Gewessler: "Zwei Grad weniger gehen sich auch bei mir aus"
In ihrem Ministerium ist die Klimaanlage bereits abgedreht und die Heiztemperatur auf maximal 19 °C begrenzt. Müssen sich daran bald alle halten? Der KURIER hat nachgefragt.
KURIER: Der Finanzminister hat das ASFINAG-Straßenbauprogramm unterzeichnet. Ist damit der Lobautunnel endgültig abgesagt?
Leonore Gewessler: Das Finanzministerium hat das auf Basis des Klimachecks abgesegnet. Also werden klimaschädliche Großprojekte wie der Lobautunnel, wie im Bauprogramm vorgesehen, nicht weiterverfolgt.
Man wirft Ihnen aber vor, dass Sie gegen das Straßenbaugesetz verstoßen haben.
Das Bauprogramm ist Kompetenz der Ministerin. Ich habe mein Vorgehen vorab auf Basis von Rechtsgutachten geprüft und meinen Handlungsspielraum rechtlich abgesichert.
Warum kriegen Tote, Häftlinge und Asylwerber den Klimabonus?
Der Klimabonus ist ein ganz simples Konzept. Alle Menschen, die in diesem Land 183 Tage im Jahr hauptgemeldet sind, sind auch von einer CO2-Bepreisung betroffen und kriegen deswegen den Klimabonus als Ausgleich. Der Klimabonus ist ein Anspruch. Deshalb geht er natürlich auch in die Erbmasse über. Genauso, wie die letzte Pension oder das letzte Pflegegeld.
Auch die Auszahlung an Schwerverbrecher war geplant?
Wir haben in den letzten Tagen eine Neiddebatte geführt, die wir jetzt wirklich nicht brauchen. Die Grundidee war immer: Wirklich alle in diesem Land bekommen den Klimabonus. Aber natürlich werden wir schauen, was man noch besser machen kann.
Ausgelöst hat diese Debatte die ÖVP, die den Klimabonus ja mitbeschlossen hat. Hat Sie das überrascht?
Auch die ÖVP macht Werbung für den Klimabonus, schaltet ganzseitige Inserate. Ich bin froh, dass sich nun in der ÖVP beim Klimabonus die Vernunft durchgesetzt hat.
Was alle interessiert: Wann gehen die Energiepreise wieder runter?
Wir alle haben keine Glaskugel. Ich vermute aber, dass die Situation angespannt bleibt. Deswegen haben wir viele Maßnahmen gesetzt, um national möglichst rasch und einfach abzufedern. Doch die Probleme des europäischen Strommarktes können wir nicht national lösen. Deshalb ist wichtig, dass die EU-Kommission jetzt ein Paket vorgelegt hat, wo in einem ersten Schritt der Strom- vom Gaspreis entkoppelt wird.
Die Kommission hat auch einen Gesetzesvorschlag zur Übergewinnsteuer für Energieversorger vorgelegt.
Ich gehe davon aus, dass wir das am 30. September beim nächsten EU-Ministerrat beschließen. National arbeiten wir gerade an einem Modell, das sicherstellt, dass wir genügend Geld in Erneuerbare investieren. Nur die Erneuerbaren sind der Weg aus der Erpressbarkeit.
Also liefern dann die westösterreichischen Energieversorger ihre Krisengewinne ab, während für die Wien Energie ein Zwei-Milliarden-Schutzschirm aufgespannt wird?
Ich halte nichts davon, jetzt Bundesländer auseinander zu dividieren. Diese Diskussion haben wir schon bei der Stromkostenbremse gehabt: Ist das jetzt ein Ostregion-Förderpaket? Vorarlberg und Tirol hat aufgrund des hohen Anteils Erneuerbarer jetzt nicht so hohe Strompreise. Das ist ja an sich ein Grund zur Freude.
Wer bezahlt die Anti-Teuerungs-Pakete?
Die Frage der Finanzierung dieser Pakete ist eine, wo wir aktuell als Republik von einer guten Bonität am Finanzmarkt profitieren. Aber natürlich ist es eine absolute Ausnahmesituation. Wir sind mitten in einer Krise und ich halte das für vollkommen gerechtfertigt, dass man dann auch diese Unterstützungen für viele Menschen, die gerade jetzt von den Teuerungen stark betroffen sind, so umsetzt.
Die Strompreisbremse deckelt mehr als den Jahresverbrauch der meisten Haushalte. Wo ist der Sparanreiz?
