Dirigent Philippe Jordan: Oper ist auf "fatalem Irrweg"
Er zählt weltweit zu den gefragtesten Dirigenten und hat an vielen großen Häusern Triumphe gefeiert. Aber wie geht es mit ihm in Wien weiter? Im großen Interview im KURIER am Sonntag spricht Philippe Jordan, Musikdirektor der Wiener Staatsoper, zahlreiche Probleme im Opernbetrieb an - und welche Konsequenzen er selbst daraus zieht. So spricht er über:
- Die Aufführungen während der Corona-Zeit: "Durch diese schwere Situation wurde vielen wieder bewusst, wozu und vor allem für wen wir Oper machen. Ohne Publikum im Haus ist es kalt."
- Den Publikumsschwund: "Ich mache mir große Sorgen um viele Häuser, besonders in Deutschland und in den USA".
- Die Problematik der Regie: "Ich glaube, dass unser Theater, was die Regie betrifft, seit langer Zeit einen fatalen Irrweg eingeschlagen hat. ... letztendlich führt dieser Weg auf Dauer zu einem unvermeidlichen Scheitern." Und: "Ich habe nicht das Gefühl, dass Intendanten, Dramaturgen und besonders die Regisseure wirklich an diesem Miteinander von Theater und Musik interessiert sind."
- Und seine Zukunft an der Wiener Staatsoper
KURIER: Sie sind seit etwas mehr als zwei Jahren Musikdirektor der Wiener Staatsoper – das waren die wohl schwierigsten, die man haben konnte, komplizierter als mit Corona könnte es nicht sein. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Philippe Jordan: Für mich persönlich hat sich das ja alles nicht so negativ gestaltet. Immerhin konnten wir in unserem ersten Jahr zumindest alle geplanten Projekte verwirklichen. Das Schöne ist, dass wir hier in einem Land leben, in dem Oper für das Fernsehen noch eine gewisse Relevanz hat, was ja weltweit äußerst selten geworden ist. Dadurch konnten wir die Aufführungen sogar einem noch größeren Publikum zugänglich machen, als wenn wir nur im Haus gespielt hätten. Nur ein Beispiel: Bei unserer „Figaro“-Serie hätten wir bei fünf Vorstellungen maximal 10.000 Zuschauer gehabt. Durch die Übertragung im Fernsehen erreichten wir aber tatsächlich 250.000.
Dennoch mussten Sie bald nach dem Start ohne Publikum dirigieren. Wie hat sich das angefühlt?
Das war natürlich furchtbar. Kein Fernsehen kann auf die Dauer die Live-Aufführungen ersetzen. Durch diese schwere Situation wurde vielen wieder bewusst, wozu und vor allem für wen wir Oper machen. Ohne Publikum im Haus ist es kalt, bei der Stille nach einem Schlussakkord fühlt es sich an wie ein Geisterspiel, wie man im Fußball sagt. Da merkt man, dass es in der Kunst, vor allem in der Darstellenden, doch nicht nur um das Kunstwerk geht, sondern um das gemeinsame Erlebnis. Ich habe auch das Stehplatzpublikum vermisst, diese Stimmung, dieses Elektrisierende, das den Rest des Hauses ansteckt. Man merkte auch, was man am Wiener Publikum hat.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit dem Orchester entwickelt? Es gilt ja als recht schwierig.
Ich würde sagen: anspruchsvoll. Die Musiker verlangen viel von sich selber, und das verlangen sie auch von den Dirigenten. Dieses Geben und Nehmen ist eine hohe Qualität. Mit diesem Orchester ist es wie bei Kammermusik – man muss sich die Bälle zuschießen. Ich war glücklich, dass selbst in der Corona-Zeit sämtliche Proben stattfinden konnten, aber ich hätte mir natürlich gewünscht, dass wir von den einzelnen Werken ganze Serien spielen können und nicht – wie es leider bei allen Projekten außer „Butterfly“ und „Macbeth“ war – nur eine Aufführung. In der Serie entsteht dann noch viel mehr als in den Proben, das hätte unsere Beziehung wohl von Anfang an noch mehr vertieft.
Die Staatsoper ist nicht nur eine Ausnahme, weil sie während der Corona-Zeit Premieren herausgebracht hat, sondern auch jetzt, weil die Auslastung nach wie vor sehr hoch ist. Das ist nicht überall der Fall. Manche sagen: 50 Prozent Auslastung ist das neue 100 Prozent. Sehen Sie da eine grundsätzliche Gefahr für das Genre?
