Von wegen neutral – Portischs politische Aktionen
2010 hat Hugo Portisch dem Verleger Hannes Steiner in 30 Stunden sein Leben erzählt mit dem Auftrag, sein geistiges Erbe einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Steiner hält gemeinsam mit dem Unternehmer Michael Kraus die Rechte an diesen „Toskana Tapes“. Wir bringen die packendsten Auszüge in einer zwölfteiligen Serie.
von Martin Haidinger
Seit Ende der 50er Jahre beschäftigt die Habsburg-Frage und dann -Krise die Republik. Otto (von) Habsburg, der Sohn des letzten Kaisers von Österreich-Ungarn, verzichtet auf seine Thronansprüche und will nach Österreich einreisen. Das spaltet die Koalition und das Land. Die ÖVP hat keinen Einwand, aber die SPÖ und auch die oppositionelle FPÖ laufen Sturm dagegen. KURIER-Herausgeber Ludwig Polsterer, der eher pro Habsburg eingestellt ist, reist bereits 1958 gemeinsam mit Chefredakteur Hugo Portisch zu Otto in dessen Domizil nach Pöcking in Bayern, um herauszufinden, was er in Österreich vorhat.
Dort hat er uns erklärt, dass er von verlässlichen Vertrauensleuten in Österreich Nachrichten bekommt, dass die Koalitionsregierung von Volkspartei und Sozialisten völlig am Ende ist. Die beiden Parteien haben das Land mit dem Proporz und dem ganzen Filz in den Abgrund geführt. Da hat er nicht ganz unrecht gehabt. Aber dann hat er gesagt, dass das Volk diese Regierung ablehnt und nach etwas Neuem lechzt. Da lag er ganz falsch, denn die Sozialpartnerschaft war eine beliebte Institution, und bei jeder Wahl haben die Leute doch hauptsächlich rot oder schwarz gewählt. Und ich habe ihm gesagt: Die Koalition ist nicht am Ende. Abgesehen davon hat sie vor drei Jahren den Staatsvertrag gebracht, also die Befreiung Österreichs. 1945 war die große Befreiung durch die Alliierten und 1955 war die Befreiung von den Alliierten durch die Koalition. In all dieser Zeit liegt eine Entwicklung, die die Bevölkerung auf dieses Land eingeschworen hat. Von einem revolutionären Gedanken oder einer Befreiung ist hier nicht die Rede.
Das hat der Habsburg strikt bestritten: Österreich ist reif für die Wende und für einen Umschwung wie in Frankreich. Wie General de Gaulle will er als Retter nach Österreich kommen, durch eine demokratisch legitimierte Verfassungsänderung Bundespräsident und Bundeskanzler in einer Funktion zusammenlegen, einen „Justizkanzler“, ein gerechtes Staatsoberhaupt schaffen, und dazu würde er kandidieren und sicher auch gewählt werden, denn das ganze Volk warte auf ihn.
Wir wollten ihm das ausreden, denn es würde Österreich in Lager spalten und auch international nicht akzeptiert werden. Fazit: Herr Doktor, wir werden leider Gottes im KURIER ganz und gar gegen Sie Stellung nehmen müssen.
Später war Otto dann sehr versöhnlich und hat mir nach dem Begräbnis seiner Mutter Zita 1989 einen Dankesbrief für meinen Fernsehkommentar geschrieben. Wir sind immer als Gentlemen auseinandergegangen und würden uns auch wieder so begegnen.
Schon längst ist Hugo Portisch der breiten Öffentlichkeit ein Begriff und nimmt im Radio und Fernsehen für den KURIER regelmäßig an der „Runde der Chefredakteure“ teil, gemeinsam mit den Chefs der anderen wichtigen Tageszeitungen des Landes.
Wenn die Runde getagt hat, waren alle vor den Fernsehschirmen, weil es das einzig wirklich unkontrollierte, unzensierte Forum war, wo Dinge offen ausgesprochen worden sind und wo man ganz hart diskutiert hat. Ich hatte es, gebe ich zu, am leichtesten, weil der KURIER wirklich vollkommen unabhängig war.
Im Unterschied zum damaligen ORF, den die Regierungsparteien ÖVP und SPÖ unter sich aufgeteilt haben, so wie praktisch ganz Österreich. Proporz nennt man das – er lähmt das Land und erbittert viele Menschen.
Die Leute hatten den Proporz überall satt! Eine Häuslfrau in Wien konnte nur bestellt werden, wenn sie Parteimitglied war. Wo Stadt, Land und Regierung und Bund was zu reden hatten, musste man der Partei beitreten, damit man diese und jene Position bekommt. In der verstaatlichten Industrie sowieso.
Im Radio und Fernsehen war’s aber besonders arg. Wenn ein Autobahnstück eröffnet worden ist, dann sind dort der Bautenminister und der Wirtschaftsminister erschienen. Da war ausgemacht: der wird 16 Sekunden gezeigt und der andere wird auch 16 Sekunden gezeigt. Beide wollen nichts reden. Die Minister waren teilweise auch gar nicht herzeigbar.
Dann hieß es: So, jetzt ist es Zeit, dass der Herr Bundeskanzler oder der Herr Minister der Bevölkerung etwas mitteilt. Ruft den Rundfunk an, die sollen ein Team herschicken! Darauf hat der Pressemann vom Kanzler fünf Fragen vorbereitet. Der Minister hatte die Antworten vor sich auf dem Schreibtisch liegen. Der Reporter fragte und der Minister hat vor der Kamera das Blatt genommen und die Antwort runtergelesen. Freie Antworten hat es so gut wie nicht gegeben. Es wurde im Fernsehen und im Radio nur gesendet, was die Parteien abgesegnet haben – eine totale Zensur.
Selbst in der Unterhaltung war es schwierig. Ein Programm wie der „Watschenmann“, der das Leben in der Republik kritisch beobachtet hat, wurde sofort eingestellt.
Gemeinsam mit über 50 Zeitungen und Zeitschriften startet der KURIER unter Hugo Portisch 1964 das erste Plebiszit in Österreich, das „Rundfunkvolksbegehren“ – mit 832.000 Unterschriften ein Riesenerfolg! Obwohl die Regierungsparteien es gerne in der Schublade verschwinden lassen würden, wird 1966 unter der ÖVP-Alleinregierung von Josef Klaus mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ der unabhängige öffentlich-rechtliche ORF geschaffen.
Martin Haidinger hat als Ö1-Wissenschaftsredakteur das Material bereits in drei Radiosendungen („Salzburger Nachtstudio“) aufbereitet.
Hinweis: Am Mittwoch, 19. Mai bringt Ö1 den zweiten Teil der Portisch-Trilogie im Salzburger Nachtstudio um 21 Uhr: Hugo Portisch, der Österreicher.
Soeben erschienen: Hugo Portisch: So sah ich … Mein Leben. Aufgezeichnet von Hannes Steiner, bearbeitet und in einen historischen Kontext gestellt von Martin Haidinger. Story one, 80 S.
Nächste Woche, Teil 7:
So sah er die roten Riesen. Portisch in der Sowjetunion und in China.
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