Corona: Warum die Infektionszahlen jetzt wieder steigen
"Wir sagen seit Monaten, dass irgendwann um diese Zeit das untere Ende der Badewanne erreicht ist und es mit den Infektionen wieder nach oben geht. Aber auf den Tag genau ist das nicht vorherzusagen", sagt Simulationsforscher Niki Popper von der TU Wien. Die jüngste Vorhersage des Covid-Prognosekonsortiums vom Dienstag ging noch für die Mehrheit der Bundesländer von einer Fortsetzung eines leichten Abwärtstrends für Infektionen und Spitalsbelegung aus.
Doch bei den Infektionen (nicht den Spitalszahlen) scheint es damit vorbei zu sein: In den vergangenen drei Tagen lag die Zahl der täglich gemeldeten Fälle erstmals seit 19. 5. wieder über 3.000. Und seit einer Woche steigt die Sieben-Tages-Inzidenz leicht. Woran liegt das?
Neue Subvarianten
In Portugal sind die neuen Omikron-Subvarianten BA.4/BA.5 bereits dominant, sie sind noch infektiöser als BA.2. Ihr Wachstumsvorteil gegenüber BA.2 wird auf 40 Prozent geschätzt. "Die Verdopplungszeit beträgt zwölf Tage, binnen weniger Wochen könnten diese Subvarianten also auch bei uns dominant sein", sagt Komplexitätsforscher Peter Klimek vom Complexity Science Hub (CSH) in Wien.
Allerdings ist die Verteilung "ziemlich unterschiedlich": In Wien liegt ihr Anteil bei 15 %, in der Steiermark oder Oberösterreich sind es unter 1 %, österreichweit 8 %. "Gleichzeitig ist die Zahl der BA.2-Fälle rückläufig." Doch die neuen Varianten sind nicht der einzige Grund für den Infektionsanstieg.
Sinkende Immunität
Für Niki Popper ist das "der zentrale Aspekt, und BA.4/BA.5 kommen verstärkend hinzu". Er veröffentlicht regelmäßig mit seinem Team auf dexhelpp.at eine modellbasierte Schätzung des Immunisierungsgrades gegen Omikron BA.2 (durch Impfung oder Infektion). Am 1. Juni waren das 61 % der Bevölkerung. "Im Laufe der vergangenen Wochen ist der Wert merklich gefallen" – weil der Abstand zur letzten Impfung oder Infektion größer wird. Wobei das nur den Schutz vor Infektion betrifft: "Der Schutz vor schweren Verläufen ist viel höher."
Saisonalität ausgeschöpft
Frühjahr und Sommer bremsen die Infektionen. "Aber diese klimatischen Effekte haben wir mittlerweile voll eingepreist in unseren Modellen, es gibt jetzt keinen zusätzlichen bremsenden Effekt mehr", sagt Klimek.
Nur treibende Effekte
"Die Zeichen stehen auf Anstieg, weil es derzeit nur Faktoren gibt, die die Zahlen antreiben. Der stabile Rückgang der Infektionen hat ziemlich schnell aufgehört." Die seit 1. 6. geltende weitgehende Abschaffung der Maskenpflicht liege aber zu kurz zurück, um schon eine Auswirkung auf den Anstieg zu haben. "Aber insgesamt gibt es keine bremsenden Maßnahmen mehr." Wobei Klimek jetzt nicht für eine Maskenpflicht ist: "Die macht im Sommer wenig Unterschied. Wichtig wäre es aber, die Impflücken zu schließen."
Der Komplexitätsforscher will noch nicht von einer kommenden "Welle" sprechen: "Es ist davon auszugehen, dass wir in eine Phase mit einer höheren Inzidenz gehen. Ob die Inzidenz aber so hoch wird, dass es wieder anstrengend mit der Versorgung der Patienten wird, da wäre ich mit einer Einschätzung noch sehr zurückhaltend." Popper: "Im Sommer werden die Zahlen jedenfalls nicht so stark steigen wie im Herbst."
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