Portischs "Slalomtore": Wie seine TV-Kommentare entstanden

Portischs Anwesenheit im ZiB-Studio signalisierten den Zusehern, dass etwas Außerordentliches passiert war, das der fachkundigen Einordnung und Erklärung harrte.
2010 hat Hugo Portisch dem Verleger Hannes Steiner in 30 Stunden sein Leben erzählt mit dem Auftrag, sein geistiges Erbe einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Steiner hält gemeinsam mit dem Unternehmer Michael Kraus die Rechte an diesen „Toskana Tapes“. Wir bringen die packendsten Auszüge in einer zwölfteiligen Serie.
von Martin Haidinger
„Aha – da ist was passiert!“ entfuhr es den Eltern Haidinger, wie auch manch anderen Fernsehzuschauern in den 70er- oder frühen 80er-Jahren, wenn Hugo Portisch in der hauptabendlichen Zeit im Bild neben dem Moderator (damals nannte man es noch Sprecher oder Sprecherin) saß. Oder bisweilen auch: „Oje!“, denn allein schon die Präsenz des Analytikers auf dem Fernsehschirm gleich zu Sendungsbeginn deutete darauf hin, dass irgendwo auf der Welt etwas geschehen war, das erklärt werden musste, und das war selten etwas Gutes.
Alarmstufe Rot war erreicht, wenn neben Portisch noch Osteuropa-Experte Paul Lendvai Platz nahm, denn dann war sicher der Ost-West-Konflikt im Spiel, die dem Kalten Krieg zugrunde liegende Mächterivalität. Bereits in den 60er-Jahren hatte Portisch das Weltgeschehen im Bayrischen Rundfunk analysiert und war auch hin und wieder als Kommentator im ORF-Schulfernsehen des Helmut Zilk aufgetreten. Und dann wurde die Zeit im Bild seine Bühne.
Wie die Kommentare selbst entstanden sind? Dieses Training hatte ich ja eigentlich schon durch meine Leitartikel beim KURIER. Denn auch die habe ich nie unrecherchiert geschrieben, habe versucht, das Thema genau auszuloten, die Hintergründe zu finden. Was bedeuten die Ereignisse, die ich da kommentieren will? Woher kommen sie? Wer steht dahinter? Ich habe immer Recherchen gemacht, nie – oder nur sehr selten – aus dem Bauch geschrieben und auch immer die Redaktion zur Recherche eingeschaltet. Ich habe immer sehr gute Beziehungen zur Auslandspresse gehabt und hatte auch überall, ob Washington, London oder Bonn, Kollegen in hohen Stellungen sitzen, Chefredakteure in den dortigen Blättern, die man anrufen und fragen konnte: Sag mir, wie geht das aus, und was steckt da dahinter, und warum machen die das so und so? Das habe ich beibehalten bis heute. Für jeden Vortrag. Keinen schreibe ich aus dem Bauch.
Portisch wurde für seine frei gesprochenen Analysen und Kommentare berühmt. Sie vor allem wurden, neben legendären Live-Sendungen wie etwa anlässlich der ersten Mondlandung 1969, sein Markenzeichen. Aber woher konnte er das scheinbar so mühelos? Schon in Iowa (USA) hatte der 23-Jährige 1950 zum ersten Mal ein spontanes Radiointerview gegeben und dabei die Scheu verloren, frei zu sprechen. Das prägte fortan nicht nur die Inhalte, sondern auch den typischen Portisch-Stil.

Legendär: Portischs Kommentierung der Mondlandung 1969.
Ich habe das alles frei vorgetragen, was eine große Seltenheit war. Zur damaligen Zeit wurde alles gelesen, auch die Nachrichten. Es gab ja keinen Teleprompter und was immer man heute hat.
Das wirkt sich andererseits auch auf seine Art zu schreiben aus, denn Hugo Portisch hat zeit seines Berufslebens Sekretärinnen zur Verfügung, wovon heutige Journalisten nur träumen können.
Vom ersten Moment an habe ich alle meine Sachen diktiert, und das ist so geblieben bis zum heutigen Tag. Alle meine Sekretärinnen waren großartig. Sie waren auf der Maschine so schnell wie Maschinengewehre.
Ob für die Zeitung oder fürs Fernsehen: Der penible Rechercheur mit guten internationalen Kontakten bereitet seine Kommentare stets akribisch vor, spricht sie aber vor der Kamera scheinbar spontan. Für die Zeit im Bild läuft das so ab: Nach der morgendlichen Redaktionskonferenz genaue Recherche des Themas bis ca. 15 Uhr. Bis 17 Uhr diktiert er seiner Sekretärin die Ausbeute in die Schreibmaschine. Ergebnis: sechs bis acht Typoskriptseiten. Danach markiert er die wichtigsten Schwerpunkte, er nennt sie seine „Slalomtore“.
Durch alle Slalomtore muss ich durchkommen bis zum Ziel, und keines darf ich auslassen, sonst versteht man den Kommentar nicht. Ich habe meiner Sekretärin immer gesagt: Jetzt schreiben wir die Slalomtore. Aus diesem großen Konzept hole ich mir die wichtigen Punkte raus, die das Problem verständlich machen und beleuchten, warum es so ist. Dann habe ich die Slalomtore abdiktiert. Die kamen dann schon auf eine Maschinenschreibseite. Danach habe ich das alles stehen lassen, habe mich eine halbe Stunde ausgeruht und dann aus dem Gedächtnis heraus noch diese Slalomtore eingekürzt auf Schlagworte und sie selbst handschriftlich auf einer Seite Papier niedergeschrieben. Damit habe ich mein Gehirn trainiert auf diese Slalomtore.
Dann habe ich den Zettel zerrissen und den Kommentar gehalten. Nie einen Zettel mitgenommen. Nie auf einen Zettel geschaut, weil das hätte mich selbst nur irritiert, wenn dort ein Zettel gelegen wäre. Ich wäre auch versucht gewesen, mir dort vielleicht Orientierung zu holen, und das wäre das Ende gewesen. Wenn man vor der Kamera frei spricht und dann auf einmal auf einen Zettel schaut, ist man schon erledigt.
Die Schwierigkeit bestand eher darin, dass im Laufe der Jahre die Zeit in der ZiB immer kürzer wurde und damit auch die für die Kommentare. ZiB-Chefredakteur Hans Benedict ließ mir eines Tages per Fernschreiben ausrichten: ab heute haben Kommentare 80 oder 90 Sekunden nicht zu überschreiten …
In der Folge macht sich Portisch als Kommentator auf dem Fernsehschirm rar und kehrt als Schöpfer großer TV-Dokumentationen wieder.
Martin Haidinger hat als Ö1-Wissenschaftsredakteur das Material bereits in drei Radiosendungen („Salzburger Nachtstudio“) aufbereitet
Nächste Woche, Teil 10:
Sein größter Wurf: Österreich II. Aus einer Idee Gerd Bachers entsteht die bahnbrechende Dokumentation österreichischer Zeitgeschichte.
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