Bundespräsident? Nichts für einen Hugo Portisch!
2010 hat Hugo Portisch dem Verleger Hannes Steiner in 30 Stunden sein Leben erzählt mit dem Auftrag, sein geistiges Erbe einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Steiner hält gemeinsam mit dem Unternehmer Michael Kraus die Rechte an diesen „Toskana Tapes“. Wir bringen die packendsten Auszüge in einer zwölfteiligen Serie.
von Martin Haidinger
1991: Die Wälle des Kalten Kriegs bersten, der Eiserne Vorhang ist aufgegangen, und der Kommunismus in Europa ist am Ende. Aber was nun? Am 9. Juni dieses ereignisreichen Jahres leitet Hugo Portisch einen Club 2, die legendäre Diskussionssendung des ORF, zum Thema „Die Zukunft der Sowjetunion. Gorbatschows schwieriger Weg“. Zu Gast ist neben dem Gorbatschow-Berater Jakowlew und der Zeit-Herausgeberin Dönhoff auch der Ex-Außenminister der USA Henry Kissinger, den Portisch von der gemeinsamen Dokumentation „Ursachen und Hintergründe des Zweiten Weltkriegs“ (1989) gut kennt.
Ich habe in dieser Diskussion vorgeschlagen: Jetzt kann man das verarmte Russland in eine Demokratie verwandeln. Wodurch? Indem man ihnen das anbietet, womit ganz Europa gerettet worden ist: einen Marshall-Plan! Man fülle alle Warenhäuser bis Sibirien mit den westlichen Gütern, die sie alle seit Jahrzehnten nicht kennen und verkaufe sie billig. Das stillt den ganzen Hunger. Die Bedingung: Sie sollen auf ihre Atomwaffen verzichten, und zwar nicht einseitig. Sie sollen zustimmen, dass alle Atomwaffen, die russischen und die amerikanischen und auch alle übrigen, unter eine internationale Kontrolle gestellt werden. Da hat der Kissinger massiv dagegengesprochen und gesagt, das wird nie der Fall sein. Kein selbstbewusster Staat wird auf seine Verteidigungswaffen verzichten. Weggewischt war die Idee. Schade. Wahrscheinlich habe ich nicht in Rechnung gestellt, welche Lobbys da dahinterstehen. Heute weiß ich viel besser, wie stark die Lobbys in Amerika sind und was die alles durchsetzen können, damit ein Krieg geführt wird und auch nicht aufhört …
Im gleichen Jahr 1991, die Portischs sind gerade bei einem Jazz-Festival in New Orleans in den USA, bekommt Hugo plötzlich telefonisch ein Angebot der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP: Sie möchten ihn zum gemeinsamen Bundespräsidentschaftskandidaten machen. Schnell sickert das Gerücht an die Medien durch, doch der Journalist sagt sofort ab. Schon früher hatte er Angebote beider großer Parteien für politische Ämter erhalten und immer abgelehnt, denn Fraktionszwang und Parteidisziplin sind nichts für einen Hugo Portisch.
Um Gottes Willen, nur das nicht! Bitte sagen Sie dem Herrn Bundeskanzler, er soll das sofort vergessen, weil nichts will ich weniger, als einen solchen Job annehmen. Es wäre nur eine Blamage. Vergesst mich, ich komme dafür nicht in Frage. Um Gottes Willen, ein Mensch, der im freien Journalismus groß geworden ist! Der immer die Politik kritisch betrachtet hat, weil es notwendig ist. Weil die Presse die Politik kritisch betrachten muss. Sie ist ein Korrektiv für die Politik. In der Demokratie ist es ganz wertvoll, dass die Presse die Politik kontrolliert und die Presse auch aufdeckt, wenn was schiefgeht. Wenn die Presse nicht wäre, wenn die freie Journalistik nicht wäre, weiß Gott, was da alles zusammenkäme an Korruption und Sauhaufen.
Man kann es natürlich so sehen, dass der Bundespräsident kein politischer Job ist. Aber der Bundespräsident ist ein Sklave des Protokolls. Ich habe das ja gewusst. Ich habe ja alle Bundespräsidenten mit Ausnahme vom Renner persönlich gekannt. Da habe ich gesehen, was diese armen Teufel alles aufführen müssen. Jeden ausländischen Botschafter müssen sie empfangen und mit ihm Gespräche führen. Müssen hundert Empfänge im Jahr besuchen. Nationalfeiertage fremder Staaten. Jeder Botschafter kommt mit seinem Beglaubigungsschreiben und möchte beachtet werden. Irgendjemand hat dann meine Frau gefragt, wie sie dazu steht. Ob sie nicht auf mich einwirken könnte, dass ich das mache. Sie hat sich hinreißen lassen zu sagen: Das ist kein Geschäft für erwachsene Menschen. Originell, nicht? Es ist natürlich ein Geschäft für erwachsene Menschen, aber eben hauptsächlich protokollarisch, und du kannst sehr wenig machen. Nein, in die Präsidentschaftskanzlei zu gehen, wäre für mich ein Abschied von meinem Leben gewesen und von meinem Beruf und von meinen Visionen und von allem.
Die späten Jahre verbringen Hugo und Traudi Portisch – nach dem tragischen Tod ihres Sohnes Edgar (er stirbt 2012 in Madagaskar an einer Tropenkrankheit) – vor allem in ihrem Haus in der Toskana, wo sie sich der Olivenzucht und dem Schwammerlsuchen widmen. Und es wären nicht die Portischs, wenn sie nicht auch darüber etwas zu Papier bringen würden: Nach „Pilzesuchen, ein Vergnügen“ (bereits 1982) erscheint 2009 das gemeinsame Buch „Die Olive und wir“. Trotzdem bringt sich Hugo Portisch bis zuletzt auch immer wieder in politische Diskussionen ein und gibt dabei die jahrzehntelang geübte Äquidistanz auf: So äußert er sich z. B. gegen Donald Trump und für Alexander Van der Bellen.
2018 stirbt Traudi mit 97 Jahren – eine 69-jährige Ehe geht zu Ende, innig, skandalfrei: eine echte Symbiose. Hugo folgt ihr am 1. April 2021 in Wien im 95. Lebensjahr nach.
Was auf meinem Grabstein stehen soll? Die Antwort ist: „Vergesst mich.“ Ich erhebe keinen Anspruch, die Leute auch noch nach dem Tod zu belästigen.
So hat er es einmal in einem Interview gesagt. Diesen Wunsch, Hugo Portisch, können und wollen wir Ihnen beim besten Willen nicht erfüllen!
Hinweis: Am 30. 6. um 21 Uhr hören Sie im Salzburger Nachtstudio auf Ö1 den dritten und letzten Teil von Martin Haidingers Portisch-Trilogie „Hugo Portisch, der Weltbürger“.
Ende der Serie
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