Neue Omikron-Varianten: Wie geht es weiter mit den Infektionszahlen?
In Portugal breitet sich die Corona-Subvariante BA.5 weiter rasant aus - Portugal hat die höchste Sieben-Tage-Inzidenz in ganz Europa. In Deutschland zeigte sich in den vergangenen Wochen - auf viel niedrigerem Niveau - ebenfalls bereits ein deutlicher Inzidenz-Anstieg. Einen merkbaren Anstieg der Infektionszahlen gab es in den vergangenen drei Tagen auch in Österreich. Und jetzt sorgt der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit einer neuen Warnung für Diskussionen. Wie geht es mit der Pandemie weiter? Und wie sieht es in Österreich genau aus?
Wie stark Portugal betroffen ist, zeigt ein Vergleich der täglichen neuen Coronavirus-Infektionen pro Million Einwohner auf der Plattform Our World in Data: In Portugal waren es am 2.6. demnach 2.878 neue Infektionen, in Deutschland 428, in den USA 292, in Österreich 222 und im Großbritannien 70. Allerdings: Auch in Deutschland zeigt sich bereits ein deutlicher Inzidenzanstieg, in Österreich stieg in den vergangenen Tagen die Inzidenz leicht, in den vergangenen drei Tagen (auch von Donnerstag auf Freitag) lag die Zahl der täglich neu gemeldeten Fälle erstmals wieder seit 19.5. über 3.000.
Das Covid-Prognosekonsortium geht in seiner jüngsten Prognose vom 31.5. aber noch davon aus, dass sich in der Mehrheit der Bundesländer "der leichte Abwärtstrend" noch einige Tage fortsetzen werde - allerdings ist das eine Kurzfristprognose und die von den Prognostikern erwartete Trendwende setzte jetzt schon einige Tage früher ein. In der Kalenderwoche 21 (23. bis 27.5.) lag der Anteil der Subvarianten BA.4/BA.5 bei acht Prozent, wobei starke Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen: In Wien sind es bereits 15 Prozent, in der Steiermark weniger als ein Prozent. Die Fälle verdoppeln sich im Schnitt alle zwölf Tage.
Und BA.4/BA.5 treiben das Infektionsgeschehen durchaus an: Zehn Infizierte stecken derzeit 12 weitere Personen an. BA4./BA.5 wachsen um rund 40 Prozent rascher als BA.2. Dennoch "geht die gegenwärtige Kurzfrist-Prognose nach wie vor von einer BA.2 getriebenen Dynamik aus". Dementsprechend liegt die Reproduktionsrate insgesamt noch unter eins, was laut Prognose zu einer weiteren Abnahme der Fallzahlen in den nächsten Tagen führen sollte.
In Deutschland hingegen liegt die Schätzung des Robert-Koch-Instituts für den 7-Tage-Wert der Reproduktionszahl R laut dem Tagesbericht vom Donnerstag bei 1,09 - "und damit erstmals seit Mitte März wieder deutlich über 1", wie Die Welt berichtet. In Österreich liegt sie laut Berechnungen der AGES und der TU Graz mit 0,93 noch knapp unter eins - im Zeitraum 20.5. bis 1.6. Die Tendenz ist steigend.
Der Grund für das Wachstum: BA.4 und BA.5 sind um mehr als das Vierfache gegen bestehende neutralisierende Antikörper resistenter, Infektionen sind dadurch häufiger als bei BA.2.
Für Aufsehen hat jetzt der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach gesorgt. Er hält den Omikron-Subtyp BA.5 für "ansteckender und gefährlicher" als die ursprüngliche Omikron-Variante BA.1. "Ob sie gefährlicher ist als BA.2 das wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht." Möglicherweise werde man in Deutschland "später ähnliche Probleme" bekommen, sagte der SPD-Politiker im heute-journal des ZDF.
Der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen, geht von einer "gewissen Welle" aus, sagte er in einem Interview mit dem Spiegel: "Wie schnell und wie hoch sie sein wird und wie schnell sie wieder abflacht, ist die Frage. Aber ich gehe ehrlich gesagt nicht davon aus, dass es erst im Herbst dazu kommt, sondern dass die Zahlen schon in den nächsten Wochen ansteigen werden." Davon ging kürzlich auch der österreichische Molekularbiologe Ulrich Elling aus, der bereits im Juli eine neue Welle für möglich hält.
Zeeb verweist auf Unterschiede zwischen Portugal und Deutschland - das gilt genauso für Österreich: Portugal hat schon früh eine sehr gute Impfquote erreicht - der Impfschutz hat dadurch schon stärker abgenommen. Deutschland und Österreich hatten aber eine hohe BA.2-Welle "und damit viele Menschen, die gerade erst genesen sind".
Ähnlich argumentierte kürzlich auch der Virusimmunologe Andreas Bergthaler von der MedUni Wien: Der Schutz gegenüber erneuten Infektionen mit BA.4/BA.5 sei dort höher, wo in den Monaten zuvor viele Menschen Infektionen mit BA.2 durchgemacht haben: "Wahrscheinlich schützt eine BA.1-Infektion weniger."
Zeeb ist nicht der Ansicht, dass BA.4 und BA.5 für schwere Verläufe sorgt: "Zwar steigen die Portugal gerade die Zahl der Todesfälle und die Zahl der Krankenhauseinweisungen, das liegt aber wohl eher daran, dass die absoluten Zahlen steigen, es also einfach mehr Infektionen gibt."
So nahm in Portugal die Bettenbelegung mit Corona-Kranken innerhalb von einer Woche um 27 Prozent zu. Allerdings ist die Situation des Gesundheitswesens nicht annähernd so kritisch wie noch Anfang 2021, als die Intensivstationen komplett überfüllt waren.
Auch die deutsche Virologin Sandra Ciesek schrieb kürzlich auf Twitter, "bisher gibt es keine Beweise, dass sich die Krankheitsschwere mit BA.4/ BA.5 wesentlich verändert hat". Abschließend sei das aber noch nicht geklärt, da die Situation in Südafrika (oft mehrmalig genesen, wenig BA.2 -Infektionen) nicht 1:1 mit der in Europa vergleichbar ist".
Erfreuliche Daten kommen aus den USA: Dort könnte die Welle mit BA.2 und der neuen Subvariante BA.2.12.1. ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Der renommierte Mediziner Eric Topol warnt aber auf Twitter, dass es wahrscheinlich sei, dass auch in den USA BA.4/BA.5 sich ausbreiten könnten.
Eine Omikron-Infektion mit einer früheren Subvariante ist jedenfalls keine Garantie, sich nicht neuerlich mit BA.4/BA.5 anstecken zu können: Das Risiko steigt mit dem zeitlichen Abstand zur Vorinfektion oder zur letzten Impfung, erklärt Zeeb.
Eine Verzögerung könnte es bei den an Omikron angepassten Impfstoffen geben. "In der Tat verzögert sich die Entwicklung neuer Impfstoffe im Moment etwas, weil die Hersteller dann doch mehr Probleme haben, die Daten zu generieren, die notwendig sind, sagte Lauterbach. Ähnlich Ciesek: "Leider wird einem auch bewusst, dass wir mit einem BA.1 angepassten Impfstoff wohl wieder hinterherlaufen werden. Hier müssten wir besser und schneller werden."
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