Droht bereits im Juli eine Welle mit neuen Omikron-Subvarianten?
Auf den ersten Blick ist die Entwicklung bei den Corona-Zahlen weiter sehr erfreulich: Die 7-Tage-Inzidenz geht weiter zurück (168 Fälle je 100.000 Einwohner), allerdings wurden in den vergangenen 24 Stunden auch nur 56.574 PCR-Tests gemeldet, im Wochenschnitt sind es täglich fast 165.000. Aber auch die Zahl der Spitalspatienten ging weiter leicht zurück auf 490.
Doch jetzt sorgen seit einigen Tagen immer neue Daten zu den Omikron-Subvarianten BA.2.12.1, BA.4 und BA.5 für neue Besorgnis - und erste Befürchtungen werden laut, dass es bereits im Juli eine neuerliche Infektionswelle in Österreich geben könnte. Was man bisher weiß.
Demnach können vor allem die Subvarianten BA.4 und BA.5 eine bestehende Immunität durch Impfungen und frühere Infektionen deutlich besser umgehen als BA.2, zeigt etwa eine (noch nicht von exernen Fachleuten begutachtete) Studie der Columbia-Universität in New York von einer Gruppe um den international renommierten Aids-Forscher David Ho:
- Während die Stärke der Resistenz (Widerstandsfähigkeit) von BA.2.12.1-Viren gegenüber bestehenden neutralisierenden Antikörpern das 1,8-Fache im Vergleich zur derzeit dominanten Subvariante BA.2 beträgt, ist es bei BA.4 und BA.5 das 4,2-Fache. Das heißt: Vorhandene neutralisierende (die Virusvermehrung hemmende) Antikörper, die von früheren Infektionen bzw. von den Impfungen stammen, wirken also um ein Vielfaches schlechter als noch gegen BA.2 und können die Virusvermehrung bei den neuen Subvarianten deutlich schlechter hemmen als bei BA.2.
- Durchbruchsinfektionen bei Geimpften werden dadurch deutlich wahrscheinlicher. Verantwortlich für dieses verstärkte Umgehen der Immunität sind zusätzliche Mutationen im Spike-Protein.
Dieses stärkere Ausweichen der Immunität ist auch der Grund dafür, dass BA.2.12.1 sowie BA.4/5 in den USA, Südafrika und Portugal zu einem neuerlichen deutlichen Anstieg der Infektionszahlen geführt haben. Während in Südafrika der Höhepunkt der Welle bereits eindeutig überschritten sein dürfte, steigen die Fallzahlen in Portugal zumindest regional noch an.
Starke BA.5-Welle in Portugal
So ist die Omikron-Untervariante BA.5 in Portugal für mittlerweile rund 80 Prozent der gemeldeten Neuinfektionen verantwortlich. Beschleunigt wurde die Ausbreitung von BA.5 zusätzlich durch die Aufhebung vieler Coronamaßnahmen, wie etwa der Maskenpflicht.
Allerdings könnte neue Daten darauf hindeuten, dass auch in Portugal der Höhepunkt der Welle bereits erreicht sei, berichtet die Plattform theportugalnews.com. In mehreren Regionen gebe es bereits eine Trendumkehr. Und es sei bis jetzt auch zu keiner Überlastung der Intensivstationen gekommen, "die Zahl der in Intensivstationen eingewiesenen Personen unter 40 % der von der Regierung festgelegten roten Linien". Gleichzeitig gebe es eine Kampagne für die Auffrischungsimpfung bei den Über-80-Jährigen.
In den USA liegt die Zahl der täglichen Neuinfektionen derzeit bei mehr als 100.000 - mindestens fünf Mal so viel wie zur selben Zeit vor einem Jahr. Mehr als die Hälfte der Fälle geht auf die neue Subvariante BA.2.12.1 zurück. Und Experten betonen: Wer nicht geimpft ist und im Winter eine Infektion mit einer anderen Omikron-Subvariante hatte, darf jetzt auf keinen Schutz vor BA.2.12.1 hoffen.
Die gute Nachricht in Bezug auf alle drei neuen Omikron-Subvarianten: Dreifach-Geimpfte können weiterhin mit einem Schutz vor schweren Erkrankungen rechnen.
Weitere Epidemien erwartet
Melanie Ott, Direktorin des Gladstone-Instituts für Virologie erklärte in der Washington Post: "Wir erleben ein Aufkommen von Omikron-Subvarianten, die immer mehr Menschen mit bereits bestehender Immunität infizieren können."
Angesichts der Erfahrungen mit Südafrika, Portugal und auch den USA erwartet der Bioinformatiker Trevor Bedford vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle USA zumindest in gewissem Ausmaß weitere regionale BA.4 und BA.5 Epidemien.
Und es gibt weitere neue Daten zu BA.4 und BA.5: Bereits am Freitag wurden Daten veröffentlicht, wonach BA.4 und BA.5 in Hamstern krank machender und ansteckender sind als BA.2.
Was sich auch zeigt: Durchbruchsinfektionen bei Geimpften mit BA.2 führen zu einer besseren Antikörper-Abwehr (Neutralisation) der neuen Varianten BA.4 und BA.5 als eine Booster-Impfung mit den derzeitigen Imptstoffen. An Omikron angepasste Impfstoffe - idealerweise an BA.2 - könnten daher effektiver sein als die derzeit verfügbaren. Klinische Daten dazu liegen aber noch nicht vor.
