Zweiter Teil: Die persönlichen Bestenlisten 2022 der KURIER-Kulturredaktion

Zweiter Teil: Die persönlichen Bestenlisten 2022 der KURIER-Kulturredaktion
Von Bayreuth bis zu Star Wars, vom Wieder-Lese-Lernen bis hin zu Fußball im Fernsehen: Was der Kulturredaktion heuer gefiel.

Genug kritisiert! Jetzt geht es um die tollen Menschen und Momente des Jahres 2022.

Zwei neue „Ringe“ und eine Scheibe

Das szenisch Aufregendste gab es in Bayreuth: Valentin Schwarz inszenierte Wagners „Ring des Nibelungen“ im Stil einer Streamingserie als  Familienaufstellung, mit wilden zeitlichen Sprüngen, psychologisch raffiniert und tragikomisch. Leider war das Dirigat von Cornelius Meister nicht ganz so mitreißend.

Dafür kamen Opernliebhaber beim „Ring“ an der Berliner Staatsoper musikalisch auf ihre Kosten, dank Dirigent Christian Thielemann und exzellenter Sänger, allen voran Michael Volle als Wotan und Anja Kampe als Brünnhilde.

Volle beeindruckte zwei Monate später auch als Hans Sachs in den neuen Wiener „Meistersingern“.

Die Salzburger Topproduktion war  eindeutig Puccinis „Trittico“ mit Franz Welser-Möst am Pult.

Wenn wir schon von grandioser Musik sprechen: Die neue CD von Rudolf Buchbinder („Soirée de Vienne“) einlegen und eine Art pianistisches Neujahrs-Wunschkonzert erleben. Phänomenal!

Ein post scriptum in eigener Sache: Den größten Nachhall hatte das KURIER-Interview mit Philippe Jordan. Er bekundete nicht nur seinen Rückzug als Musikdirektor im Jahr 2025, sondern stieß eine Diskussion über den Zustand des Musiktheaters an, die man gar nicht intensiv genug führen kann.  Gert Korentschnig

Wir lernen endlich wieder lesen

Der beste Moment des heurigen Jahres war ein Podcast der New York Times, in dem der Gastgeber Ezra Klein mit Leseforscherin Maryanne Wolf diskutierte. Das Thema: Warum wir alle immer weniger Bücher lesen können.

Der Journalist und die Forscherin der Elite-Universität UCLA gestanden zu Beginn des Gesprächs ein, selbst massive Schwierigkeiten mit der Konzentration zu haben. Kurz gesagt: Wir verlernen Lesen, weil wir am Smartphone irre schnell Informationen scannen müssen. Wir rasen damit den gedruckten Wörtern davon und verlieren den Faden. 

Die simple Lösung: Tempo reduzieren. Erste Erkenntnis: Man erfährt ja soviel nicht, wenn man sich digital mit Informationen bombardieren lässt. Philipp Wilhelmer

Fernsehen, das hungrig und glücklich macht

2022 hat uns, ohne zu fragen, noch mehr Streamingdienste beschert, noch mehr Revivals, Reboots und Spin-offs – aber auch großartige Serien. In der brillanten Satire „The White Lotus“ wurde  das Lieben und Leiden der Superreichen seziert. „Severance“ hat unser Verhältnis zur Arbeit (und zum Leben) in einen ausgeklügelten Thriller verpackt.

Und dann war da noch eine   unspektakulär anmutende Serie über einen Sandwichladen: „The Bear“. Mit wenigen Personen auf wenigen Quadratmetern, einem herzerwärmenden Kern und gutem Essen. Das macht beim Zuschauen hungrig, aber vor allem glücklich. Nina Oberbucher

 

Ein ungewöhnliches „Sisi“-Porträt

Das Kinojahr 2022 erwies sich für die heimische Filmbranche als besonders erfolgreich. Erfreulicherweise stolperte man auf jedem internationalen Filmfestival  über österreichische Filme, die auch oft ausgezeichnet wurden –  wie Kurdwin Ayubs Teenie-Film „Sonne“ oder Ruth Beckermanns Doku „Mutzenbacher“.

Seit den Standing Ovations bei der Premiere in  Cannes reüssiert Marie Kreutzer mit ihrem ungewöhnlichen Sisi-Porträt „Corsage“ und wurde mehrfach ausgezeichnet. „Corsage“ unterscheidet sich gänzlich von den üblichen Sisi-Verfilmungen und findet sich auf vielen Bestenlisten von 2022 wieder. Völlig zu Recht.  Alexandra Seibel

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Keine Tote Hose beim Streamen

Eine Bestenliste kommt heuer nicht ohne Rockkonzerte aus. Der Auftritt des Radiohead-Parallelprojekts The Smile war zwar kein Mitmach-Hitfeuerwerk, es war im Gasometer, das Bier überteuert – aber hey, es war wieder Konzert!

Nach den mitreißenden Toten Hosen im Happel-Stadion schlug aber doch zum ersten Mal Corona zu. Halb so schlimm, wenn man Zugang zu Streaming-Perlen wie der Star-Wars-Serie „Andor“ hat.

Wie aber Asmik Grigorian im Salzburger „Il trittico“ die sterbende Nonne verkörperte, war heuer unschlagbar.

„Alle sind wegen irgendwas gekränkt“, sagte Klaus Eckel im neuen, formidablen Kabarettsolo. Die Mutter der  diesjährigen Kränkungen: Winnetou. Peter Temel

Wenn 50 doch nicht  das neue 100 ist

Was gab es doch für Klagen, dass die Besucherzahlen nach der Pandemie stark zurückgegangen seien. Das mag jedoch an den Angeboten gelegen haben. Denn im Klassikbereich war von dem Motto „50 ist das neue 100“ (es geht um die Auslastung) wenig zu bemerken. 

Nicht  bei der fabelhaften Neuproduktion von  Wagners „Meistersinger“ an der Wiener Staatsoper. Auch nicht  im Museumsquartier, dem Ausweichquartier des Theaters an der Wien, bei Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ oder bei „Jolanthe und der Nussknacker“ an der Volksoper – übrigens ein  Beweis, wie man spartenübergreifend  tolles  Musiktheater machen kann. Peter Jarolin

 

Der Tritt ans Bein, der muss nicht sein

Man kann teure TV-Rechte kaufen, den Sport lieben und trotzdem  ein Großereignis kritisch begleiten. Das zeigten ORF und ServusTV beim  Paarlauf von der WM in Katar, der, nebenbei erwähnt, Fans ohne Zusatzgebühr ins Bild setzte – heute nicht mehr selbstverständlich.

Der ORF hatte u. a. Karim El-Gawhary vor Ort, der mit  Kompetenz  das Schwarz-Weiß-Denken ins Wanken brachte.  ServusTV hingegen blickte in den regionalen fiktionalen Serien von  „The Net“ auf die dunklen Seiten des Fußballs. Eine spektakuläre Idee.

Das zeigt: Für ein eigenes (Sender-)Profilmuss man einander nicht  in die Knie treten. Eine reife Leistung.  Christoph Silber

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