Unser Plan war, die Haushalte schnell, unbürokratisch und ohne Antrag so treffsicher wie möglich zu unterstützen. Die Energieversorger haben die Daten über die Haushaltsgröße schlicht und ergreifend nicht vorliegen. Wir können nicht nach Haushaltsgröße und Hauptwohnsitzen differenzieren, wenn’s schnell und unbürokratisch gehen soll.
Es wird nicht nachjustiert?
Wir müssen die Datenqualität definitiv verbessern. Das geht nicht innerhalb weniger Monate.
Sie haben eine Energiesparkampagne gestartet – können Sie elf Prozent Energie daheim einsparen?
Ja. Es geht ja um Maßnahmen, die einfach umsetzbar sind und rasch wirken. Ich habe Fernwärme und bin sehr froh, dass auch die Fernwärme dekarbonisiert werden wird, unter anderem mit Wärmepumpen. Sanieren ist sinnvoll, Heizung tauschen ist sinnvoll, das geht aber nicht von heute auf morgen. Deshalb schaut die Kampagne auf jene Bereiche, die für jeden machbar sind. Ich persönlich habe die Raumtemperatur daheim sicher auch ein wenig aus dem Blick verloren. Zwei Grad weniger gehen sich auch bei mir aus.
Geplant sind maximal 19 °C in öffentlichen Gebäuden, außer in Schulen und Spitälern. Warum nicht überall?
Wir arbeiten gerade ein Paket aus, das vor dem Winter fertig sein muss. Das wird ja kein Winter wie jeder andere. Wir werden alle einen Beitrag leisten müssen, wie wir sorgsam mit der Energie umgehen. Eine grell strahlende Werbebeleuchtung um drei Uhr früh muss nicht sein, das versteht, glaube ich, jeder.
Und das Nein für die Heizschwammerl ist fix?
Ich bin dafür. Wir haben gerade eine Kampagne gestartet, wo wir Menschen darum ersuchen, daheim einen Beitrag zum Energiesparen zu leisten, und die Heizung herunterzudrehen. Da macht es doch auch Sinn, dass wir temporär, für einen Winter, auf die Heizschwammerl verzichten.
Kommen weitere Verbote?
Die Maßnahmen, die wir gerade erarbeiten, müssen verbindlich sein. Konkret schauen wir uns die Themen Beleuchtung, Werbebeleuchtung, Temperatur in öffentlichen Gebäuden an.
Ohne über Gebühr zu alarmieren, haben wir für diesen Winter eine größere Gefahr für einen Blackout?
Die Situation ist angespannt. Beim Strom ist in Frankreich mehr als die Hälfte der Atomkraftwerke außer Betrieb und vom Netz, die Wasserkraft hat wegen der großen Trockenheit um ein Drittel weniger produziert. Deswegen ist es wichtig, dass wir bei den Verbrauchsspitzen runterkommen, um zu entlasten. Deswegen ist das Thema Energiesparen so wichtig. Aber ein Blackout im Sinne eines ungeplanten und dramatischen Zusammenbruchs der Stromversorgung, daran arbeiten alle, von den Netzbetreibern zu den Produzenten, dass uns das nicht passiert. Wir müssen schon auch klar sagen: Wir haben in Österreich eines der sichersten Stromnetze in ganz Europa.
Die Gasspeicher sind bei …?
Wenn das Interview erscheint, dann bei 72 Prozent. Die Experten sagen uns, dass wir bis November 80 Prozent Füllstand erreichen werden.
Wie viel gehört davon uns?
Der Gasmarkt ist liberalisiert, es speichern alle Unternehmen ein, die Kunden haben, und heuer erstmals auch die Industrie. Auch die Voest. Ich kann jedenfalls über die strategische Reserve verfügen. Und wir haben als Staat die strategische Reserve umfasst. Die umfasst 20 Terawattstunden und gehört dem Staat – als Sicherheitsnetz für absolute Notfälle.
Und wenn alle Gaslieferungen gestoppt werden?
In diesem Krisenfall kann ich auf Basis des Energielenkungsgesetz über 100 % der Speicher verfügen. Das halte ich aber nicht für gescheit, weil es dann ein gesamteuropäisches Problem ist. In Krisen sind wir solidarisch, Slowenien speichert sein Gas in Österreich ein, Tirol und Vorarlberg speichern in Deutschland ein. Im Osten haben wir Versorger, die in der Slowakei einspeichern. Wir sind aufeinander angewiesen, dass wir die Krise im Notfall gemeinsam lösen.
