Kostenersatz bei Strafverfahren: Unschuldige vor Ruin schützen, aber wie?
Bei Freispruch und Einstellung soll entschädigt werden – es besteht aber die Sorge, dass die Kosten völlig ausufern. Wiener Rechtsanwaltskammer-Präsident Rohregger hat erste Ideen.
Drei Jahre lang war gegen Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in der Prikraf-Causa ermittelt worden, im Jänner wurde er im zweiten Anlauf freigesprochen. Die Verteidigerkosten hätten ihn finanziell ruiniert, sagte Strache damals.
Es brauchte aber noch ein weiteres plakatives Beispiel, um die Debatte um horrende Kosten bei Strafverfahren in Gang zu bringen: Der Ex-Grüne Christoph Chorherr musste für sein Korruptionsverfahren, das rund zweieinhalb Jahre dauerte, rund 130.000 Euro zahlen. Seine Mutter habe ihm mit ihrem Ersparten ausgeholfen, sagte Chorherr nach seinem Freispruch im Jänner.
ÖVP und Grüne sind sich mittlerweile einig, dass es eine angemessene Entschädigung geben muss. Es gebe dazu „laufend Gespräche“, auch mit Stakeholdern, heißt es aus dem Justizministerium. Und: „Eine Umsetzung in dieser Legislaturperiode wird angestrebt.“
Gesucht wird nun ein Modell, das Unschuldige vor dem finanziellen Ruin bewahrt – ohne, dass die Kosten für den Staat völlig ausufern. Schätzungen zufolge geht es um einen dreistelligen Millionenbetrag.
Unpraktisch
Einen Kostenersatz gibt es derzeit nur bei Freispruch, und zwar in Form einer Pauschale. Bei Schöffenverfahren ist diese mit 5.000 Euro gedeckelt. Die tatsächlichen Kosten für die Verteidigung können freilich höher sein – weit, weit höher.
Deshalb fordert die Standesvertretung der Rechtsanwälte einen Kostenersatz, der sich an den allgemeinen Honorarkriterien orientiert (darin kostet jede halbe Stunde vor einem Schöffengericht 337,50 Euro). Einbezogen werden solle auch der Aufwand des Ermittlungsverfahrens.
Dieser sei aber völlig unvorhersehbar, heißt es in Fachkreisen. Auch deshalb, weil Verteidiger recht gut steuern können, wie viele Eingaben und Beratungsstunden sie in einen Fall investieren. Man müsste also gesetzlich festlegen, welcher Aufwand legitim ist und in jedem Einzelfall rechnen bzw. kontrollieren.
Eine Pauschale (bzw. eine Anpassung der derzeitigen Pauschale) erscheint da schon praktikabler, heißt es. Es sei ohnehin klar, dass Verfahrenskosten niemals 1:1 abgegolten werden können.
Und klar sei auch, dass es – gerade in Hinblick auf Verfahrenseinstellungen – eine Schranke braucht, damit nicht jedes kleine Verfahren kostenersatzpflichtig wird. Die mit Abstand meisten Einstellungen gibt es bei Körperverletzung und Diebstahl. Korruptionsdelikte, die der Anlass für die Debatte waren, sind insgesamt viel seltener (siehe Info unten).
26.422 Verurteilungen gab es 2022, 8.000 Freisprüche und 130.000 Einstellungen gibt es im Schnitt pro Jahr.
Häufige Delikte:
126.247 Fälle von Diebstahl (22.900 Einstellungen, 780 Freisprüche);
51.442 Fälle von Betrug (16.693 Einstellungen, 841 Freisprüche);
37.695 Fälle von Körperverletzung (22.270 Einstellungen, 2.451 Freisprüche)
Korruptionsdelikte:
985 Fälle von Untreue (816 Einstellungen, 62 Freisprüche);
4.148 Fälle von Amtsmissbrauch (1.051 Einstellungen, 63 Freisprüche)
Anhaltspunkte
Der KURIER hat mit Michael Rohregger, Strafverteidiger und Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien, gesprochen. Er hält einen Freibetrag und ein Stufenmodell für vorstellbar und verweist auf Anknüpfungspunkte in der Strafprozessordnung.
Darin ist festgeschrieben, dass ein Beschuldigter erst nach sechs Monaten (bei Verbrechen; drei Monate bei Vergehen) einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens stellen darf. „Der Gesetzgeber gesteht der Staatsanwaltschaft damit zu, dass es eine Weile braucht, bis man mit Ergebnissen rechnen darf“, erklärt er.
Es gibt aber auch nach oben eine Schmerzgrenze: Ermittlungen dürfen drei Jahre dauern, dann müsste die Staatsanwaltschaft eine Verlängerung beantragen.
Das Stufenmodell könnte laut Rohregger so aussehen: Bei drei bzw. sechs Monaten Ermittlungen gibt es keinen bzw. nur einen geringen Kostenersatz. Zwischen drei bzw. sechs Monaten und drei Jahren gibt es eine nach Dauer und Intensität gestaffelte Pauschale.
Und ab drei Jahren eine deutlich höhere Pauschale, „weil dann klar ist, dass es sich um ein komplexeres Strafverfahren handelt, das auch für den Betroffenen existenzbedrohend wird“, so der Rechtsanwaltskammer-Präsident.
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