Hugo Portisch: Mittendrin im Kalten Krieg
2010 hat Hugo Portisch dem Verleger Hannes Steiner in 30 Stunden sein Leben erzählt mit dem Auftrag, sein geistiges Erbe einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Steiner hält gemeinsam mit dem Unternehmer Michael Kraus die Rechte an diesen „Toskana Tapes“. Wir bringen die packendsten Auszüge in zwölf Teilen.
von Martin Haidinger
1956 verstaatlicht der ägyptische Präsident Nasser die Suezkanalgesellschaft, brüskiert deren Mehrheitseigentümer Großbritannien und Frankreich und beunruhigt Israel. Noch dazu, wo Nasser mit der Sowjetunion zusammenarbeitet und kommunistische Berater ins Land holt.
Davon kann sich Hugo Portisch, der 1956 zum ersten Mal nach Ägypten reist, persönlich überzeugen. Nach der Besichtigung des Suezkanals will er auf der Post in Kairo ein Telegramm an die KURIER-Redaktion in Wien aufgeben, wird dort aber von zwei Herren in weißen ägyptischen Uniformen in einen Nebenraum gebeten:
Die sprechen Sächsisch! Jetzt war mir schlagartig klar, die sind Deutschzensoren aus der DDR in ägyptischen Diensten. Sie haben mich verhörmäßig befragt, wie ich zum Suezkanal gekommen bin.
Ein Oppositioneller namens Munir lädt Hugo zu einem Segelflug ein.
Wir sind mit dem Segelflugzeug hinaus in Richtung Pyramiden geflogen, dann über die Wüste. Dort deutet der Munir nach unten und zeigt mir eine Unzahl von Panzern, die in der Wüste stehen. Ich konnte sie nicht zählen, aber es waren viele, hundert vielleicht. T34, sowjetische Panzer. Ich bin außer mir! Das ist eine sowjetische Bewaffnung Ägyptens! Es geht nicht nur um den Suezkanal. Nasser ist bereit zu kämpfen. Entweder für die Verteidigung Ägyptens oder sogar in einem Krieg gegen Israel.
Am nächsten Tag werde ich aufgeweckt sehr zeitig, so um sechs Uhr. Es ist Munir, der sagt: Sie müssen sofort mit mir kommen! Nehmen Sie alles mit, Sie verlassen Ägypten. Sage ich: ich habe noch … – Nichts. Sie haben gar nichts! Sie kommen jetzt mit mir. Sie verlassen Ägypten. Ich steige in ein Auto ein, das auf den Flugplatz direkt aufs Flugfeld fährt und bei einer TWA (Trans World Airlines)-Maschine stehen bleibt. Ohne Kontrolle besteige ich das Flugzeug. Eine Viertelstunde später hebt es ab und bringt mich über Rom nach Wien.
Später habe ich erfahren: die wollten mich holen, die Herren aus Sachsen, und ordentlich verhören. Der Munir hat das als kundiger Oppositioneller gewusst und mich aus dem Verkehr gezogen. Munir hat das für mich geschafft, und zwar mit voller Absicht, damit die Welt weiß, was mit dem Nasser los ist. Und die Welt hat es von mir erfahren. Die israelischen und britischen Zeitungen haben aufgemacht mit dem Panzer in der Wüste. So wurde ich ziemlich heftig in den Nahostkonflikt eingeschaltet und habe von da an immer eine gute Position gehabt.
Die Suezkrise markiert den Beginn des Rückzugs Großbritanniens und Frankreichs aus der Region.
1963 reist Portisch zum ersten Mal ins Kuba des kommunistischen Diktators Fidel Castro. In Havanna trifft er den Korrespondenten der britischen Nachrichtenagentur Reuters, der bei einem Abendessen die Schikanen des Regimes schildert:
Die Überwachung der Bevölkerung war so total, dass keiner eine Schreibmaschine besitzen durfte, denn die war ein gefährliches Werkzeug gegen die Regierung. Und wer unbedingt eine brauchte, musste sie registrieren lassen und wurde ständig observiert, damit er sie niemandem andern zur Verfügung stellt und nur das drauf schreibt, was ihm erlaubt ist. Sogar Nähmaschinen durfte man nicht von einem Stockwerk ins andere bringen, ohne es vorher der Sicherheitspolizei zu sagen. Ein ganz enges Netz der Überwachung – meiner Ansicht nach dichter und enger als das der Stasi in der DDR. Ich habe mir alles in Stichworten in ein kleines Notizbuch notiert.
Am Tag des Rückflugs nach Mexico City wird Portisch von der kubanischen Geheimpolizei am Flughafen aufgehalten und perlustriert.
Nicht sehr freundlich. Sie haben den Koffer total durchwühlt, das Futter rausgeschnitten, fanden aber nichts Verdächtiges. Dann haben sie mich allein gelassen und im Nebenraum heftig miteinander debattiert. Ich habe mir gedacht, das Nächste wird wohl sein: jetzt untersuchen wir den Herrn Portisch. Was hat der am Leib? Da hatte ich eine Blitzeingabe, nehme das kleine Bücherl mit allen Notizen heraus, hebe den Deckel vom Koffer und hau das Büchl rein! Wenn ich Glück habe, schauen sie den Koffer nicht noch einmal an. Gleich danach kommen sie zurück und sagen: Entschuldigen Sie, wir müssen Sie leider leibesvisitieren … Da bin ich davongekommen. Dann haben sie mich zum Verhör geführt. Da waren sie dann etwas freundlicher, aber haben gezeigt, dass sie alles wussten. Alles. Insbesondere das Abendessen mit dem Reuters-Korrespondenten. Jedes Wort, das wir dort gesprochen haben, wussten sie. Der Tisch war mit Mikrofonen bestückt. Ich habe alles abgeleugnet und den Korrespondenten mit keinem einzigen Wort belastet.
Zum Schluss haben sie das Handtuch geworfen, denn sie wussten ja ohnehin alles und hätten wahrscheinlich nur einen Zeugen für seine Aussagen gebraucht, der das unterschreibt – dann hätten sie ihn gehabt! So hatten sie nur ihr Protokoll. Nach einer Stunde ließen sie mich heimfliegen.
Wochen später erfuhr ich, dass sie den Reuters-Korrespondenten des Landes verwiesen haben. Jedenfalls habe ich ihn nicht belastet. Ich habe natürlich im KURIER über Kuba geschrieben. Offensichtlich haben die Kubaner das als objektive Berichterstattung zur Kenntnis genommen.
Martin Haidinger hat als Ö1-Wissenschaftsredakteur das Material bereits in drei Radiosendungen („Salzburger Nachtstudio“) aufbereitet.
Nächste Woche, Teil 6:
Von wegen neutral – Portischs politische Aktionen. Portisch schreibt gegen Otto Habsburg und initiiert das Rundfunk-Volksbegehren.
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