Von Waldheim bis Vranitzky: Portisch und die Schulddebatte
2010 hat Hugo Portisch dem Verleger Hannes Steiner in 30 Stunden sein Leben erzählt mit dem Auftrag, sein geistiges Erbe einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Steiner hält gemeinsam mit dem Unternehmer Michael Kraus die Rechte an diesen „Toskana Tapes“. Wir bringen die packendsten Auszüge in einer zwölfteiligen Serie.
Von Martin Haidinger
Am 1. Jänner 1972 wird der parteilose, ÖVP-nahe Politiker und Diplomat Kurt Waldheim Generalsekretär der UNO. Hugo Portisch weiß, wie der Österreicher das geschafft hat: mithilfe des gewieften SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreiskys und dessen guten internationalen Kontakten.
Ohne den totalen Einsatz von Bruno Kreisky wäre der Waldheim wahrscheinlich nicht Generalsekretär der UNO geworden, weil es andere gute Kandidaten gab. Für Kreiskys Wünsche hatte Waldheim gewiss ein offenes Ohr. Soweit ich weiß, hat Kreisky auch dazu beigetragen, dass PLO-Chef Arafat vor der UNO-Generalversammlung sprechen konnte – gegen den Widerstand der Amerikaner und der Israelis. In der New Yorker Presse erschienen Karikaturen: der Oberkellner der UNO, Herr Waldheim, der geflissentlich mit dem Jargon eines österreichischen Oberkellners die Araber bedient. Die jüdischen Organisationen in Amerika hatten ihn schon im Fadenkreuz. Die Rechnung haben sie dann präsentiert. Es war meiner Ansicht nach vorauszusehen, dass es irgendwann einmal zu einer Abrechnung kommt.
Als Waldheim 1986 als ÖVP-Kandidat in die Bundespräsidentenwahl geht, werfen ihm US-Medien und SPÖ-Kreise vor, über seine Vergangenheit als angebliches SA-Mitglied und als Wehrmachtsoffizier am Balkan und in Griechenland nichts bzw. die Unwahrheit gesagt zu haben. In Österreich wirft sich u. a. Nazi-Jäger Simon Wiesenthal, gegen den Kreisky einst vorgegangen ist, für Waldheim in die Bresche.
Wiesenthal hat genau gewusst, dass das, was die Amerikaner Waldheim unterstellen, nicht stimmt. Er war kein „SS-Butcher“. Weder war er bei der SS, noch war er ein Schlächter, hat sich an Bluttaten weder beteiligt, noch hatte er Befehlsgewalt. Wiesenthal versuchte daher Waldheim zu verteidigen und wurde dafür in Amerika als Verräter an der jüdischen Sache angegriffen.
Waldheim wird mit fast 54 Prozent gewählt, bleibt aber international weitgehend isoliert und wird von den USA gar auf die „Watchlist“ gesetzt.
Waldheim und die Regierung haben sehr gelitten durch diese Kampagnen von außen.
Portisch meint, dass nach dem Schaden, den das Land genommen hat, endlich eine Erklärung des offiziellen Österreich zur Nazi-Zeit fällig wird. Die rot-schwarze Bundesregierung ersucht prominente Denker um neue Ideen. Hugo verfasst ein Dossier für das Außenministerium, in dem eine großzügige Entschädigung der Nazi-Opfer und der Aufbau einer einschlägigen Gedenkkultur vorgesehen sind, vor allem aber eine große Regierungserklärung. Letztere fordert Portisch auch in einem Kommentar in der Zeit im Bild 2. Das zeigt Wirkung: Bundeskanzler Franz Vranitzky lädt ihn zu einem Gespräch ein.
Wir haben es besprochen, und er hat gesagt, das machen wir so! Darauf habe ich noch angeboten: Soll ich da behilflich sein bei der Formulierung? Ich habe es ja auch gerade analysiert gehabt für den Herrn Außenminister Jankowitsch. Darauf hat man mir in seinem Umfeld gesagt – ich will nicht nennen, wer es war: Na, das bringen wir schon alleine zustande. Wunderbar. Ich bin gegangen, und nichts geschah. Habe dann doch einmal wieder den Bundeskanzler getroffen und gefragt. Sagt er: Der Koalitionspartner ist nicht mitgegangen in der Sache. Was? Das ist unglaublich! Daraufhin habe ich das ganze Konvolut auch dem Herrn Mock geschickt. Ohne Echo.
1991, als zu Beginn des Jugoslawienkriegs der Einsatz der Wehrmacht am Balkan während des Zweiten Weltkriegs thematisiert wird und nebenbei das Ende der Ära Waldheim in Sicht ist, meldet sich Portisch erneut bei Vranitzky.
Wo ist die Regierungserklärung für das ganze Land und für die ganze Welt? Dem Vranitzky hat das sofort wieder eingeleuchtet. Das machen wir unbedingt. Habe ich gesagt: Soll ich es formulieren? Soll ich Ihnen helfen? Sagt er: Schreiben Sie mir das! Daraufhin habe ich das geschrieben. Er hat das wörtlich so im Parlament als seine Rede gebracht mit ganz kleinen Korrekturen.
Vranitzky hat das heute anders im Gedächtnis. Wohl habe er mit Portisch korrespondiert und persönlich seinen Rat gesucht, seine Reden habe der Kanzler aber alle selbst geschrieben. Auch Vranitzkys damalige Mitarbeiterin, die Diplomatin Eva Nowotny erinnert sich an viele Kontakte und gute Ideen Portischs, nicht aber ein schriftliches Memorandum. Könnte das daran gelegen sein, dass nach Jahrzehnten Distanz dem notorischen „Diktierer“ Portisch das gesprochene Wort gleichviel galt wie das geschriebene?
Diese Rede ist ganz großartig angekommen und in der ganzen Welt beachtet worden. Das ist der Wendepunkt im Holocaustdasein Österreichs. Alle Maßnahmen sind gemacht worden. Es ist der Nationalfonds gegründet worden, es wurde jeder überlebende österreichische Jude in der ganzen Welt angeschrieben. Es hat allgemein unseren Ruf in der Welt ganz entscheidend verbessert und hat uns versöhnt mit den Opfern. Es war eine ganz große Leistung vom Bundeskanzler Vranitzky. Dass ich ein bisschen dazu beitragen konnte, ist eine andere Geschichte. Das ist ja das Tollste an einem Politiker: die richtigen Ideen, die an ihn herangetragen werden, zu erkennen und daraus was zu machen und für das Land einzusetzen.
Martin Haidinger hat als Ö1-Wissenschaftsredakteur das Material bereits in drei Radiosendungen („Salzburger Nachtstudio“) aufbereitet.
Nächste Woche, Teil 12:
Bundespräsident? Nichts für einen Hugo Portisch!
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