Das ist natürlich für uns sehr beängstigend. Man staunt, wie sich Gewohnheiten von Menschen so schnell ändern können. Man geht ja auch nicht mehr ins Kino. Dazu kommt die Inflation, da werden andere Dinge wichtiger als Opernkarten. Aber man soll auch nicht vergessen, dass es solche Situationen in der Kunst in Krisenzeiten immer wieder gegeben hat. Ich staune auch, dass die Staatsoper so gut besucht ist – aber auch in Wien ist die Staatsoper da ziemlich alleine, wenn man das mit den anderen Häusern vergleicht. Ich glaube auch, dass es nicht zuletzt damit zu tun hat, dass man während der Pandemie das Menschenmögliche getan hat, um die Bindung zum Publikum nicht zu verlieren. Aber ich mache mir große Sorgen um viele Häuser, besonders in Deutschland und in den USA. Man kann nur hoffen, dass sich die Situation bald bessert.
Sie haben in den ersten Saisonen in Wien viel selbst dirigiert, auch ein ganz breites Repertoire.
Das ist für mich und mein Verständnis für die Position eines Musikdirektors der Wiener Staatsoper besonders wichtig, in jedem der Kernbereiche tätig zu sein: bei Mozart, Strauss, Wagner, Verdi, Puccini. Ich wollte mich nie auf nur einen Bereich spezialisieren. Für mich muss ein Musikdirektor diese Bandbreite haben, sonst ist man kein Musikdirektor. Das ist ja auch eine der großen Qualitäten dieses Orchesters, dass es diese Bandbreite ganz selbstverständlich hat.
Sie haben sich von Anfang an künstlerisch viel vorgenommen und wollten mindestens die halbe Saison am Haus sein. Sie wollten auch ein Mozart-Ensemble bilden. Ist das wirklich schon gelungen?
Man muss in einer solchen Position viel am Haus sein – präsent sein für das Ensemble, für den Chor, für das Orchester. Was das Mozart-Ensemble betrifft: Das darf man nicht verwechseln mit dem legendären Mozart-Ensemble der späten 40er- und frühen 50er-Jahre. Das wurde auch nicht in einer Stunde Null geboren, das ist aus einer historischen Konstellation nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Wir würden diese Qualität gerne wieder erreichen, aber die Umstände und das Grundverständnis von Mozart haben sich extrem geändert. Bei so einer Idee muss man Geduld haben, und wir haben viele junge Sänger, die langfristig an einem Strang ziehen. Erste Früchte haben sich gerade jetzt bei der „Giovanni“-Serie gezeigt.
In dieser Saison dirigieren Sie wieder drei große Premieren: „Meistersinger“, „Salome“, „Figaro“. War immer geplant, dass es so viel wird?
Nein, keineswegs: „Salome“ war nicht geplant – ich wollte nur in den ersten beiden Saisonen drei Premieren machen. Aber dann haben wir, trotz größter Bemühungen, leider keinen entsprechenden Dirigenten gefunden. So kam es, dass mir diese Produktion als Chef auch noch zufiel.
„Salome“ ist eine durchaus heikle Premiere, ebenso wie „Meistersinger“ und „Figaro“, weil das Publikum die traditionellen Produktionen sehr liebt. Wie nötig sind diese Neuinszenierungen?
All diese Produktionen stammen aus den frühen 1970ern, irgendwann ist es natürlich an der Zeit, das zu erneuern. Dass man damit ein Risiko eingeht, ist klar. Aber wenn sich Theater nicht erneuert, stirbt es. Ich bin, was die Neuproduktionen dieser Saison betrifft, auch ziemlich zuversichtlich, das ist bei mir durchaus nicht immer der Fall.
Würden Sie das konkretisieren?
Das ist gar nicht einfach, das so knapp zu beantworten. Dazu muss ich grundsätzlich sagen, dass ich glaube, dass unser Theater, was die Regie betrifft, seit langer Zeit einen fatalen Irrweg eingeschlagen hat. Selten in meiner Karriere war ich bei Inszenierungen wirklich glücklich. Das Publikum hat eine richtige Sehnsucht, einfach wieder einmal gutes Theater zu sehen und nicht nur irgendeine Fassung von Irgendjemandem über Irgendwas. Ich glaube, dass sich dieser Irrweg nun mehr und mehr rächt. Ich will aber auch nicht alles schlecht machen, natürlich gab es immer wieder einmal beglückende Erlebnisse. Aber letztendlich führt dieser Weg auf Dauer zu einem unvermeidlichen Scheitern.
