Ist es richtig und wichtig die Werke von Gustav Mahler an der Wiener Staatsoper zu spielen? Klare Antwort: Ja, unbedingt! Denn wie kein ein anderer hat Mahler in seiner Zeit als Hofoperndirektor (1897 – 1907) das Haus am Ring geprägt und gemeinsam mit dem Bühnenbildner Alfred Roller quasi in die Moderne geholt, ehe er aufgrund von (auch antisemitisch motivierten) Intrigen gehen musste.
Und auch der nunmehr amtierende Direktor Bogdan Roščić hat es sich zum Ziel gesetzt, dem Haus am Ring eine ordentliche Frischenzellenkur zu verpassen. Dass Roščić zudem ein großer Mahler-Verehrer ist, hat er mehrfach deutlich gemacht. Also Mahler an der Oper! Dumm nur, dass dieser Jahrhundertkomponist – trotz zahlreicher Pläne – keine einzige Oper verfasst hat.
Was also tun? Man könnte zum Beispiel seine Symphonien aufführen, seine Kantaten und Liederzyklen. Aber muss das unbedingt szenisch sein? Die Antwort gibt der extrem kopflastige Abend „Von der Liebe Tod“, die erste Premiere der diesjährigen Spielzeit. Und hier lautet die Antwort: Nein! Zumindest nicht so.
Dramaturgisch hat man für „Von der Liebe Tod“ zwei Werke Gustav Mahlers zusammengespannt, nämlich das Jugendwerk „Das klagende Lied“ und die viel später entstandenen „Kindertotenlieder“.
Doch was sich vielleicht irgendwie (die Frage ist wie) argumentieren lässt, geht sich einfach nicht aus. Da ist einmal das „Märchenspiel“, geht es im „Klagenden Lied“ doch um ein Brüderpaar, das eine stolze Königin erobern will. Dies geht aber nur, wenn man eine bestimmte Blume findet und ihr überbringt. Die Brüder finden die Blume, doch erschlägt der eine den anderen und vergräbt die Leiche. Viel später findet ein Spielmann einen Knochen des Toten, bastelt daraus eine Flöte und spielt auf ihr, was den Palast zum Einsturz und den Mord ans Licht bringt. In den „Kindertotenliedern“ wiederum beklagt ein Elternpaar den Tod ihres Sprösslings. So weit, so verschieden.
Im Haus am Ring hat sich nun Regisseur Calixto Bieito an die beiden Stücke herangewagt. Doch zwei nicht-theatrale Werke – es gibt keine Rollen, kaum ein Erzählnarrativ – werden nicht einfach so zu einer Oper. Zumal Bieito nichts, aber absolut nichts zu den Themen eingefallen ist. So sieht man im „Klagenden Lied“ weiß gewandete (Kostüme: Ingo Krügler) Menschen auf einer weißen 80er-Jahre-Retro-Bühne (Rebecca Ringst), die unter einem herabhängenden Kabelsalat (ein Avatar oder doch nur ein Maibaum?) eben singen – gut hier der Chor. Bei den „Kindertotenliedern“ färbt sich die Bühne in Barbie-Pink (Licht: Michael Bauer), und es wird wieder gesungen. So weit, so nichts!
Die musikalische Seite? Staatsoperndebütant Lorenzo Viotti setzt am Pult des kundigen Orchesters im „Klagenden Lied“ auf zupackende, auffahrende Dramatik, was aber wiederum ein anderes Problem darstellt. Eben für den Konzertsaal verfasst, wo die Solisten stets vor dem Orchester positioniert sind, müssen sie am Ring gegen die Damen und Herren im Graben ansingen. Das gelingt der Sopranistin Vera-Lotte Boecker, der Altistin Tanja Ariane Baumgartner und auch dem Bühnenhaudegen Florian Boesch nicht immer. Von dem schwachen Tenor Daniel Jenz ganz zu schweigen.
Bei den „Kindertotenliedern“ ist die Sache etwas einfacher, da Mahler hier bekanntlich eine sehr intime, tragische, fast zärtlich-trauernde Musik komponiert hat. In diesem Teil darf dann auch Florian Boesch neben seiner stimmlichen seine darstellerischen Qualitäten einbringen. Allein, auch dieser Abschnitt bleibt seltsam blass.
Nach etwa einer Stunde und 40 Minuten (ohne Pause) ist diese Nicht-Oper dann vorbei. Und man fragt sich: Warum? Wozu? Weshalb? Das Publikum dankte bei der Premiere den Solisten, dem Chor, dem Dirigenten und dem Orchester; für Calixto Bieito gab es nebst ein paar angestrengt wirkenden Bravos heftige Buhs. Dieses krude Mahler-Opern-Experiment ist leider massiv gescheitert.
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