Die Arbeitslosigkeit steigt (im August zuletzt um 10 Prozent), die Wirtschaft stagniert, die ÖVP will beim Budget eine Null-Linie einziehen. ÖVP-Chef Karl Nehammer wie Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer propagieren im Wahlkampf einen "größeren Kuchen" backen zu wollen. Wie das gehen soll, erklärt der WKO-Präsident im KURIER-Interview.
KURIER: ÖVP-Chef Karl Nehammer und Sie sind unter die Zuckerbäcker gegangen, sprechen in punkto Wirtschaft davon, den Kuchen größer backen zu wollen. Mit welchen Zutaten, wenn Deutschland, unser wichtigster Handelspartner, kleinere Brötchen bäckt und wirtschaftlich teils abschmiert?
Harald Mahrer: Es kommt auf das richtige Rezept an. Es ist nicht gottgegeben, dass das, was die Wirtschaftsforscher prognostizieren, auch eintritt. Ich glaube, die Republik braucht einen anderen Budgetierungsansatz und deshalb freut es mich, dass der Bundeskanzler in Richtung eines Zero-Based-Budgeting gehen will.
Ich weiß aus der eigenen Regierungszeit, dass viele Projekte fortgeschrieben aber nicht hinterfragt werden. Ich habe mich extrem unbeliebt gemacht, als ich Doppelgleisigkeiten und Budgets bis auf Sektionsebene hinterfragt habe. Tut man das, lassen sich aber Mittel freimachen und Prioritäten schaffen. Das betrifft Bund wie Länder. Man muss nicht jeden Kreisverkehr und neue Hallenbäder bauen.
Realpolitisch gesehen ein harter Weg.
Es ist ein Kulturwandel, den wir aufgrund der immer älter werdenden Gesellschaft brauchen, allein, um die die steigenden Gesundheits- und Pflegekosten stemmen zu können. Und: Wenn Menschen nicht erkennen, dass sie mehr arbeiten werden müssen und nicht weniger, werden wir auf einen wirtschaftlichen Untergang zusteuern, weil unser Sozialversicherungssystem ins Wanken gerät.
Dass einigen die chinesische Konkurrenz so sehr zusetzt, das ist keine Überraschung. Die Frage ist, ob die europäische Antwort die richtige ist. Wir haben in China darum geworben, dass Fabriken auf europäischem Boden gebaut werden, was in Ungarn passiert ist. Und jetzt kommen wir drauf, dass die Autos billiger, die Software leichter zu bedienen ist und beginnen Marktabschottung? Das sind die Gesetze des freien Marktes.
Wir müssen aufpassen, wie wir das Wort „sparen“ verwenden. Die politische Diktion in einem Wahlkampf ist, dass jemand der spart, Leistungskürzungen im Sozialbereich vornehmen will. Das wollen wir nicht, sondern es geht um die Frage des richtigen Investierens.
Jetzt sind wir in einer semantischen Diskussion.
Ja, weil Politik zu 100 Prozent Kommunikation ist. Vertrauen und Kommunikation sind dasselbe. Wir werden beispielsweise im Gesundheitsbereich nicht sparen können, sondern mehr Anreize schaffen müssen, um dort offene Stellen überhaupt besetzen zu können.
Dann anders gefragt: Worin wird der Staat investieren müssen?
Wir brauchen jedenfalls einen Ausbau des Energienetzes. Die Frage ist aber: Muss das die öffentliche Hand alleine schultern oder kann es von privater Seite finanziert werden? Es geht darum, die Regulatorik zu ändern, zu ermöglichen, dass Versicherungen oder betriebliche Vorsorge- oder Pensionskassen in Infrastrukturprojekte investieren. Geld ist mehr als genug da – es sucht nur die richtigen Opportunitäten.
Das Geld, von dem Sie sprechen, parkt auf Sparbüchern.
Das Geld – rund 830 Milliarden – schlummert und muss nur wachgeküsst werden. Unsere Simulationen gehen von einem möglichen Wirtschaftswachstum in Österreich von 1,9 Prozent aus, wenn unsere Ideen umgesetzt werden. Warum soll das nicht möglich sein?
Weil Prognosen und Fundamentaldaten dagegensprechen. Die Inflation ist in Relation immer noch hoch, die Arbeitslosigkeit stieg zuletzt um 10 Prozent …
Ohne Maßnahmen. Aber: Der Arbeitsmarkt weist 200.000 offene Stellen aus und 250.000 weitere in den kommenden 15 Jahren weil mehr Ältere in Pension gehen. Menschen, die können, würden Voll- statt Teilzeit arbeiten, wenn es sich steuerlich auszahlt. Das gleiche gilt für Menschen, die in der Pension arbeiten wollen. Es ist ein Gewinn für den Finanzminister, denn jene, die heute nicht arbeiten, zahlen ja auch keine Steuern.
Hat die Regierung schlecht performed?
Es wäre unredlich, der jetzigen Regierung Untätigkeit vorzuwerfen, denn Österreich hatte zweieinhalb Jahre Pandemie zu managen. Einiges hätten wir gerne gemacht, scheiterten damit aber an den Grünen.
Nennen Sie ein Scheitern?
Die Sozialpartner hatten einen 10-Punkte-Plan. Um die Inflation zu dämpfen, wollten wir bei der Energie zu Beginn der Preisbildung eingreifen. Die Grünen wollten das nicht, haben die Sektkorken knallen lassen, weil die Preise in die Höhe schnalzten, um die Energiewende voranzutreiben. Was sie nicht bedacht haben: Dass sich die Teuerung bis zum Endkonsumenten durchfrisst.