Dennoch sind Sie an der Wiener Staatsoper auch mit dem Ziel der Modernisierung angetreten.
Ja, und dazu stehe ich nach wie vor! Ich war mir mit Bogdan Roščić in den Gesprächen von Anfang an einig: Wir wollen eine Erneuerung des Theaters, und zwar eine wirkliche Erneuerung. Eine Antwort, wie man Oper heutzutage spielen kann. Insofern war es in der ersten Spielzeit sicher interessant, zunächst Inszenierungen, die anderswo Maßstäbe gesetzt haben, an das Haus zu bringen. Aber für mich war immer klar: Das kann nur der Anfang sein. Erst ein Rückblick auf die jüngste Vergangenheit, dann müssen wir aber zeigen, wohin wir wirklich wollen. Die Antwort kann nicht sein, dass wir den ausgetretenen Weg des dahinsiechenden deutschen Regietheaters unbeirrt immer weitergehen.
Wie kann so eine Erneuerung aussehen?
Das ist unbequem, schwierig und an Voraussetzungen gebunden – zum Beispiel daran, dass man die Informationen, die der Komponist in der Musik gibt, wieder mit einbezieht. Man muss sich endlich wieder dem Werk stellen. Die Dirigenten sitzen monatelang, bei manchen Werken jahrelang über der Partitur. Die besten Sänger bereiten sich jahrelang auf eine neue, große Rolle vor. Bei vielen, um nicht zu sagen bei den meisten der heutigen Regisseure vermisse ich aber diese gründliche Vorbereitung. Etwas drumherum zu erfinden oder es auf primitive Weise zu aktualisieren, ist im eigentlichen Sinn des Wortes keine Kunst. Die Geschichte an sich muss unbedingt immer erzählt werden, aber mit handwerklicher Könnerschaft und mit einer gewissen Ästhetik – die ist für mich als Musiker sehr wichtig.
Aber es kann Ihnen doch nicht gegen zeitgemäßes Theater gehen?
Ich bekenne mich ohne Wenn und Aber zu einem zeitgemäßen Theater – dass das keine leere Behauptung ist, dafür steht mein ganzer bisheriger Berufsweg. Aber modernes Theater muss nicht notwendigerweise jedes Mal eine ästhetische Zumutung für das Publikum und sechs Wochen handwerklicher Dilettantismus für die Mitwirkenden sein. Viele Regisseure, besonders auch die verantwortlichen Intendanten und Dramaturgen, wollen nicht wahrhaben, dass ein sehr großer Teil des Publikums heute schon trotzdem und nicht deswegen gekommen ist. Ohne eine gewisse Ästhetik macht alles, was in der Musik dargestellt wird, irgendwann keinen Sinn mehr. Auch „hässliche“ Töne müssen im Rahmen einer gewissen Ästhetik ausgedrückt werden, sonst brauchen wir kein Symphonieorchester und ausgebildete Stimmen, sonst kann man das irgendwie singen. Es muss ein Zusammenhang entstehen. Deshalb haben zum Beispiel in der Vergangenheit Regisseure wie Wieland Wagner oder Robert Wilson lange Zeit so gut funktioniert: Das war neu, hatte aber eine nachvollziehbare Ästhetik, die noch dazu gedanklich Freiräume ließ.
Dennoch darf man wohl davon ausgehen, dass Sie Ihren Vertrag, der bis 2025 läuft, wie Roščić bis 2030 verlängern?
Die Arbeit am Haus macht mir irrsinnig Spaß. Man kann sich auf der ganzen Welt kein besseres Opernorchester vorstellen, in seiner Biegsamkeit, Geschmeidigkeit, Sinnlichkeit, in seiner Wachheit. Ich erlebe das sehr positiv. Das würde Lust auf mehr machen, auch die Arbeit mit dem Chor: Er ist in einer sehr guten Verfassung. Leider bin ich da aber aus persönlichen wie auch aus künstlerischen Gründen sehr gespalten. Ich hatte jetzt zum ersten Mal nach sehr vielen Jahren den Luxus, diesen Sommer zwei Monate frei zu haben. Da kommt man ausgiebig zum Nachdenken, da geht es auch um Lebensfragen: Wie will man weitermachen?
Und wie wollen Sie weitermachen?