Der Molekularbiologe Ulrich Elling vom Imba-Institut (Institut für Molekulare Biotechnologie) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften schrieb am Sonntag auf Twitter: "Die Daten zu BA.4/5 werden immer klarer. Es läuft bei uns wahrscheinlich auf eine Welle im Juli raus. Soviel zu 3 Monaten Maskenpause ..."
Bereits vor einigen Tagen schrieb Elling, dass die Zahlen "in nicht zu naher Zukunft" wieder steigen werden. Deshalb halte er zumindest im öffentlichen Verkehr, wo Menschen oft keinen Abstand halten können, die Maske weiterhin für unabdingbar.
"Mugel in den Infektionszahlen"
Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker sprach kürzlich in einem Interview mit dem Ö1-Morgenjournal davon, "dass wir eine schwieirge Situation vor uns haben". BA.4//BA.5 werde von der Weltgesundheitsorganisation schon als "sehr bedenklich und gefährlich" eingestuft. "Wir wissen, dass die jetzt in diesen Wochen die Situation übernehmen wird. Und wir wissen daher schon gar nicht mehr genau, ob es nicht passieren kann, dass wir auch im Juli einen Mugel in den Infektionszahlen nach oben bekommen, möglicherweise einen größeren Mugel, also eine wirkliche Welle hineinbekommen, und jedenfalls ist der Herbst noch die riesengroße Unbekannte."
Hackers Sprecher Mario Dujakovic schrieb Sonntagnachmittag mit Bezug auf Expertinnen und Experten auf Twitter: "Es wird Juni-Juli wohl eine (kleinere) Welle geben."
Auch der Leiter der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie in der Klinik Floridsdorf, Arschang Valipour, äußerte sich am Wochenende auf Twitter. "So wie es (zumindest im Labor) aussieht, dürfte eine neuerliche Impfung bei BA.2.12.1, BA.4 und BA.5 keinen wesentlichen Mehrwert bringen. Wir brauchen einen angepassten Impfstoff und neue Schutzstrategien für den Frühherbst."
Laut den Studienautoren um David Ho gibt es auch nur mehr einen monoklonalen Antikörper, der gegen die neuen Omikron-Varianten seine volle Wirksamkeit aufrecht erhalten hat: Bebtelovimab von Eli Lilly. Dieser hat eine Notfalllzulassung in den USA, aber noch keine Zulassung in der EU.
"Die Omikron-Linie von SARS-CoV-2 entwickelt sich weiter und produziert nach und nach Subvarianten, die nicht nur infektiöser sind, sondern auch Antikörpern besser ausweichen können."
Auch das Europäische Zentrum für Krankheitskontrolle ECDC geht davon aus, dass die hohen Wachstumsraten von BA.4 und BA.5 dazu führen werden, dass diese Varianten in den kommenden Wochen in Europa generell dominant werden.
Laut einer Grafik, die Ulrich Elling zur SARS-CoV-2 Genomanalyse von der AGES und dem Imba Vienna (Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) am 20.5. veröffentlicht hat, ist der Anteil von BA.4 und BA.5 in Österreich vorläufig noch gering.
Eine exakte Zahl, wie hoch der Anteil von BA.4/ BA.5 derzeit in Wien ist, gebe es derzeit aber nicht, schrieb Mario Dujakovic, Sprecher des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker, Sonntagnachmittag auf Twitter: "Nachdem der Bund die Finanzierung für das Virusvarianten-Monitoring eingestellt hat, wird das derzeit nicht durchgeführt und darum kennen wir - wie auch alle anderen Bundesländer - die Anteile nicht." Das sei bereits seit einigen Wochen ein großes Thema in der Corona-Kommission. "Zusammengefasst: Für Österreich könnte man vielleicht einen theoretischen Wert ermitteln. Ist aber weder präzise, noch repräsentativ und vermutlich so auch nicht brauchbar."
Daniel Böhm, Pressesprecher im Kabinett von Gesundheitsminister Johannes Rauch, wies das ebenfalls auf Twitter zurück: "Das stimmt nicht. Es wird aktuell stärker auf Sentinel-Analyse (spezielles stichprobenartiges Überwachungssystem, Anm.) gesetzt, um die unterschiedlichen Omikron-Varianten genauer unterscheiden zu können. Daher wurde der Schwerpunkt von PCR-Variantenuntersuchung dahin verlagert. Sentinel wickelt der Bund ab über PCR die Bundesländer."
Hoffnung auf kleine Welle
In Österreich besteht aber auch eine gewisse Hoffnung unter Expertinnen und Experten, dass eine mögliche BA.4/BA.5-Welle deutlich schwächer als etwa in Portugal ausfallen könnte: Denn in Österreich war die BA.2-Welle deutlich stärker als in Portugal. "Interessant ist, dass bisher in Ländern mit einer großen BA.2-Welle BA.4 und BA.5 langsam ansteigen", erklärte der südafrikanische Virologe Tulio de Oliveira bereits vor einigen Tagen – er leitet das Centre for Epidemic Response and Innovation (CERI) der Universität Stellenbosch in Südafrika. BA.4. und BA.5 sind BA.2 ähnlicher als BA.1, das dürfte auch den Schutz von Personen erhöhen, die eine BA.2-Infektion bereits durchgemacht haben.
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