650 Fälle mysteriöser Hepatitis bei Kindern: Welche Spuren es gibt
Vor rund zehn Tagen waren 400 Fälle der mysteriösen Hepattis bei Kindern bekannt, über deren genaue Ursache die Wissenschaft bis heute uneinig ist. Jetzt gab die Weltgesundheitsorganisation WHO bekannt, dass zwischen 5. April und 26. Mai bereits mindestens 650 Fälle aus 33 Ländern gemeldet wurden. Und sie veröffentlichte eine Reihe weiterer Fakten. Stand für die WHO lange Zeit ein Adenovirus im Mittelpunkt des Interesses, rückt jetzt auch für die Weltgesundheitsorganisation ein Zusammenspiel mit dem neuen Coronavirus mehr in den Untersuchungsfokus. Welche neuen Erkenntnisse ein WHO-Bericht enthält.
Neben den 650 bestätigten unklaren Hepatitits-Fällen bei Kindern ist bei 99 weiteren Kindern mit Hepatitis die genaue Klassifizierung ihrer Erkankung noch ausstehend, ob sie also auch in das Muster der bisherigen Fälle passen. Wobei die WHO selbst betont, dass die tatsächliche Zahl der Fälle vielfach unterschätzt sein könnte aufgrund der begrenzten Überwachungskapazität.
Die meisten bestätigten mysteriösen Hepatitis-Fälle bei Kindern in Europa gibt es in Großbritannien (222, elf davon benötigten eine Lebertransplantation) gefolgt von Spanien (29) und Italien (27). In den USA sind es 216 Fälle (15 musste die Leber transplantiert werden), in Japan 31.
75 Prozent der Kinder waren jünger als fünf Jahre.
Schwerere Verläufe als bei früheren Hepatitis-Infektionen
Die Ursachen für diese Fälle blieben weiterhin unbekannt und werden erforscht, heißt es in dem Bericht der WHO. "Die Fälle nehmen einen schwereren klinischen Verlauf und ein größerer Teil entwickelt ein akutes Leberversagen im Vergleich zu früheren Berichten von akuter Hepatitis unklarer Ursache bei Kindern."
Eine Infektion mit den Hepatitisviren A bis E konnte ausgeschlossen werden.
SARS-CoV-2 und / oder Adenoviren wurden in einer Reihe von Fällen nachgewiesen, obwohl die an die WHO gemeldeten Daten unvollständig sind.
Von 180 auf Adenoviren getesteten Kindern waren die Proben von 110 (60,8 Prozent) positiv. Eine akute SARS-CoV-2-Infektion konnte von 188 getesteten Kindern bei 23 (/12,2%) mittels PCR nachgewiesen werden. Nur von 26 Kindern gibt es bisher Daten von serologischen Untersuchungen auf Antikörper gegen SARS-CoV-2, mit denen eine zurückliegende Infektion nachgewiesen werden kann: Bei 19 Kindern (73,1 %) war das Ergebnis positiv.
Die WHO sieht es als "plausible Hypothese" an, dass Adenoviren einen Anteil am Mechanismus der Krankheitsentstehung haben. Weitere Untersuchungen zu den auslösenden Ursachen seien aber notwendig. "Die Adenovirus-Infektion - die normalerweise milde Magen-Darm- oder Atemwegs-Infektionen bei kleinen Kindern auslöst - erklärt nicht zur Gänze das schwerere Krankheitsbild bei diesen Fällen."
Und die WHO führt weitere mögliche Faktoren an:
- Eine geringere Zirkulation von Adenoviren währen der Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen könnte kleine Kinder für schwere Verläufe nach einer Infektion empfänglicher gemacht haben. Im Vereinigten Königreich wurde kürzlich ein Anstieg der Aktivität von Adenoviren beobachtet, die gleichzeitig mit SARS-CoV-2 zirkulieren.
- Ein mögliches Zirkulieren eines neuen, genetisch veränderten Adenovirus
- Ein Zusammenspiel mit einer vorangegangenen Coronavirus-Infektion bzw. eine Langzeitfolge einer früheren Infektion, die zu einer Aktivierung von Abwehrzellen geführt hat und nach der Adenovirus-Infektion eine massive Entzündungsreaktion auslöst.
Weiterhin ausgeschlossen wird ein Zusammenhang mit den Covid-19-Impfstoffen, da die meisten Kinder nicht geimpft waren.
Die WHO betont auch, dass es sich bei der auf den ersten Blick naheliegenden Assoziation Hepatitis und Adenoviren auch nur um einen scheinbaren Zusammenhang handeln könnte, der sich durch die erhöhte Testfrequenz aufgrund erhöhter Viruszirkulation ergibt - es gibt mehr Nachweise von Adenoviren aufgrund vermehrter Testungen, mit der Hepatitis muss das aber nicht unbedingt etwas zu tun haben.
Bereits Mitte Mai wiesen die Ergebnisse einer neuen Studie daraufhin, dass eine vorangegangene Covid-Infektion dazu führen könnte, dass das Immunsystem empfindlicher auf eine Infektion mit Adenoviren reagiert - der KURIER berichtete. Verbleibende Partikel des Coronavirus im Magen-Darm-Trakt der Kinder könnten das Immunsystem dazu veranlassen, besonders auf das Adenovirus 41 mit großen Mengen an Entzündungsproteinen zu reagieren, die letztlich die Leber schädigen.
Der Leiter der Uni-Kinderklinik der MedUni Innsbruck, Thomas Müller, schrieb bereits Mitte Mai auf Twitter, "die Indizien, dass eine vorausgegangene SARS-CoV-2 Infektion eine Rolle spielt.verdichten sich".
Er hält es für denkbar, dass die Hepatitis nicht die Folge einer akuten Infektion, sondern einer späteren überschießenden Reaktion des Immunsystems ist. "Ein Virusbestandteil, etwa das Spike-Protein, könnte in der Leber überdauern und nach einigen Tagen oder auch Wochen zu einer massiven Entzündung in der Leber führen. Denkbar ist auch, dass ein Zusammenspiel von Corona- und Adenoviren eine derartige Entzündungsreaktion verstärkt."
Auch ein Fallbericht aus den USA stellt einen Zusammenhang zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion und der anschließenden Entwicklung einer autoimmunen Lebererkrankung mit akutem Leberversagen her:
Die Virologin Isabella Eckerle, Leiterin des Zentrums für Neuartige Viruserkrankungen an den Universitätskliniken in Genf, sieht in einer Coronavirus-Infektion ebenfalls einen möglichen Auslöser: "Es war nie eine gute Idee, die natürliche Infektion von Kindern mit einem unbekannten Virus zu promoten."
Weitere Erkenntnisse soll auch eine Fall-Kontroll-Studie in Großbritannien liefern: Dort wird derzeit untersucht, ob das Adenovirus 41 in Kindern mit Hepatitis öfter nachgewiesen wird als in Kindern ohne Hepatitis. Und auch ein möglicher Einfluss anderer Viren wird ebenso weiter untersucht wie mögliche Umwelteinflüsse.
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