Umrüsten von Mellach von Gas auf Kohle: Das kann laut Verbund erst ab April funktionieren.
Es ist sehr bedauerlich, dass Mellach nicht schon im Jänner, sondern frühestens im April ans Netz gehen könnte. Wir arbeiten mit der Opposition daran, dass wir diese Verordnung auf den Weg bringen können. Es geht ja nicht nur um Mellach sondern um alle Großverbraucher, die technisch in der Lage sind, schnell einen Beitrag zu leisten. Ich hoffe auf eine rasche Lösung mit der Opposition, jeder Tag früher, hilft. Wir sprechen von 15% unseres jährlichen Gasverbrauchs.
Die CO2-Bepreisung kommt?
Ja, die startet im Oktober mit 30 Euro pro Tonne CO2. Was wir jetzt sehen und spüren, ist unsere Abhängigkeit von fossilen Energieimporten. Wir brauchen ein Steuersystem, das drauf schaut, dass wir aus fossilen Energien zu den Erneuerbaren kommen. Uns war wichtig, in so einem Ausnahmejahr, dass die CO2-Bepreisung gleichzeitig kommt mit dem Klimabonus, der abfedert und aufgestockt worden ist. Und der Klimabonus wird bei den allermeisten Menschen bereits angekommen sein, wenn die Bepreisung beginnt.
30 Euro? Der Klimarat wollte 120 Euro pro Tonne.
Die Höhe haben wir intensiv diskutiert. Jetzt ist es einmal wichtig, dass wir starten. Es ist ein Zahnrad im System, auf das alle lange gewartet haben.
Das Wärmegesetz war in Begutachtung, wird es auch verabschiedet werden?
Ja, die Rückmeldungen werden gesichtet, und wo notwendig, wird nachgebessert. Der Entwurf ist in Abstimmung, und ja, ab 2023 wird es keine Gasheizungen mehr im Neubau geben. 30% unseres Energieverbrauchs ist im Gebäudebereich, und da haben wir bessere Alternativen.
Wo bleibt das Klimaschutzgesetz? Wir es verbindlich sein?
Das KSG gibt einen Pfad für alle vor, für den Bund und Länder und jeden Bürgermeister. Wir haben uns die Schwächen des alten KSG angesehen, vor allem, was wir tun, wenn wir nicht mehr auf Zielpfad sind. Da gebe ich auch nicht auf.
Brauchen wir überhaupt ein KSG? Wir haben ja bereits EU-Ziele für 2030, minus 53%. Diese Ziele sind ja längst fix, oder?
Ja, die sind fix. Wir haben europarechtlich verbindliche Ziele, das haben wir immer gehabt.
Warum und was wird dann blockiert?
Je länger zugewartet wird, umso schlechter für unser Klima. Wir schauen uns die Aufgaben Sektor für Sektor an. Zuerst Strom, dann Gebäude, jetzt mit der Industrie. Genauso wie bei der Mobilität, mit der NoVa-Reform und dem KlimaTicket. Und so müssen wir weitermachen.
Also ein einklagbares Klimaschutz-Gesetz?
Darüber diskutieren wir.
Sie sind Klimaschutzministerin, beim Blick auf die Welt: Stimmt beim Klimaschutz die Richtung und die Geschwindigkeit?
Nein, ganz sicher nicht. Deswegen ist es so wichtig, dass es Länder wie Österreich gibt, die viel Energie reinbringen und Kurs ändern. Und deswegen ist es wichtig, dass die EU mit Europa einzige Kontinent ist, der bis 2050 im Gesetzesrang klimaneutral werden wird. Bis 2030 werden wir 55% unserer Emissionen einsparen. Wir gehen voran. Kein Krieg und kein Putin bringen uns von dem Weg ab.
Leonore Gewessler
Die seit Donnerstag 45-jährige Grazerin studierte Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen. Von 2008 bis 2014 war sie in Brüssel für eine grüne Stiftung tätig. Von 2014 bis 2019 übernahm sie die Geschäftsführung von Global 2000, wo Eva Glawischnig auch schon tätig war
Klimaministerin
Seit Jänner 2020 ist sie für Klimaschutz, Energie und Verkehr zuständig. Für Schlagzeilen sorgte sie mit der
Umsetzung des Ökostromgesetzes, Klimatickets und der CO2-Bepreisung
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