Laut APA-OGM-Index hat die erste grüne Justizministerin besonders hohe Vertrauenswerte – am politischen Parkett ist sie steter Kritik des Koalitionspartners ausgesetzt.
Alma Zadić: Kreutner und fünf bis sechs ausgewiesene Experten werden entscheiden, welche Verfahren zur Prüfung infrage kommen. Ja, die Dauer bis Mai 2024 ist ambitioniert, aber ich bin davon überzeugt, dass die Kommission das schaffen wird. Denken Sie an die Zerbes-Kommission (zum Terror-Anschlag in Wien, Anm.), diese hatte viel weniger Zeit.
Der Untersuchungszeitraum geht von 2010 bis 2023, Sektionschef Christian Pilnacek war ab 2020 suspendiert. Was wollen Sie über die letzten drei Jahre herausfinden?
Es gibt Vorwürfe, die bis in das Jahr 2022 reichen. Es gibt den Verdacht, dass versucht wurde, Einfluss auf die Justiz und Ermittlungsbehörden auszuüben. Es ist wichtig, das nicht an Personen festzumachen, sondern gesamtheitlich anzusehen.
Wird das Telekom-Verfahren untersucht werden, von dem Christian Pilnacek in dem Mitschnitt spricht?
Die Kommission und die ihr angehörigen Experten werden entscheiden, welches Verfahren und welche Vorgänge sie untersuchen. Aber ja, dieses Verfahren ist naheliegend.
Ich möchte darüber nicht spekulieren. Ich habe Sektionschef Pilnacek als einen ausgewiesenen Experten kennengelernt. Wir haben zu Beginn meiner Amtszeit auch in einigen Bereichen legistisch zusammengearbeitet. Es ist unbestritten, dass er einen großen Beitrag zur Entwicklung des Strafrechts geleistet hat. Es steht mir nicht an, auch nicht als ehemalige Arbeitgeberin, mich darüber hinaus an Spekulationen zu beteiligen.
Fast wortident haben Sie auf X (ehemals Twitter) zum Ableben von Pilnacek reagiert und wurden dafür kritisiert. Können Sie den Argwohn gegen Sie nachvollziehen?
Ich halte es aus menschlicher Sicht für wichtig zu kondolieren, weil er Mitarbeiter des Ministeriums war und ich seine Arbeitgeberin. Sein Tod hat viele Menschen hier sehr bewegt.
Gibt es einen Grund, warum Sie nicht am Requiem teilgenommen haben?
Eine Teilnahme war mir aus terminlichen Gründen nicht möglich.
Als was wird Pilnacek Ihrer Meinung nach Ihrem Haus in Erinnerung bleiben?
Ich kann in dieser sehr persönlichen Frage nicht für die rund 260 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses sprechen. Wie bereits gesagt, hat er als versierter Jurist einen großen Beitrag zur Weiterentwicklung der Straflegistik geleistet.
Pilnacek-Mitschnitt, Kurz-Prozess, Untersuchungskommission: Trägt das zum Vertrauen in die Justiz bei?
Im europäischen Vergleich, dem Europa-Barometer, gibt es in Österreich ein unverändert hohes Vertrauen in die Justiz. Seit ich im Amt bin, habe ich viele Maßnahmen gesetzt, um jeglichen Anschein einer Einflussnahme auf Ermittlungen oder die Justiz hintanzuhalten. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist entscheidend, deshalb habe ich in den letzten Jahren für ein höheres Budget in der Justiz gekämpft. Geändert wurde auch die Fachaufsicht über die WKStA. Ich habe dafür gesorgt, dass genügend Ressourcen vorhanden sind, die Struktur reformiert und der Streit beigelegt wurde. Wir haben auch Compliance-Regelungen nachgeschärft, es gibt nun ein Verbot, Aktenteile über Messenger-Dienste zu verschicken.
Das heißt USB-Stick statt WhatsApp, Signal und Co?
Die Staatsanwaltschaften sind fast komplett digitalisiert und auf den elektronischen Akt umgestiegen. Aktenteile lassen sich über das elektronische Aktensystem sehr gut weiterschicken – dafür brauchen wir keine Messenger-Dienste.
Wir haben nach diesen Vorfällen eine Sicherheitskonferenz einberufen und es wurde ein Erlass herausgegeben. Um Nachahmungstäter an Entweichungen zu hindern, haben wir der Justizwache etwa bei Arztbesuchen künftig mehr Handlungsmöglichkeiten ermöglicht.
Sie haben die neuesten Enthüllungen genutzt, um erneut den Generalstaatsanwalt zu fordern. Hat sich am Verhandlungsstand zwischen Ihnen und Karoline Edtstadler etwas geändert?
