Mysteriöse Hepatitis-Fälle: Worauf Eltern besonders achten sollten
„Stabil“: Das ist der Zustand der zwei Kinder mit Hepatitis ungeklärter Ursache, die im St. Anna Kinderspital in Wien behandelt werden, hieß es Dienstagnachmittag auf Anfrage des KURIER. Weitere Verdachtsfälle gibt es in Österreich vorerst nicht. Die wichtigsten Fragen und die bisher bekannten Antworten zu diesen noch weitgehend ungeklärten Erkrankungsfällen.
Wie viele Fälle sind bisher bekannt?
190 Kinder weltweit sind derzeit von einer Hepatitis unklarer Ursache betroffen, gab die europäische Gesundheitsbehörde ECDC Dienstag bekannt. Zuletzt wurden drei Fälle sowie Dutzende Verdachtsfälle aus Italien gemeldet. Bei einem der Kinder in Italien erfolgte eine Lebertransplantation. Die ersten Fälle wurden Anfang April in Großbritannien gemeldet, mehr als 110 der bisher bekannten Fälle traten dort auf. Seither berichten viele Länder in Europa, aber auch Israel und die USA von Kindern mit Hepatitis, deren Ursache nicht bekannt ist. 17 benötigten eine Lebertransplantation, eines ist verstorben. "Das sind immerhin knapp zehn Prozent", sagt Müller. "Ich glaube nur, dass der Prozentsatz tatsächlich geringer ist, weil derzeit nur die schwersten Fälle erfasst sind und viele der Erkrankungen unproblematisch ausheilen."
Laut WHO ist noch unklar, ob es sich wirklich um eine Häufung handelt oder ob wegen der erhöhten Aufmerksamkeit für solche Leberentzündungen derzeit mehr Fälle entdeckt werden.
Worauf sollen Eltern besonders achten?
„Die meisten Kinder waren unter zehn Jahre alt, viele unter fünf“, sagt Thomas Müller, Leiter der Uni-Kinderklinik der MedUni Innsbruck. „Das Wichtigste ist, dass Eltern darauf achten, ihren Kindern in die Augen zu schauen. Die weiße Augenhaut – das Augenweiß, bzw. in der Fachsprache die Sklera (Lederhaut) – färbt sich bereits relativ früh im Krankheitsverlauf gelb – weil der Gallenfarbstoff Bilirubin im Blut ansteigt. Dann sollte man ein Krankenhaus aufsuchen. Auf der Haut, vor allem bei einem dunkleren Hauttyp, sieht man die Gelbfärbung erst relativ spät.“ Weniger spezifisch sind Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. „Bessern sich diese über mehrere Tage hindurch nicht, sollten die Werte der Leberenzyme bestimmt werden.“
Als Symptome werden auch heller Stuhl und dunkler Harn genannt?
„Das sind relativ späte Anzeichen“, sagt Müller, „da sind die Augen schon lange gelb“. Der Stuhl wird hell, weil keine Galle mehr abfließt, die dem Stuhl die Farbe gibt (die Leber produziert die Galle). Und der Harn wird dunkel, weil der Gallenfarbstoff Bilirubin über den Harn statt über die Galle ausgeschieden wird. „Vor allem bei Säuglingen und kleineren Kindern, die plötzlich einen grauen, weißen Stuhl ausscheiden, ist das ein Warnsignal.“
Was weiß man bisher über die Ursachen?
Die Hepatitisviren A, B, C, D und E wurden nicht nachgewiesen. Vermutet wird ein Infektionserreger, insbesondere Adenoviren (lösen u. a. Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts oder der Atemwege aus) oder eine Covid-Infektion. Möglich wäre auch eine Doppelinfektion. Allerdings wurden nicht bei allen dokumentierten Fällen Adeno- oder Covid-Infektionen nachgewiesen. 74 der Kinder hatten sich mit Adenoviren infiziert, 20 hatten eine Covid-Infektion und 19 hatten eine Ko-Infektion. Bei einer Infektion mit Adenoviren aber auch mit anderen Viren kann die Leber angegriffen werden, was sich meist in gering erhöhten Leberwerten zeigt.
Die Covid-Impfung scheidet als Ursache aus, die Mehrzahl der Kinder ist nicht geimpft.