Ich bin mir klar geworden: Ich mache diesen Beruf jetzt fast schon 30 Jahre, die meiste Zeit davon in der Oper – zumeist in verantwortlichen Positionen. Zwölf Jahre Paris, fünf Jahre Staatsoper Berlin, davor Graz und die Anfänge. Ich habe diesen Job an der Wiener Staatsoper nach einigem Zögern nicht zuletzt deshalb angetreten, um doch noch einen Traum zu verwirklichen. Einen Traum von einer wirklichen Zusammenarbeit von Bühne und Orchestergraben, von Musik und Theater. Einen Traum von einem wirklichen Miteinander. Ich bin nun in diesen zwei Jahren zum Schluss gekommen, dass das wahrscheinlich nicht realistisch war und auch gar nicht wirklich erwünscht ist.
Warum?
Wegen dieses Weges, den das deutschsprachige Theater im Besonderen eingeschlagen hat. Ich verstehe auch, dass sich die Staatsoper da nicht wirklich ausnehmen kann. Das ist aber eine Tendenz, die mich à la longue nicht mehr befriedigt. Ich hatte mir erhofft, dass ich hier in dieser Konstellation mein Ziel noch erreichen würde, aber das war eindeutig eine Illusion meinerseits. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Hier wurde inzwischen viel Positives erreicht, ich freue mich auch ohne Vorbehalte auf die Produktionen und Konstellationen, die noch bis Sommer 2025 geplant sind. Aber ganz grundsätzlich sehe mich zu oft in einer Situation, in der ich das Gefühl habe: Das erfüllt mich nicht mehr. In einer Direktion ist man ja auch Teil eines Teams, einer Konstellation, wo man selbstverständlich alle Entscheidungen mitträgt. Aber was die Oper betrifft, möchte ich das über 2025 hinaus nicht mehr weiter machen. Selbstverständlich werde ich die nächsten drei Jahre mit vollem Einsatz und Freude in Wien sein und später sehr gerne auch als Gast wiederkommen. Aber persönlich möchte ich mich dann neu orientieren.
Das heißt: Keine fixe Verpflichtung mehr an einem Opernhaus?
Genau – nicht mehr an einem Opernhaus, möglicherweise bei einem Symphonieorchester. Das heißt natürlich auch nicht, dass die Oper damit für mich ganz zu Ende ist. Ich komme aus einer Opernfamilie, Oper war bisher mein ganzes Leben. Aber ich werde das definitiv deutlich reduzierter machen und vor allem nicht mehr mit einer solchen Leitungsfunktion. Die Illusion, dass sich noch einmal eine Konstellation ergeben könnte, in der sich meine Träume von einem wirklichen Miteinander von Bühne und Musik verwirklichen lassen, die habe ich mittlerweile nicht mehr.
Was meinen Sie, wenn Sie sagen, es sei auch nicht erwünscht?
Ich habe nicht das Gefühl, dass Intendanten, Dramaturgen und besonders die Regisseure wirklich an diesem Miteinander von Theater und Musik interessiert sind. Ich rede jetzt ausdrücklich nicht von Wien, sondern ganz grundsätzlich. Es geht seit langer Zeit nirgendwo um ein gemeinsames Entwickeln einer Neuproduktion aus dem Wesen des Stückes heraus. Nicht darum, etwas wirklich Neues zu schaffen. Im besten Fall gibt es ein Gespräch, bei dem man sich sympathisch oder unsympathisch ist. Danach folgt eine Bühnenbildpräsentation, weil die Regisseure beim ersten Gespräch ja heute grundsätzlich nicht sagen können, was sie mit dem Stück machen wollen. Das Bühnenbild nickt man dann im Idealfall ab – wirklich kritisieren darf man aber da auch nichts, sonst wird sofort die Vertrauensfrage gestellt. Dann trifft man sich wieder bei den Proben – aber da sind dann bereits alle wesentlichen Entscheidungen gefallen. Entschuldigung – das ist kein Miteinander. Ich erlebe zu viel Nebeneinander und oft leider auch ein Gegeneinander.
Und die Ausnahmen?
Ganz selten ergibt sich in der Arbeit durch Zufall ein Miteinander, wie zum Beispiel bei den „Meistersingern“ in Bayreuth mit Barrie Kosky. Ich wollte auch schon lange mit Keith Warner arbeiten, mit dem wir jetzt in Wien „Meistersinger“ machen. Ich freue ich auch auf die Begegnung mit Cyril Teste bei „Salome“. Der Grund, warum ich am Theater resigniere, ist also kein spezifisch wienerisches Problem – ich habe nur jetzt endgültig verstanden, dass es eine Illusion von mir war, man könnte das hier ändern. Es ist einfach nicht gewollt.