Ich hoffe, dass durch die Vorwürfe klar geworden ist, dass die Macht nicht an der Spitze bei einer Einzelperson liegen, sondern auf den Schultern mehrerer aufgeteilt werden soll. Ich werde alles daran setzen, um den Koalitionspartner davon zu überzeugen, denn es ist notwendig, wenn wir tatsächlich die Unabhängigkeit von der Politik gewährleisten wollen. Es braucht an der Spitze ein Gremium, das entscheidet. Wir bestreiten ja auch nicht, wenn die Entscheidungen beim Obersten Gerichtshof oder der Europäischen Staatsanwaltschaft in einem Senat entschieden werden. Man stellt es nur deswegen infrage, weil man in Österreich nur einen Minister an der Weisungsspitze gewohnt ist.
Drängt sich Ihnen nicht der Verdacht auf, dass die ÖVP den Bundesstaatsanwalt grundsätzlich nicht will?
Dieser Verdacht drängt sich auf. Ich werde bis zum Ende der Amtsperiode und darüber hinaus dafür kämpfen. Wenn wir das System ändern wollen, dann aber bitte nur, wenn wir es auch verbessern.
Am Montag jährt sich der Urteilstag im Buwog-Prozess zum dritten Mal. Die Urteile sind immer noch nicht rechtskräftig. Ist das für Sie in der Norm?
Im europäischen Vergleich sind wir im positiven Spitzenfeld bei der Verfahrensdauer: Wir haben in Österreich im Vergleich eine rasche Erledigung bei Verfahren. Nur 0,4 Prozent der Ermittlungsverfahren dauern länger als drei Jahre. Wir haben per Gesetz eine Grenze von drei Jahren. Danach muss das Gericht bestätigen: Ist die längere Dauer der Ermittlungen gerechtfertigt oder nicht?
Und bei Gericht?
Bei Gerichtsverfahren gab es immer den Vorwurf, dass Richter alleine mit einem umfassenden Akt sind. Deshalb habe ich zwei neue Berufsgruppen für Großverfahren geschaffen. Wir kennen Projektmanager aus der Privatwirtschaft und so habe ich 20 Planstellen für Verfahrensmanagerinnen geschaffen, die bei größeren Verfahren hinzugezogen werden können. Zudem gibt es 20 Planstellen für juristische Mitarbeiterinnen, die die Richter in Großverfahren unterstützen können. Dieses System hat sich bereits in einem Pilotprojekt in Wien bewährt.
Ein normal verdienender Mensch kann sich Anwaltskosten über drei Jahre hinweg nicht leisten. Muss Ihr Anspruch nicht sein, dass alles viel schneller geht?
Der Anspruch ist, dass Ermittlungsverfahren zügig abgeschlossen werden. Es gibt in der Verfassung auch ein Beschleunigungsgebot. Ermittlungsverfahren dauern durchschnittlich dreieinhalb Monate, zählt man das Hauptverfahren hinzu, dann sind es viereinhalb Monate beim Landesgericht und fünfeinhalb beim Bezirksgericht. Und ja, es braucht auch einen höheren Kostenersatz.
Stichwort Kostenersatz: Anwälte wollen, dass der konkrete Aufwand entschädigt wird, Richter, die das berechnen sollen, sagen, sie können das nicht stemmen.
Wir arbeiten mit dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) zusammen an einer Regelung, weil der Ersatz, der bei einem Freispruch zur Verfügung steht, heute bei Weitem nicht mehr das abdeckt, was Menschen für ihre Verteidigung ausgeben. Der Kostenersatz bei Freisprüchen muss angehoben und ein Kostenersatz bei Verfahrenseinstellungen muss eingeführt werden. Was die Höhen betrifft, so möchte ich den laufenden Verhandlungen nicht vorgreifen.
Wie weit sind Projekte wie Gewaltambulanzen, Familienrechtsreform oder das Verbot von Konversionstherapien gediehen?
Beim Gewaltschutzgipfel am Mittwoch werden wir Details zum Pilotprojekt der Gewaltambulanzen vorstellen. Bei diesem Themenbereich sind neben dem Justizministerium auch das Frauen-, Sozial-, und Innenministerium eingebunden. Ich bin glücklich, dass es geklappt hat, denn ich halte Gewaltambulanzen für eine der wichtigsten Maßnahmen, um die Verurteilungsquote zu erhöhen.
Was ist der Status quo bei der Ausweitung der Fußfessel?
Maßnahmenvollzug- und Strafrechtsreform greifen ineinander – darin enthalten sind auch die Neuerungen bei der Fußfessel, die bereits legistisch fertig sind und bald in die politische Koordinierung gelangen werden.
Seit über einem Jahr ist die Spitze des Bundesverwaltungsgerichts nicht besetzt.
Es ist kein tragbarer Zustand, dass die Stelle noch nicht besetzt ist. Die Kommission hat getagt und eine Entscheidung ist getroffen. Es gibt wohl Minister im Ministerrat, die dem Vorschlag nicht zustimmen. Ich hoffe aber, dass sich das bald ändert.
Bestehen Sie darauf, dass die Erstplatzierte den Posten bekommt?
Ich habe immer gesagt, ich finde es gut, wenn man dem Vorschlag der Kommission folgt.
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