Hugo Portisch zu Dichands Lockruf: "Bin Türke. Komme"
2010 hat Hugo Portisch dem Verleger Hannes Steiner in 30 Stunden sein Leben erzählt mit dem Auftrag, sein geistiges Erbe einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Steiner hält gemeinsam mit dem Unternehmer Michael Kraus die Rechte an diesen „Toskana Tapes“. Wir bringen die packendsten Auszüge in zwölf Teilen
von Martin Haidinger
1954 ist Hugo gerade beim Österreichischen Informationsdienst des Generalkonsulats in New York angestellt und betreut Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP), der nicht Englisch kann, bei dessen Staatsbesuch in den USA. Am letzten Tag sitzen sie zusammen im Hotel und ziehen Bilanz:
Auf einmal klopft es und ein Page kommt herein. Er hält ein Schreiben in der Hand und sagt: „I’ve got a cable for Mr. Portisch.“ Sagt der Raab: „Was ist das?“ Sag ich: „Offenbar ein Telegramm.“ Es war vom Journalisten Hans Dichand, der schrieb: „Bin soeben Chefredakteur des ‚Neuen Kurier‘ geworden. Lade Dich ein, mit mir die Zeitung zu machen. Schon die Türken fanden, dass es sich auszahlt von weit her zu kommen, um Wien zu erobern. Dein Hans.“ Ich lese das leise vor mich hin. Der Kanzler sitzt daneben, beugt sich herüber, liest das Ganze mit und sagt dann: „Das werden Sie doch machen, nicht?“ „Ja, ich nehme an, dass ich’s machen werde.“ Das war also die Einladung vom Dichand zurück nach Österreich zu kommen. Sofort, in der nächsten Stunde habe ich schon geantwortet: „Bin Türke. Komme. Dein Hugo.“
Es hat sich dann zwar noch ein paar Monate verzögert, weil mich die aus New York nicht gleich weglassen wollten, aber so bin ich dann zum KURIER gekommen. Der Dichand war Chefredakteur, und ich wurde sein Stellvertreter und habe die Außenpolitik übernommen. Gleich zu Beginn hatte ich Glück, denn Einstein starb, und ich konnte meinen ersten Leitartikel über ihn schreiben. Das war ungewöhnlich, denn in Österreich hat man Albert Einstein damals noch nicht wirklich als großen Mann wahrgenommen – wir aber sehr wohl! Ab dann habe ich – im Gegensatz zu Dichand, der das nie getan hat – in der Regel die Leitartikel geschrieben. Damit war ich im KURIER der Meinungsmacher. Interessanterweise hat Julius Raab unsere Zusammenarbeit und meine Hilfsdienste in Amerika nicht vergessen. Denn er hat mich sehr bald danach zum Kaffeetrinken eingeladen und hat das in gewissen Abständen auch beibehalten. Dabei hat er mir dann auch so manche seiner politischen Pläne enthüllt. Er hatte gute Gründe, mit mir Gedanken auszutauschen: „Damit ich Ihre Leitartikel, wenn schon, dann zu Recht angreife und nicht zu Unrecht!“
An einem Spätnachmittag im April 1955 läutet Portischs Telefon in der KURIER-Redaktion. Am Apparat ist Bundeskanzler Raabs Sekretär Erich Haider in Moskau, wo gerade wieder einmal die österreichische Regierungsdelegation am Verhandeln um den heiß ersehnten Staatsvertrag ist, der Österreich frei machen soll:
Heute kann ich es ja sagen – damals habe ich es streng geheim gehalten: War der Haider am Telefon und sagt: „Du, wir sind durch! Ich sage dir, wie es ausgehen wird: Wir bekommen den Staatsvertrag, alle Besatzungsmächte werden abziehen, alle Kriegsgefangenen und anderen politischen Gefangenen werden freigelassen und werden ihre Heimat wiedersehen.“ Wörtlich! Ich war ganz weg. Ich hatte das nicht erwartet. Niemand hatte erwartet, dass der Staatsvertrag kommt. Zehn Jahre lang ist jede Staatsvertragsverhandlung gescheitert. Jede! Auch die hoffnungsvollste. Es gab ja einige, die sehr hoffnungsvoll waren. Ein Jahr vorher in Berlin haben wir den Staatsvertrag auch schon fast in der Hand gehabt. Nur haben da noch die Sowjets darauf bestanden, dass sie mit einem kleinen Kontingent im Land bleiben. Und jetzt das? Das kann nicht wahr sein! Sagt er: „Du kannst dich drauf verlassen, es stimmt.“ Daraufhin rufe ich den Dichand an: „Machen wir ein Extrablatt!“ „Sofort ein Extrablatt! Ruf den Herausgeber Ludwig Polsterer an. Sagt der ja, einverstanden, Extrablatt.“ Wir rufen die Leute in der Setzerei zusammen, dort war ja keiner mehr, der KURIER ist zu Mittag erschienen und wurde in der Früh gemacht. Die Setzer hatten aber ein gutes Alarmsystem und wir haben eine einblättrige Zeitung produziert mit großen Headlines: „Österreich wird frei! Der Staatsvertrag wird abgeschlossen!“ Alles hat sich überstürzt. Nur hatten wir am Abend um sieben Uhr keine Kolporteure! Was machen wir jetzt?
Da habe ich gesagt: Die ganze Redaktion, jeder nimmt sich einen Schüppel Extrablätter unter den Arm und wir laufen überall in die Stadt und schreien: „Österreich wird frei! Der Staatsvertrag wird abgeschlossen!“ So bringen wir das unter die Leute. Der Dichand und ich nehmen uns jeder einen Schüppel Zeitungen in die Hand und laufen auf die Kärntner Straße. Du läufst links, ich laufe rechts. Auf beiden Seiten der Kärntner Straße: „Österreich wird frei!“ Aber die Leute haben nur gelacht: „Wen hält ihr denn zum Narren? Seid ihr blöd! Schleichts euch mit dem Schmäh!“ Niemand hat es geglaubt. 50 Groschen? Das ist nicht einmal 50 Groschen wert. Behaltet euch das Kasblattl! Da habe ich gesagt: wir schenken es her. Und wir haben es verschenkt. Aber niemand hat es geglaubt.
Am nächsten Tag wurde es dann allgemein bekannt, aber der Erich Haider hat seine Entlassung riskiert, als er mir das aus Moskau noch vor dem ÖVP-Pressedienst durchgegeben hat. Er hat sich gedacht: Der KURIER erscheint ohnehin erst zu Mittag, da braucht’s keine Sperrfrist …
Drei Jahre danach wird Portisch … Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Martin Haidinger hat als Ö1-Wissenschaftsredakteur das Material bereits in drei Radiosendungen („Salzburger Nachtstudio“) aufbereitet.
Nächste Woche, Teil 4:
Der heiße Zeitungskrieg. Portisch wird 1958 Chefredakteur des KURIER und nimmt an der legendären „Runde der Chefredakteure“ im ORF teil.
Kommentare