Experte zu Affenpocken: "Bei intensivem Kontakt mit Infiziertem sofort impfen"
Der österreichische Infektiologe Peter G. Kremsner - Direktor des Instituts für Tropenmedizin an der Universität Tübingen - gehört zur kleinen Zahl österreichischer Ärzte, die bereits in ihrer Laufbahn Patienten mit Affenpocken gesehen haben. Er gründete 1992 das medizinische Forschungszentrum Cermel (Centre de Recherches Médicales de Lambaréné), ursprünglich am Campus des Albert Schweitzer Hospitals in Lambaréné in Gabun. Es ist heute eines der führenden medizinischen Forschungs- und Ausbildungszentren in Afrika mit rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zahlreiche medizinische Universitäten - darunter auch die MedUni Wien - haben internationale Kooperationen mit diesem Zentrum.
KURIER: Herr Prof. Dr. Kremsner, Sie sind derzeit gerade wieder in Gabun am Forschungszentrum Cermel. Wie oft sehen Sie in Gabun Affenpocken-Fälle?
Peter Kremsner: Alle zwei bis drei Jahre gibt es hier einen kleinen Ausbruch mit ein bis zwei Fällen, wo wir dann dazu gerufen werden oder die Patienten sogar in unser Krankenhaus kommen. Häufig ist die Gefahr einer Infektion der Mitmenschen schon vorbei wenn die Patienten erfahren, dass es sich um Affenpocken handelt bzw. gehandelt hat. Hier in Zentralafrika ist das nichts Neues.
Neu ist aber die ungewöhnliche Häufung von Fällen außerhalb Afrikas, die vielfach keine Verbindung in eine Region haben, in der die Affenpocken immer schon vorgekommen sind. Mittlerweile hat die WHO mehr als 200 Fälle bestätigt. Könnte das eine neue Pandemie werden?
Ich würde jetzt nicht sagen, dass das völlig unmöglich ist - man kann in der Medizin nichts generell ausschließen. Aber im Moment erscheint mir das unwahrscheinlich. Dazu müsste sich das Virus genetisch verändern und noch besser von Mensch zu Mensch übertragbar werden. Darauf gibt es aber nach der Sequenzierung, der genetischen Entschlüsselung, der ersten Virusgenome noch keine Hinweise. Und deshalb habe ich momentan keine Bedenken, dass es zu einer rasanten Ausbreitung kommen wird.
Wie gut kann das Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden?
Affenpocken sind dann sehr infektiös, wenn man einen sehr engen, direkten Kontakt zu einer anderen Person hatte. Man müsste sich etwa schon ordentlich anhusten oder mit Tröpfchen anspucken lassen. Die Übertragung geht nicht so einfach wie das bei dem neuen Coronavirus oder bei Grippeviren der Fall ist. Deshalb sollte die Situation auch nicht aus dem Ruder laufen. Wahrscheinlich werden in Europa aber noch weitere Fälle aufreten, schließlich beträgt die Inkubationszeit zwischen der Infektion und den ersten Symptomen rund zwei Wochen, manchmal sogar bis zu drei Wochen.
Berichte, wonach Gay-Pride-Veranstaltungen auf den Kanaren ein Infektionsherd gewesen sein sollen, wurden teilweise von Homosexuellen als diskriminierend empfunden.
Aus medizinischer Sicht kann ich dazu nur sagen: Man kann sich bei heterosexuellen Kontakten ganz genauso anstecken wie bei homosexuellen Kontakten. Dem Virus ist das ganz gleich. Es geht immer um einen engen Haut- und Schleimhautkontakt - egal, ob mit oder ohne sexuellem Kontakt. Hochinfektiös ist der pockenähnliche Hautausschlag, das Sekret in den Bläschen auf der Haut. Man kann aber auch schon vor der Bläschenbildung ansteckend sein, etwa über Tröpfchen beim Sprechen. Affenpocken sind auch keine sexuell übertragbare Krankheit im klassischen Sinn.
Sollten Infizierte und enge Kontakte in Quarantäne?
Auf jeden Fall. Es sollte keinen Kontakt zu Menschen und auch möglichst nicht zu Tieren geben. Denn das Reservoir an potenziell infizierbaren Tieren ist groß, auch bei Haustieren kann eine Infektion nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Es sollte auf jeden Fall vermieden werden, dasss sich das Virus in der Nagetierpopulation in Europa festsetzt und sich dort ein Tierreservoir etabliert. Denn das würde nämlich bedeuten, dass es auch in Europa immer wieder zu kleinen Ausbrüchen kommen kann und das sollten wir auf jeden Fall vermeiden. Nagetiere wie Ratten oder Mäuse sind die wichtigsten Wirte des Virus. Und man bleibt infektiös bis zum Abfall der Krusten. Eine Quarantäne muss daher in der Regel zumindest drei Wochen dauern.
Sollten Infizierte auch bei einem leichten Verlauf immer im Spital behandelt werden?