Inwiefern beeinflussen die Energiepreise die Planbarkeit von Staaten und Unternehmen?
Mittlerweile ist die Unsicherheit an den Märkten eingepreist. Die Energie ist kein Schwarzer Schwan mehr, sondern hat ein Preis-Risiko, das man leider sehr ernst nehmen muss.
Themenwechsel: Vergleicht man das Wirtschaftsprogramm der ÖVP mit jenem der FPÖ, so sind sie nahezu deckungsgleich …
Das ist eine journalistische Interpretation, aus der man nicht den Schluss ziehen kann, dass die FPÖ ein idealer Regierungspartner wäre. Bei der FPÖ sind grundlegende, demokratiepolitische Fragen nicht geklärt: Was bedeuten die Abschottungsfantasien für unser Geschäft mit internationalen Handelspartnern? Ständig ist von Systemumbau die Rede – uns als Kammern und gesetzliche Interessenvertreter will man abschaffen…
Das ist kein FPÖ-Spezifikum, sondern auch die Meinung der Neos.
Ein paar ehemalige WK-Funktionäre reiten seit der Gründung der Neos auf dem Thema herum, weil sie sich scheinbar selbst nicht verwirklichen konnten. Unsere Selbstverwaltung ist eine zutiefst liberale Idee, die man der Monarchie abgerungen hat. Große wie kleine zahlen füreinander ein – das ist das Prinzip eines solidarischen Finanzierungssystems.
Unternehmer Peter Mitterbauer ortet in der Kronenzeitung bei Kickl ein "klares Bekenntnis zum wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort“. Sie attestieren dem FPÖ-Chef "Null Wirtschaftswissen“. Wie passt das zusammen?
Wann sind die Freiheitlichen in den vergangenen Jahren mit blendenden Ideen aufgefallen? Sie haben bei allen zentralen wirtschaftspolitischen Fragen im Parlament dagegen gestimmt.
Viele sagen das auch über die ÖVP, die Wirtschaftskompetenz vermissen lasse!
Man darf in einer Demokratie alles im Rechtsrahmen denken und sagen. In einer Koalition werden aber keine Einzelpositionen verwirklicht, sondern Kompromisse gefunden. Unsere Positionen wurden in den Koalitionen mit der SPÖ auch nicht gemäß der reinen Lehre umgesetzt, weil das nicht geht und das das Wesen der Demokratie ist.
Die Regierungsbildung wird in Summe extrem schwierig. Da gibt es die einen, die ein Land versprechen, in dem Milch und Honig fließt, und niemand wird arbeiten müssen. Und dann gibt es die anderen mit einem Kerkermeister an der Spitze, die eine Festung wollen und sagen: “Abschotten ist super, verzwergen ist super!“
Wird die ÖVP in Gesprächen mit der SPÖ über Vermögenssteuern diskutieren müssen?
Nein! Unser Vorschlag ist es, die Abgabenquote zu senken und mehr Anreize für Arbeit und Investitionen zu schaffen. AK-Ökonom Markus Marterbauer, eine volkswirtschaftliche Diva, die all meine Aussagen auf X kommentiert, schreibt, die WKÖ wolle die KöSt senken, das koste so und so viel Milliarden. Fakt ist: ich habe vorgeschlagen, die Körperschaftssteuer für Betriebe, die noch nicht in Österreich sind, aber kommen wollen, für eine bestimmte Dauer auf 15 Prozent zu senken. Das kostet die Republik nichts, denn die Betriebe sind ja noch gar nicht da. Derzeit laufen viele Pausenclowns herum, die verblendet sind, sich mit sich selbst beschäftigen und unredliche Debatten führen.
Mit wem könnte die ÖVP denn nach der Wahl überhaupt Gespräche führen, wenn denn alle Pausenclowns oder Kerkermeister sind?
Die ÖVP hat ein mutiges Programm geschaffen, weil Österreich hart am Wind segeln muss, aber: Die Anreize, die wir in der Arbeit schaffen wollen, bringen mehr Einnahmen. Eine Vielzahl der abgeleiteten Interpretationen aus den Aussagen der Wirtschaftsforscher, sind unredlich.
Wen meinen Sie?
Es geht mir um eine redliche Debatte. Es geht um Simulationen und kein Voodoo. Ich schätze Fiskalratschef Christoph Badeltsehr, habe meine erste Volkswirtschaftsdiplomprüfung bei ihm absolviert. Badelt sprach über den Schuldentilgungsplan zum Erreichen der Maastrichtkriterien. Budgetzusatzwachstum wurde aber nicht im Detail diskutiert. Seine Aussagen wurden gleich wieder instrumentalisiert. Wer aber sagt uns, dass wir uns an den Pfad binden müssen und kein Wachstum schaffen?
Sagen Sie uns Ihre Einschätzung zur Wahl?
Ich kann nur sagen, was ich nicht will. Ich will niemanden, der Österreich verzwergt. Ich wünsche mir jemanden, der Österreich größer denkt – vielleicht auch ein Stück größer denkt, als wir es alle in den letzten Jahren gedacht haben. Wir haben ein großes Potenzial, viel mehr aus diesem Land zu machen.
Die Parteiprogramme im Detail
Was trennt, was verbindet ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos
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