Eine schwere Leberschädigung durch Adenoviren allein ist aber sehr selten, sagt Müller. "Das gilt für sogenannte immunkompetente Kinder mit einem intakten Immunsystem. Aus der Kinderonkologie etwa kennen wir bei Kindern unter Chemotherapie das Auftreten einer Hepatitis, aber trotzdem sind auch hier solche schweren Verläufe ganz selten."
Eine Theorie lautet, dass die diagnostizierten Adenoviren vom Serotyp 41 sich verändert haben: „Das aber wäre komplett neu.“ Eine andere Hypothese ist, dass Kleinkindern der natürliche Schutz vor Adenoviren fehlt, weil ihr Immunsystem aufgrund der Pandemiemaßnahmen wie Lockdowns etc. schon lange keinen Virenkontakt hatte.
Auch bei Covid-19 kann es bei Kindern zu einer leichten Hepatitis kommen, schwere Hepatitis ist eine seltene Komplikation einer Covid-19-Infektion. US-Kinderärzte dokumentierten vier Fälle zuvor gesunder Kinder, bei denen Covid-19 zu einer schweren Hepatitis führte, bei zwei davon kam es zu akutem Leberversagen. Auch bei Erwachsenen kann das Coronavirus zu Leberschäden führen.
Wie schwer sind die betroffenen Kinder erkrankt?
Die von der Hepatitis unklarer Ursache betroffenen Kinder hatten laut ECDC in den meisten Fällen kein Fieber, aber erhöhte Leberenzymwerte, viele hatten Gelbsucht. Bei Gelbsucht färbt sich die Haut gelblich, da der Gallenfarbstoff Bilirubin im Blut angestaut wird. Einige berichteten über Bauchschmerzen, Durchfall und Erbrechen in den vorangegangenen Wochen. Einige der Kinder brauchten eine Behandlung in spezialisierten Leberzentren für Kinder. 17 Kinder brauchten eine Lebertransplantation. "Das sind immerhin zehn Prozent", sagt Müller. "Ich glaube nur, dass der Prozentsatz tatsächlich geringer ist, weil derzeit nur die schwersten Fälle erfasst sind und viele der Erkrankungen unproblematisch ausheilen."
Hepatitis
Fachbegriff für eine Leberentzündung. Dabei handelt es sich um eine Abwehrreaktion des körpereigenen Immunsystems etwa gegen Infektionserreger oder für die Leber giftige Stoffe. Auch Störungen des Blutflusses in der Leber bzw. Autoimmunerkrankungen können Ursachen sein. Es gibt akute und chronische Verläufe
Häufige Formen
Am häufigsten kommen die Alkoholhepatitis, die virusbedingten Hepatitiserkrankungen (Hepatitis A, B, C, D oder E) und die nicht alkoholische Fettleber-Hepatitis (NASH) vor. Eine Ansteckung mit den Hepatitisviren A bis E ist meldepflichtig. Gegen Hepatitis A und B gibt es Impfungen
Könnte Covid-19 längerfristig eine Rolle spielen, nach einer akuten Infektion?
„Auch das wäre denkbar, dann wäre die Hepatitis aber nicht die Folge einer akuten Infektion, sondern einer späteren überschießenden Reaktion des Immunsystems“, sagt Müller. „Ein Virusbestandteil, etwa das Spike-Protein, könnte in der Leber überdauern und nach einigen Tagen oder auch Wochen zu einer massiven Entzündung in der Leber führen – ähnlich wie beim Entzündungssyndrom PIMS, aber auf die Leber beschränkt.“ Ein PCR-Test wäre zu diesem Zeitpunkt dann in den meisten Fällen bereits negativ. "Denkbar ist auch, dass ein Zusammenspiel von Corona- und Adenoviren eine derartige Entzündungsreaktion verstärkt."
Was würde das für die Therapie bedeuten?
„Gegen eine akute Virushepatitis haben wir nicht viele therapeutische Möglichkeiten, es gibt zwar antivirale Mittel, aber im Wesentlichen muss sie von selbst ausheilen. Handelt es sich aber um eine überschießende Reaktion des Immunsystems, könnte man zum Beispiel mit Cortison die Entzündungsreaktion dämpfen.“ Eine derartige Therapie könne man vor allem dann anwenden, wenn weder ein Corona- noch ein Adenovirus nachweisbar ist, also keine akute Infektion vorliegt.
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