Hugo Portisch: So sah er die roten Riesen
2010 hat Hugo Portisch dem Verleger Hannes Steiner in 30 Stunden sein Leben erzählt mit dem Auftrag, sein geistiges Erbe einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Steiner hält gemeinsam mit dem Unternehmer Michael Kraus die Rechte an diesen „Toskana Tapes“. Wir bringen die packendsten Auszüge in einer zwölfteiligen Serie
von Martin Haidinger
Schon zu Beginn der 60er-Jahre bereist Portisch Länder in Asien, Lateinamerika und Afrika, die anderen westlichen Journalisten noch verschlossen bleiben. Daraus entstehen die Bestseller-Bücher der „So sah ich …“-Reihe. 1962 besucht der überzeugte Antikommunist zum ersten Mal die Sowjetunion. Von der Dolmetscherin Alexandra begleitet, weiß er genau zwischen Menschen und Regime zu unterscheiden.
Alexandra hat mich die ganzen vier Wochen begleitet, und es war klar, dass sie mich auch zu überwachen hat. Jeden Tag ist sie eine halbe Stunde verschwunden, um Bericht über mich zu erstatten. Ich hatte einige einschneidende Erlebnisse. Zum Beispiel die langen Menschenschlangen vor dem großen Kaufhaus GUM in Moskau. Was gibt’s dort zu kaufen? Die Lösung: Es war eine wuchtige, runde Wurst, von der große Scheiben abgeschnitten wurden. Um diese Wurstscheiben haben sich mehr als hundert Leute angestellt. Ich sah, wie armselig dort alles ist und wie teuer das Armselige ist. Eine einfache Jacke war fast unbezahlbar für einen normalen Sowjetbürger. Gleichzeitig waren die Leute aber alle recht gut angezogen. Wie machen die das? Sie waren munter, heiter und freundlich.
In der Tat ein tolles Volk! Alexandra war in manchen Fragen hilfreich, in ideologischen Angelegenheiten aber völlig stur und von der Propaganda vollkommen falsch unterrichtet: In Korea haben die Amerikaner angegriffen und nicht die Nordkoreaner. Der Eiserne Vorhang ist natürlich nur dazu da, um die westlichen Spione davon abzuhalten, die sozialistischen Länder zu überrennen.In Sibirien steht auf jeder kleinen Brücke ein Mann mit einem Gewehr. Wozu, fragte ich sie. Es ist ja kein Bürgerkrieg mehr. Antwortet sie: Die Brücken werden wegen der westlichen Agenten bewacht. – Unwahrscheinlich, 1.000 Kilometer von der nächsten westlichen Grenze. Wo sollen da Agenten herkommen? Vom KGB hab’ ich dann die Auskunft bekommen: Ich möge das verstehen, während des Krieges war das notwendig, weil es da ja tatsächlich überall Nazi-Agenten gab. Da hat man ein großes Wachkorps hauptsächlich für Brücken, Viadukte und Eisenbahnen aufgestellt. Jetzt, lange nach dem Krieg, wagt es niemand, diese Leute nach Hause zu schicken. Sie wären nämlich arbeitslos, und wir können keine Arbeitslosen brauchen. Die bleiben weiterhin bei den Brücken stehen, weil das ihr Job ist. Den haben sie gelernt. Davon beziehen sie ihren Lebensunterhalt. Wahrscheinlich Tausende, die nur so dagestanden sind und die Brücken bewacht haben wegen nix und wieder nix. Unglaublich!
1964/65 droht der bis dahin lokal begrenzte Vietnamkrieg ein Konflikt zwischen den Supermächten zu werden. Die USA sind im Begriff, direkt in den Krieg gegen das kommunistische Nordvietnam einzugreifen. Zu dieser Zeit befindet sich Hugo Portisch gerade im Rotchina Mao Zedongs – eine Sensation, denn westlichen Journalisten bleibt China gewöhnlich verschlossen. Eines Tages wird Portisch plötzlich zu einem Gespräch mit dem dritten Mann der KP-Nomenklatura eingeladen, dem Außenminister Chen Yi.
Da fängt der Chen Yi an, mit mir zu reden. Ich begreife nicht gleich, was das soll. Er spricht über Vietnam. Anfang 1965 erzählt er mir etwas über Vietnam! Und dass China überhaupt kein Interesse an diesem Land hat. Es sei ihnen völlig egal, ist ja nur Dschungel mit Giftschlangen ohne Reis für die eigene Bevölkerung, hat er wörtlich gesagt. In Vietnam ist für China gar nichts zu holen.
Warum sagt er mir das? Natürlich, das amerikanische Engagement in Südvietnam war mir schon geläufig. Ich frage ihn: Betrifft das den Krieg in Vietnam? Sagt er, ja. Sage ich, den amerikanischen Krieg in Vietnam? Sagt er, ja, den amerikanischen Krieg in Vietnam. Dann sagt er mir, Sie wissen doch, die Amerikaner haben Hanoi bombardiert. Ich wusste es natürlich nicht. Ich hatte auch kein Funkgerät. Jetzt war mir klar, dass die Amerikaner Hanoi bombardiert hatten. Das muss dieser Tage gewesen sein. Habe ich gesagt: Ist das Ihrer Meinung nach der Beginn einer amerikanischen Invasion in Nordvietnam? Da hat er gesagt, das ist durchaus möglich. Wir haben allerdings dort keine Interessen. Habe ich gesagt, das heißt, dass es nicht so sein würde wie in Korea? Denn dort haben die Chinesen damals mit einer Riesenarmee eingegriffen.
Mir ist die Spucke weggeblieben. Hier sagt mir der Außenminister, ein Politbüromitglied und einer der engsten Mitarbeiter Maos, dass, wenn die Amerikaner in Nordvietnam einmarschieren, die Chinesen nichts tun werden.
Er will offenbar, dass ich diese Botschaft hinaustrage. Ich? Wer bin ich schon? Der Chefredakteur des KURIER in Wien. Was ist das im Verhältnis zu China und Amerika? Vielleicht, weil es glaubhaft ist, wenn es über ein neutrales Land kommt?
Portisch reist schleunigst nach Hongkong aus. Zwei Tage danach erscheint das Interview mit Chen Yi im KURIER.
Tags darauf schreibt die „New York Times“ ganz groß: „China does not want to go to war“. Die USA haben Chen Yi zwar richtig verstanden, sind aber trotzdem nicht in Nordvietnam einmarschiert, obwohl das der einzige Weg gewesen wäre, den Krieg zu gewinnen. Eigentlich hatten sie grünes Licht von Peking, haben es aber nicht genützt.
Martin Haidinger hat als Ö1-Wissenschaftsredakteur das Material bereits in drei Radiosendungen („Salzburger Nachtstudio“) aufbereitet.
Nächste Woche, Teil 8
Nimm die Rübe in die Hand! Eine TV-Legende wird geboren.
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