, der Netzinfrastrukturplan ist in der finalen Phase. Zum Elektrizitätswirtschaftsgesetz haben wir viele gute Stellungnahmen bekommen und wollen es bald dem Parlament vorlegen.
Sie wirken bei Ihren Auftritten meist ruhig und sachlich. Dennoch schlägt Ihnen in Kommentarspalten und in sozialen Medien besonders viel Hass entgegen. Woran liegt das?
Das Thema Hass im Netz betrifft nicht nur mich. Allen Frauen, die sich exponieren und eine Meinung haben, schlägt Ähnliches entgegen. Das zu ändern, ist eine demokratiepolitische Aufgabe. Zudem habe ich sicher ein Ressort übernommen, wo es um große Veränderungen geht, die manchen große Sorgen und Ängste bereiten.
Sind Sie eine Projektionsfläche für Hass?
Wenn man im Klimaschutz etwas weiterbringen will oder in einer Energiekrise Verantwortung übernehmen muss, kann man nicht nur Schönwetterentscheidungen treffen. Das war mir immer bewusst. Aber die Arbeit für dieses wunderbare Ministerium ist mir ein großes Privileg. Ich habe die Entscheidung keinen Tag bereut.
Sie wurden für Ihre Besetzungen bei ÖBB, Asfinag und Austro Control kritisiert. Von Umfärbungen ist die Rede …
Ganz ehrlich? Was ist mir wichtig bei meinen Besetzungen? Die Qualifikation für den Job. Hier geht es um hoch qualifizierte Menschen, die sich für wichtige und verantwortungsvolle Positionen beworben haben. Es ist mir wichtig, Frauen in Führungspositionen zu setzen. Ja, dazu stehe ich. Hier haben wir in Österreich einfach einen Nachholbedarf.
Kritik gab es an der Bestellung ihres Generalsekretärs Herbert Kasser zum neuen Finanzvorstand der Asfinag.
Er wurde als Generalsekretär von einem roten Minister besetzt, von einem blauen abgesetzt und jetzt wieder von einer Grünen besetzt. Er kennt sich in der Infrastruktur aus wie kaum ein Zweiter in Österreich. Er hat sich beworben. Was jetzt passiert: Man will mir schaden und diskreditiert deshalb ihn. Das halte ich für hochgradig ungerecht diesen kompetenten Menschen gegenüber.
Wir wissen nicht, wie die nächste Regierung aussieht. Aber können Sie sich vorstellen, auch als Oppositionelle in der Politik zu bleiben?
Ich bewerbe mich für ein Nationalratsmandat und werde im Wahlkampf dafür werben, dass es einen Unterschied macht, ob Grüne oder Blaue in der Regierung sind. Alles andere entscheidet sich nach der Wahl. Bei den Grünen wird ernsthaft für den Klimaschutz gekämpft – und zwar aus allen Positionen.