Aber Sie waren sich doch mit Roščić in der Anfangsphase in vielen Punkten völlig einig.
Ja, wir hatten diese gemeinsame Ausgangsbasis, und zu der stehe ich nach wie vor. Aber die Realität in der Arbeit mit den Regisseuren sieht dann anders aus. Ich möchte niemanden, mit dem ich gearbeitet habe, im Nachhinein diskreditieren. Das sind lauter gestandene Theaterpersönlichkeiten. Das Resultat ist nur leider immer seltener befriedigend. Die Richtung, in die es überall geht, macht einen müde und mürbe. Nicht nur mich, sondern leider nunmehr sichtbar auch das Publikum. Und die Sänger sind überhaupt am schlimmsten dran, denn wenn sie etwas dagegen sagen, werden sie nicht mehr engagiert. Aber was sie fast in ihrer Gesamtheit hinter vorgehaltener Hand sagen – und das höre ich täglich, ebenso wie Klagen von Zuschauern und Bemerkungen der Musiker –, stellt unserem heutigen Theater kein gutes Zeugnis aus.
Sind Sie also enttäuscht von der Entwicklung im ganzen Genre?
Ja, das ist eine Enttäuschung und auch eine Resignation. Deshalb muss ich jetzt diese persönliche berufliche Entscheidung treffen.
Sind Sie auch in Wien zu viele Kompromisse eingegangen?
Man geht in Beziehungen immer Kompromisse ein. Aber ich wünsche mir in künstlerischer Hinsicht à la longue eine Synthese anstelle des Kompromisses und auch, dass man nicht andauernd mit Dingen und Ideen konfrontiert ist, die die Musik stören. Viele Regisseure sind ja auch durchaus kooperativ, wenn man widerspricht. Aber letztendlich sprechen wir zumeist verschiedene Sprachen. Sehr oft ist das wie in einer arrangierten Ehe: Am Anfang hat man noch die Hoffnung, dass etwas ganz Nettes entstehen kann, aber dann merkt man zusehends, dass man nicht miteinander kann.
Man kann also nicht einmal als Musikdirektor verwirklichen, was man wirklich möchte?
Musikalisch ist viel möglich, und ich sehe da auch noch viel Potenzial, und diese fünf Jahre an der Staatsoper machen sicher Sinn. Ich bereue es auch nicht einen Moment, das gemacht zu haben. Das Potenzial dieses Hauses ist unglaublich und unvergleichlich. Aber letztlich geht es im Leben auch um Visionen, und da sehe ich die Möglichkeiten dafür nicht mehr.
Warum treffen Sie diese Entscheidung schon jetzt?
Wegen der Vorplanung. So hat das Haus genügend Zeit, eine Entscheidung zu treffen.
Braucht ein Haus wie die Wiener Staatsoper einen Musikdirektor?
Ich finde, jedes Haus braucht einen Musikdirektor, die Basis, das Fundament eines Opernhauses sind das Orchester und sein Dirigent. Und diese musikalische Instanz sollte auch präsent ist. Es braucht keinen ersten Gastdirigenten, der sich nur um seine Produktionen kümmert und dem der Rest egal ist.
Aber es ist doch bezeichnend, dass so gut wie alle Musikdirektoren an der Staatsoper irgendwann an einen Punkt gekommen sind, an dem sie nicht mehr weitermachen wollten oder konnten.
Nicht nur Musikdirektoren, sondern auch Direktoren. Und Musikdirektoren, die ihre eigenen Direktoren waren. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
Gibt es konkrete Pläne für die Zeit nach der Staatsoper?
Ich habe jedenfalls nicht Lust, wieder andauernd auf Reisen zu sein. Die Welt zu entdecken – das muss nicht mehr sein. Aber ich bin sehr neugierig und offen. Und ich sehe natürlich eine sich extrem verändernde Welt. Ich bin sicher, dass Musik darin ihren Platz und ihre Bedeutung haben wird. Aber vielleicht müssen wir uns da auch neu finden und erfinden. Mehr als die Hälfte meines bisherigen Lebens war hauptsächlich der Oper gewidmet; das war wunderbar, aber ich möchte jetzt bewusst Platz für Neues machen und neugierig und offen in die Zukunft blicken.
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