Das ist noch in Diskussion. Theoretisch könnte man leichte Verläufe auch zuhause isolieren, aber natürlich besteht da das Risiko einer Weitergabe innerhalb der Familie,so, wie wir es auch von Covid-19 kennen. Was mir bis jetzt bekannt ist, hat man solche weiteren Ansteckungen in Familien bei den bisherigen Fällen in Europa zwar noch nicht beobachtet, aber die meisten Patienten befanden sich bisher ja auch in Spitalsbehandlung. Was wir von den europäischen Fällen bisher wissen ist, dass die allermeisten mild verlaufen sind - mich wundert fast wie mild. Zum Glück handelt es sich bei den bisher sequenzierten Virusgenomen um die westafrikanische Variante des Affenpockenvirus, die wesentlich seltener tödlich verläuft als die zentralafrikanische Variante. Bei der westafrikanischen Variante sind es rund ein Prozent der bekannten Erkrankungen, die tödlich verlaufen, bei der zentralfrikanischen zehn Prozent.
Könnten es in Europa weniger als ein Prozent sein aufgrund der besseren Behandlungsmöglichkeiten?
Das wird jetzt oft so behauptet, und zu einem gewissen Grad mag es auch stimmen, aber überbewerten würde ich die Behandlungsunterschiede nicht. Bei einem großen Teil des Managements der Erkrankung, etwa der Behandlung von Symptomen wie Fieber oder Kopf- und Halsschmerzen sowie Husten, gibt es keinen großen Unterschied zwischen Europa und Afrika, diese Therapien kann man auch hier in Afrika sehr gut durchführen, wenn überhaupt nötig. Unterschiede gibt es sicher im Ausmaß der intensivmedizinischen Behandlung - aber die ist nur die Spitze des Eisbergs.
Wie gut sind die Therapiemöglichkeiten überhaupt?
In den meisten Fällen heilt die Erkrankung innerhalb von wenigen Tagen bis drei Wochen von selbst aus. Als spezifische Therapie gegen die Virusvermehrung ist seit Jänner diesen Jahres das antivirale Medikament Tecovirimat zugelassen. Aber es gibt aufgrund der wenigen Fälle zur Wirksamkeit keine Studien beim Menschen, sondern nur präklinische Daten aus Tierstudien. Insoferne kann man nicht wirklich sagen, wie hoch die Wirksamkeit tatsächlich ist. Wir haben etwa mit dem Präparat Remdesivir, das gegen Ebola entwickelt wurde, die Erfahrung gemacht, dass die Wirksamkeit bei mit Ebolaviren infizierten Affen 100 Prozent beträgt. Beim Menschen hingegen ist die Wirksamkeit gegen Ebola bei null Prozent, und auch gegen Covid-19 ist die Wirksamkeit wenn überhaupt, bloß sehr gering.
Es gibt auch einen Pockenimpfstoff, der auch gegen Affenpocken wirkt. Wie gut wirkt dieser - und wer soll geimpft werden?
Der Impfstoff der deutsch-dänischen Firma Bavarian Nordic ist in der EU zwar nicht gegen Affenpocken, aber gegen die Menschenpocken zugelassen und kann aber auch gegen Affenpocken eingesetzt werden. Die Wirksamkeit ist sehr hoch und liegt bei rund 85 Prozent, allerdings auch nur in präklinischen Studien, beim Menschen gibt es keine Wirksamkeitsprüfung. Es handelt sich um einen Lebendimpfstoff mit einem abgeschwächten Pockenvirus, das sich aber nicht mehr vermehren kann, dem Modifizierten Vacciniavirus Ankara (MVA). Eine generelle Durchimpfung aller Menschen, die nicht bereits gegen Pocken geimpft sind, steht derzeit aber nicht zur Diskussion. Was man aber machen sollte sind sogenannte Ring- bzw. Kontaktimpfungen: Wer erfährt, dass er intensiven Kontakt mit einem infizierten Menschen hatte, der sollte sofort geimpft werden. Auch ich würde mich in diesem Falle sofort impfen lassen, in meinem Fall auffrischen, weil ich schon gegen Pocken als Kind geimpft wurde.
Vielfach wird jetzt diskutiert, ob durch Umweltveränderungen wie den Klimawandel und Eingriffe des Menschen in bisher unberührte Ökosysteme künftig öfter Krankheiten von Tieren auf Menschen übergehen werden?
Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden, hat es immer schon gegeben, aber sie werden durch die genannten Einflüsse tendenziell mehr. Und da kann es noch viele unangenehme Überraschungen geben. Deshalb gibt es aber hier in Lambaréné auch eine Reihe von Forschungs- und Ausbildungsprogrammen zum Thema "pandemic prepardness", also eine möglichst gute Vorbereitung auf künftige Pandemien. Wir haben etwa einen neuen Master-Studiengang zu dem Thema eingerichtet. Und wir haben mehrere Labore der Schutzstufe 3, inklusive einem Insektarium, die garantieren, dass kein Erreger unbeabsichtigt aus der Anlage entweichen kann, wenn wir Patienten- oder Tierproben oder solche von Mücken untersuchen. Sollte in Gabun bzw. in Zentralafrika ein neuer Erreger auftreten, können wir ihn hier frühzeitig untersuchen und im Bedarfsfall gleich mit ersten Schutzmaßnahmen gegensteuern.
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